FC Bayern:Die Arroganz kehrt zurück

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Rechtzeitig vor dem zweiten Duell mit Real Madrid findet die Münchner wieder zu ihren alten Eigenheiten.

Philipp Selldorf

Waldemar Hartmann ahnte das Unglück schon, als er das Interview begann.

Uli Hoeneß war sichtlich nicht in der Stimmung für sanftes Geplauder und sachliches Erwägen, und tatsächlich nahm das kleine Gespräch in den Wandelgängen der Leverkusener BayArena den erwartet furiosen Verlauf, der in der allgemeinen Bekundung von Wut und Missmut gipfelte: "Das geht mir auf den Sack", versicherte der Manager dem Moderator, und vermutlich hat es Uli Hoeneß herzlich genossen, via Waldi auf den ganzen Stand der Berufspessimisten und deren "Gerede vom Abgrund" zu schimpfen.

So hatte auch er sich endlich in die richtige Stimmung gebracht, vier Tage vor dem zweiten Duell mit Real Madrid in der Champions League, für das der FC Bayern nach den Eindrücken beim 3:1-Sieg in Leverkusen bestens präpariert zu sein scheint - inklusive Hoeneß, der noch während der Woche im Gespräch mit der Welt grundsätzliche Defizite beklagt hatte: "Wir sind alle so nett. Wir tun niemandem mehr weh."

Furchtbarer Irrweg

Schritt für Schritt entfernen sich die zuletzt allzu menschlich fehlbaren Bayern von diesem furchtbaren Irrweg. In Leverkusen konnten sie sich zwar nicht unbeliebt machen, weil die Anhänger von Bayer 04 genügend damit beschäftigt waren, ihr eigenes Team zu verfluchen. Aber immerhin strahlten die in herrlich reines Weiß gekleideten Münchner wieder Anflüge der alten Arroganz aus, die aus tief empfundener Überlegenheit und Liebe zur eigenen Größe resultiert.

So eine schöne Trainingsstunde unter wettkampfartigen Bedingungen wie am Samstag hat der FC Bayern vor einem großen Europacupspiel allerdings schon lange nicht mehr genossen. Zwar mussten die Münchner in der zweiten Halbzeit mangels Gegenwehr ziemlich allein spielen, dennoch hatte die Reise ins Rheinland für beinahe jeden Bayern-Profi aufbauenden oder lehrreichen Charakter - bekanntlich ersetzt keine Trainingslektion die Erfahrungen eines richtigen Punktspiels.

Michael Ballack also durfte vor zunehmend fasziniertem Publikum Fernschüsse und Freistöße üben und näherte sich dem Ziel jeweils bis auf Zentimeter (beim 2:0 unterstützte ihn ein Leverkusener Abwehrbein). Roy Makaay erhielt gegen täuschend echt agierende Leverkusener Abwehrchargen die Chance, sein mangelhaftes Kopfball zu schulen. Dem seltsamen Holländer hatte Uli Hoeneß vor dem Hinspiel gegen Real Madrid noch versprochen, er zahle ihm 1000 Euro dafür, wenn ihm "endlich mal ein Kopfballtor" gelänge.

Maakays Meriten

Seitdem hat Makaay drei Mal per Kopf ins Tor getroffen, und wenn er bisher gemeint haben sollte, dass er in dieser Disziplin Nachhilfe benötige, so wird er jetzt den Lehrer gleich wieder abbestellen wollen. Makaays Meriten bestanden aber nicht nur im 14. und 15. Bundesligatreffer, der Mittelstürmer fördert mit seinem präzisen und atemberaubend effizienten Pass-Spiel auch die Spielkultur des ganzen Teams.

Besonders gut getan hat der Ausflug aber dem Torwart Oliver Kahn, der sich nach einem halben Dutzend großer Paraden vom TV-Reporter sagen lassen durfte: "Das war überragend." Und unbescheiden erwiderte: "Ja, das stimmt."

Kahn glaubt sich, keine zwei Wochen nachdem als Apokalypse empfundenen Fehler gegen Madrid, wieder voll auf der Höhe. "Wenn ich das umsetzen kann" - gemeint ist seine Leistung am Samstag - "dann haben wir in Madrid sehr gute Chancen." Den Fehlgriff deutet er plötzlich als Chance "zu einer gewissen Befreiung", von welcher Last auch immer, und nun will er auch nicht länger solo der spanischen Prominenten-Elf gegenübertreten, "ich fahre nicht allein nach Madrid, es kommt auch auf die anderen an", versicherte er entspannt.

Bewährtes Muster

Der Stimmungswandel bei den Bayern lässt sich aber nicht nur durch die Aufwärtsentwicklung erklären, Trainer Ottmar Hitzfeld bemüht ein bewährtes psychologisches Muster: "Totgesagte leben länger. Viele hatten uns schon abgeschrieben, aber Real war die Auferstehung." Inzwischen deuten die Bayern den Lauf der Welt wieder nach ihren Bedingungen. "Jetzt sind wir auf einen Punkt dran an Bremen", gab Karl-Heinz Rummenigge, einen Tag vor dem Werder-Sieg bei 1860, dank einer äußerst privaten Hochrechnung, die einen Sieg im Heimspiel am 32. Spieltag voraussetzt, den Zwischenstand bekannt.

Im Bernabeu hält man sich jedoch noch für den Außenseiter, der "ein kleines Wunder braucht" (Ballack). Wunder Nr. 1 bahnt sich bereits an. Verteidiger Sagnol brach sich in Leverkusen den Arm und wurde noch am Abend operiert. Mittels Schiene soll er trotzdem spielen können, und da auch Lizarazu seinen Muskelfaserriss in Rekordzeit kuriert hat, droht ein altes Bayern-Prinzip wieder aufzuleben: Hart zu sich selbst, brutal zu allen anderen.

© SZ v. 8.3.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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