Fahnenträger:In seiner Verantwortung

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"Für mich persönlich eine große Ehre": Eishockeynationalspieler und Fahnenträger Christian Ehrhoff. (Foto: dpa)

Dass Christian Ehrhoff bei der Schlussfeier die deutsche Fahne tragen darf, sieht er als Auszeichnung für die ganze Mannschaft.

Von Sebastian Fischer, München

Die Arbeitstage von Christian Ehrhoff, einem der besten Eishockeyspieler, die Deutschland jemals hervorgebracht hat, waren noch vor Kurzem kein besonders großes Vergnügen. Sie begannen mit Stress. Seine Anreise zum Arbeitsplatz führt ihn für gewöhnlich über die A57, eine der berüchtigtsten Autobahnen des Landes. Um halb acht morgens fahre er auf die Auffahrt Krefeld-Gartenstadt in Richtung Köln, "dann stelle ich mich an", so hat er es dem Lokalsender Radio Köln erzählt. Rund 40 Minuten stehe er regelmäßig im Stau. Und dann, bei der Arbeit im rechtsrheinischen Kölner Stadtteil Deutz angekommen, ging der Stress ja erst richtig los. Ehrhoff, 35, ist Kapitän der Kölner Haie. Und die steckten in der Deutschen Eishockey Liga (DEL) vor ein paar Monaten noch in einer verflixten Ergebniskrise, inklusive Trainerentlassung und drohendem Verpassen der Playoffs.

Nun, ein paar Monate später, sind Ehrhoffs Arbeitstage so vergnüglich, wie sie es für einen Sportler nur sein können. Nach dem olympischen Eishockeyfinale am Sonntagmorgen wird er, mit einer Medaille dekoriert, die deutsche Fahne bei der Abschlussfeier der Winterspiele tragen, als erster deutscher Eishockeyspieler überhaupt.

Ehrhoffs Geschichte ist von den 25 Cinderella-Stories, die man über den 25 Spieler großen deutschen Eishockey-Kader erzählen könnte, sicher nicht die allerüberraschendste. Anders als die meisten seiner Teamkollegen hat Ehrhoff schon in den wichtigsten Eishockeyspielen auf dem Eis gestanden, spielte 2011 mit den Vancouver Canucks eine Finalserie um den Stanley-Cup (und verlor), war schon 2010 dabei, als Deutschland bei der WM im eigenen Land erst im Halbfinale an Russland scheiterte. Und es gibt wohl wenige Athleten in Deutschland, die mit ihrem Sport reicher geworden sind als Ehrhoff, der 2011 bei den Buffalo Sabres in der NHL einen mit 40 Millionen Dollar dotierten Vertrag unterschrieb und damit für kurze Zeit zum bestbezahlten Abwehrspieler der Welt aufstieg.

Und doch ist die Geschichte Ehrhoffs, innerhalb weniger Monate vom frustrierten Profi im Spätherbst seiner Karriere zum deutschen Fahnenträger aufzusteigen, eine besondere. Denn ohne ihn wäre Deutschland wahrscheinlich nicht ins Finale eingezogen. Und ohne sein Team, ohne das Vertrauen seiner Kollegen und des Bundestrainers Marco Sturm, hätte Ehrhoff wohl sein kleines Formtief in Köln nicht so selbstverständlich hinter sich gelassen. Für das letzte wichtige Vorbereitungsturnier vor den Spielen, den Deutschland-Cup im November 2017, hatte Sturm Ehrhoff nicht nominiert und die Entscheidung mit dem subtilen Hinweis versehen, Ehrhoff habe in Köln derzeit wirklich genug zu tun. In Köln, wo er seit seiner Rückkehr nach Deutschland 2016 spielt und seit 2017 den Kader als Kapitän anführt, lag es in seiner Verantwortung, eine in Grüppchen zersplitterte Mannschaft wieder zusammenzufügen. Der damalige Trainer Cory Clouston verweigerte sich dieser Verantwortung beharrlich. Es ist wohl nicht vermessen zu sagen, dass Ehrhoff seit den frustrierenden Tagen zu Saisonbeginn den Wert einer funktionierenden Mannschaft noch etwas mehr als vorher zu schätzen weiß. Ehrhoff sagte damals: "Letztendlich ist das Wichtigste, dass wir uns untereinander vertrauen können." Zwischenzeitlich konnten sie das in Köln wohl nicht.

Ehrhoff hilft besonders im Penalty-Killing

In Pyeongchang ist die deutsche Nationalmannschaft das Exempel eines Teams, in dem jeder seinen Mitspielern vertraut. So lautet seit jeher ein Rezept für krasse Außenseitersiege im Sport, wie sie der deutschen Mannschaft gegen Schweden im Viertelfinale und im Halbfinale gegen Kanada gelangen. "Männer, die für die Mannschaft alles geben", wünscht sich Trainer Sturm noch etwas mehr als begnadete Künstler. Ehrhoff war mal der beste deutsche Eishockeyspieler, er ist immer noch einer der Besten, trotz seines Alters. In jedem Fall aber ist er ein Spieler, der alles gibt. Im Playoff-Spiel gegen die Schweiz wurde Ehrhoff hart gefoult, bekam den Ellenbogen seines Gegenspielers Cody Almond ins Gesicht, wurde behandelt, spielte weiter. Ehrhoff ist besonders unverzichtbar für die deutsche Mannschaft, weil es eine ihrer Schwächen in Pyeongchang ist, viele Strafzeiten zu verursachen. Mit seiner großen Routine hilft Ehrhoff im Unterzahlspiel, dem sogenannten Penalty-Killing, ungemein. Ehrhoff ist eine Art Ruhepol. Gegen Kanada stand kein deutscher Spieler länger auf dem Eis als er. Und es gibt wohl auch niemanden, der nach Spielen so gerne in Floskeln antwortet, um ja nicht den Eindruck entstehen zu lassen, er, der berühmteste deutsche Eishockeyspieler, nehme sich wichtiger als seine Kollegen.

Schon vor der Eröffnungsfeier war Ehrhoff in der engeren Auswahl der Fahnenträger gewesen, Kombinierer Eric Frenzel gewann die Abstimmung. Vor der Schlussfeier fiel nun die Wahl auf Ehrhoff, er verkörpere den Gedanken des Teams bestmöglich, begründete DOSB-Präsident Alfons Hörmann die Wahl. Und Ehrhoff sagte, wie aufs Stichwort: "Es ist für mich persönlich eine große Ehre, aber ich denke, dass es eher stellvertretend für das Team ist, nicht nur für die Eishockey-Nationalmannschaft."

Sein Arbeitsplatz in Köln ist übrigens auch nicht mehr so unangenehm. Wenn in der kommenden Woche die DEL-Saison weitergeht, sind die Haie Tabellen-Fünfter und sehr wahrscheinlich bei den Playoffs dabei. Und für den Weg zum Arbeitsplatz wird Ehrhoff ein paar neue Erinnerungen gesammelt haben, mit denen selbst 40 Minuten Stau schnell vorbeigehen.

© SZ vom 25.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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