Erstaunliche Fitness des deutschen Teams:Mehr Gummiband wagen

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Die Bundesligisten versuchen sich an den DFB-Methoden

Philipp Selldorf

Christoph Metzelder begeht zwar auf dem Fußballplatz gelegentlich schwerwiegende Stellungsfehler, aber dafür spricht er öfter als andere Fußballer kluge Sätze. Am Montag stellte er fest, dass die Deutschen ein Problem haben, nicht nur im Fußball, aber eben auch dort. "Wir haben eine Kultur, uns schlechter zu machen als wir sind", sagte er.

Oliver Bierhoff bei einer Pressekonferenz des DFB-Teams. (Foto: Foto: dpa)

Zu den Auswirkungen dieser demolierten Selbsteinschätzung gehört im Fußball auch die Glorifizierung ausländischer Eigenheiten und Spielideen. Immer wenn gerade etwas schief läuft, ein Länderspiel verloren wurde oder der letzte im Uefa-Cup verbliebene Bundesligaklub gegen Metallurg Donezk unterlegen ist, werden die Programme aus den Nachbarländern zum unbedingten Vorbild erhoben.

Im Prinzip ist es ja sicher nicht verkehrt, auf die Errungenschaften der französischen Jugendarbeit und die Vorzüge des nationalen Eliteinternats in Clairefontaine hinzuweisen oder den Nutzen der niederländischen Eigenart zu bedenken, Fußballmannschaften von Kindesbeinen an im 4-3-3-System zu schulen.

Aber erstens bleibt es oft bei der selbstmitleidigen Klage, dass Franzosen, Niederländer und Spanier es sowieso besser machen als wir. Und zweitens verhält es sich hier wie beim Aufsatzschreiben in der Schule: Es lohnt sich ja, beim Nebenmann ein bisschen abzugucken, aber ausführen muss man die Arbeit selbst und auf die eigene Art. Sonst kommt man nicht weiter.

Deswegen war es kein reaktionärer Einspruch, als vor einigen Tagen der Nürnberger Trainer Hans Meyer in Anbetracht des Jubels um das deutsche Team vor einem verkehrten Vorbild für die Fußballkultur warnte: "Ich habe die Sorge, dass, wenn wir Fußball-Weltmeister werden sollten, Achtjährige damit anfangen, über Gummiringe zu springen." Kinder brauchen einen Ball zum Spielen, meint er, Kraft und Athletik für den Leistungssport sollen sie sich später aneignen.

Da würde Jürgen Klinsmann bestimmt nicht widersprechen, obwohl sich aus seinem Trainerkonzept besonders markant die Aspekte Kraft und Athletik eingeprägt haben. Die deutschen Spieler sind bei dieser WM fit wie die Eisenmänner aus Hawaii, und dabei haben sie ihre Möglichkeiten angeblich bei weitem nicht ausgeschöpft.

"Ich glaube sogar, dass wir noch wesentlich mehr drauflegen können", droht Klinsmann dem nächsten Gegner Argentinien. Bei dieser WM fühlt man sich zurückversetzt in Zeiten, als deutsche Teams ihre Gegner einfach niederrannten. Alte "deutsche" Tugenden wurden wiedergeboren - mit Hilfe amerikanischer Sportlehrer und ihrem Kraftmaschinenpark.

Mark Verstegen, Anführer der von Klinsmann hinzugezogenen US-Spezialisten, hat bereits erklärt, dass er seine Arbeit für den DFB gern fortsetzen würde. Entscheiden wird darüber (außer dem Spielausgang am Freitag) die Verbandsführung mit ihrem geplagten Schatzmeister Schmidhuber, den Klinsmanns WM-Ansprüche teuer zu stehen kommen.

Entscheidend ist aber ohnehin die Frage, ob die Methoden des Bundestrainers Wirkung auf die Bundesliga haben und sich auf sie übertragen lassen. Was die Details angeht, ist Klinsmanns Musterprofi Metzelder eher skeptisch: "Wir wissen, dass um die Nationalmannschaft ein finanzieller Aufwand betrieben wird, der so nicht reproduzierbar ist", sagt er und meint: im Alltagsbetrieb der Klubs.

Anders, findet der Dortmunder Verteidiger, liegt der Fall bei der generellen Orientierung des Trainerstabs: "Die individuelle Arbeit im Fitnessbereich, das wird einfach kommen. Dem kann sich keiner verschließen, denn gewisse Entwicklungen sind nicht aufzuhalten."

Auf diesen Punkt kommt auch Oliver Bierhoff jedes Mal zu sprechen, sobald er gefragt wird, ob Klinsmann Bundestrainer bleiben werde. Die Bundesliga müsse dort aus den Fortschritten des Nationalteams lernen, wo sie klare Hinweise erhalten habe, und dürfe nicht wieder "in den Dornröschenschlaf fallen", lehrt der Teammanager. Konkret: "Es geht um akribisches, detailliertes und individuelles Arbeiten beim Fitnessaufbau und im Training. Es geht darum, weniger mit allen 23 Mann zu arbeiten, sondern in Gruppen und einzeln. Es geht um den Einsatz technischer Hilfsmittel."

Vor dem Spiel gegen Ecuador bekam Torwart Lehmann eine DVD mit Torschüssen der Ecuadorianer, auch Lahm und Schweinsteiger erhielten ihr eigenes Programm, "das sind Sachen, die vorangetrieben werden müssen", findet Bierhoff. Alles weitere, vom Spielstil bis zur persönlichen Fürsorge, müsse sich aus den Bedingungen der Klubs ergeben. "Es ist natürlich schwierig, das eins zu eins umzusetzen, was wir hier bei der Nationalmannschaft machen. Jeder Trainer und jeder Klub hat ja seine eigene Philosophie", sagt Metzelder.

Vermutlich war es nur ein zeitlicher Zufall, dass am Montag der FC Schalke 04 die Verpflichtung eines Fachmanns bekannt gab, der für individuelles Techniktraining zuständig ist. Vielleicht aber auch nicht. Vielen Klubs dürfte es zu denken geben, dass sich während der paar Wochen Vorbereitung und Turnierverlauf verzagte, unsichere Charaktere wie Schweinsteiger, Mertesacker und Podolski in coole, vor Selbstbewusstsein berstende Wettkämpfer verwandelt haben.

Dass Klinsmanns Errungenschaften bei der Nationalmannschaft Beachtung finden, bestätigt etwa der Bayern-Manager Uli Hoeneß, den der physische Zustand der deutschen Mannschaft beeindruckt hat. "Ich bin bereit, Überlegungen anzustellen, was man übernehmen kann. Wir haben ja mit (Mannschaftsarzt) Müller-Wohlfahrt und (Fitnesstrainer) Oliver Schmidtlein zwei Leute dabei, die uns berichten können", sagte er am Montag. Möglicherweise fallen in Deutschland ein paar archaische Barrikaden - hoffentlich sind es die richtigen.

© SZ vom 27.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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