Entwicklung des deutschen Tennis:"Boris sitzt wie eine Statue"

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Günther Bosch war der erste Trainer von Boris Becker - und ist noch immer ein aufmerksamer Beobachter. Ein Gespräch über das Fehlen individueller Spielstile und Bumm-Bumm-Tennis von Alexander Zverev.

Interview von Gerald Kleffmann, Berlin

Günther Bosch flaniert gemütlich über die Anlage des LTTC Rot-Weiß, er blickt sich neugierig um, führt hier ein kleines Gespräch, plaudert dort ein bisschen. 79 Jahre alt ist er inzwischen, aber immer noch sehr interessiert an dem Sport, der ihn einmal zu einer sehr speziellen Bedeutung gebracht hat. Bosch war der erste Trainer von Boris Becker und hat ihn zum Weltstar gecoacht. "Und ich war der Einzige", sagt der Deutsch-Rumäne Bosch aus Kronstadt und lacht schelmisch, "der nicht von ihm gefeuert wurde. Ich habe ihn selbst verlassen." Am Rande des Davis-Cup-Doppels am Samstag nimmt sich Deutschlands vielleicht bedeutsamste Trainerperson Zeit für ein paar Erinnerungen an die guten alten Tage.

SZ: Herr Bosch, 25 Jahre lang war der Davis Cup nicht in Berlin, viele frühere deutsche Tennisgrößen nutzen auch diese Veranstaltung, um im geschichtsträchtigen LTTC das deutsche Team zu sehen. Welche Gedanken kommen in Ihnen bei diesem Klassentreffen auf?

Günther Bosch: Es ist etwas ganz Besonderes. Denn das tolle Stadion verdient eigentlich öfter eine solche Veranstaltung. Deswegen wurde ja dieser große Center Court gebaut. Natürlich mehr für das Damentennis und Steffi Graf, nach der das Stadion benannt ist. Aber solche Stätten sollten eben mit Leben gefüllt werden. Das war in den vergangenen Jahren leider nicht mehr der Fall. Der Davis Cup hat hier einen guten Standort, die Wahl war nicht schlecht. Es geht nur nicht alleine um die Zahl der Zuschauer und darum, dass wir früheren Spieler, Trainer oder Funktionäre kommen. Es geht darum, was geboten wird bei einem Davis-Cup-Spiel. Da muss ich ehrlich sagen, dass ich am ersten Tag enttäuscht war, was für ein Tennis gespielt wurde.

Warum?

Ich verfolge im Fernsehen jedes Spiel von jedem deutschen Spieler. Ich kann es selbst kaum erwarten, dass mal einer kommt und das deutsche Tennis aufpäppelt. Sagen wir mal nicht, wie Becker und Stich, aber wenigstens doch wie Haas und Kiefer vielleicht. Ich hatte Jan-Lennard Struff in Erinnerung, der doch ein bisschen kreativer Tennis spielt. Der auf clevere Art offensiver spielt und nicht nur auf die Fehler des Gegners wartet. Aber davon habe ich wenig gesehen. Florian Mayer zeigte anfangs Nerven, aber hat sich dann doch gefangen und, sagen wir, solide gewonnen.

Sie störten sich ja schon immer daran, dass längst alle irgendwie ähnlich Tennis spielen.

Es gibt wenige Ausnahmen: Spieler, die kreativ spielen und einen eigenen Stil pflegen, Mayer ist sicherlich einer, der auffällt. Aber viele spielen doch ein identisches Tennis. Mit Freude verfolge ich gerade die Rückkehr von Juan Martin del Potro und habe mir die Höhepunkte von seinem Fünfsatzsieg gegen Andy Murray gerade im Davis Cup nochmal angesehen. Del Potro spielt nach seiner Handgelenks-Operation so, wie Steffi Graf früher gespielt hat. Er spielt nun meist einen unglaublichen Rückhand-Slice, wartet mit Geduld. Und seine Vorhand ist zurzeit die beste, die es im Welttennis gibt. Er begeistert mit dieser Art sofort wieder die Zuschauer. Aber nicht alle tun das mit ihrem Links-Rechts-Grundlinienpowertennis. Auch das Verhalten der Spieler ist so eintönig auf dem Platz. Es gibt keine Freude, es gibt keinen Ärger. Alle sind cool.

Vielleicht auch, weil schnell Warnings, also Verwarnungen oder gar Strafen ausgesprochen werden?

Was heißt Strafen? Wir haben früher Warnings bekommen, wenn ich Boris mal ein Zeichen gab, er solle longline oder cross spielen. Heute werden dazu doch kaum Verwarnungen ausgesprochen. Alle könnten sich doch Emotionen erlauben. Auch die Trainer auf der Tribüne. Aber selbst Coaches wie Ivan Lendl oder Boris sitzen meist wie Statuen auf ihren Plätzen, mir fehlt da auch irgendwie die Emotion.

Haben Sie noch Kontakt mit Becker?

Nein, Kontakt haben wir gar keinen.

Warum eigentlich? Sie waren der erste und damit wichtige Trainer?

Ich werde das ja manchmal gefragt. Ich bin ein Dickschädel, er ist ein Dickschädel. Das war schon früher so. So verlief ja dann auch die Trennung, als es für mich nicht mehr weiterging. Das war 1987 nach den Australian Open. Boris hatte zweimal Wimbledon gewonnen, 1985 und 1986, und wollte dann alleine zu den Turnieren reisen und seine Freundin öfter mitnehmen. Ich wollte sie auch integrieren im Team. Aber er wollte einfach alleine mit ihr reisen und das habe ich nicht akzeptiert. Denn als Trainer trage ich ja auch eine Verantwortung für seine Leistungen. Es gab noch einige andere Gründe, aber das war der Hauptgrund. Es hat nicht mehr zusammengepasst. Ich sollte nur zu den ganz großen Turnieren kommen wie Tony Roche, der das so mit Ivan Lendl machte. Ich hatte nicht diese Auffassung.

Haben Sie sich jemals ausgeprochen in 30 Jahren?

Wir sind beide stur. Wir haben zwar öfter geredet. Aber nie über diese Trennung. Es hat sich einfach so ergeben, wir gehen beide so unseren Weg. Ich schätze ihn sehr, die Zeit, die wir gemeinsam verbrachten, war unglaublich. Er war und ist kein einfacher Mensch. Ihn zu trainieren, war nicht einfach. Aber ich hatte die Ehre, mit ihm viel zu gewinnen. Das bleibt.

Klingt, als hätten Sie tatsächlich mit ihm und dieser Zeit abgeschlossen. Oder wollen Sie nochmal mit ihm reden?

(Lacht) Er wartet wahrscheinlich, dass ich auf ihn zugehe. Und ich warte, dass er auf mich zukommt. Nein, ich respektiere, dass es ist, wie es ist. Mir macht es Freude, sein Können von damals mit dem Können der heutigen Spieler zu vergleichen. Und da gefällt mir Boris immer noch besser. Gerade vorgestern habe ich von einem begeisterten Tennisfan Videoaufzeichnungen von früher bekommen. Das Davis-Cup-Finale 1985 in München gegen Schweden war dabei. Und das legendäre Match gegen Tim Mayotte in Wimbledon, als er schon aufgeben wollte, 1985 bei seinem ersten Sieg. Viele meinten, sein Manager Ion Tiriac hätte ihn vorangetrieben damals. Boris wollte ja aufgeben. Aber ich war es, der immer wieder rief: Komm', Boris, setz dich für zwei Minuten, gib dir eine Chance! Lass dich tapen oder so, dann sehen wir weiter!

Und dann triumphierte er als 17-Jähriger im All England Club. Was ist noch in Erinnerung geblieben von damals?

Das Entscheidende war, und das kann man auch als Beispiel für die heutige Zeit nehmen: Er hat viele verloren geglaubte Spiele gewonnen. Er lieferte ja viele Dramen und kämpfte sich oft zurück. Er hatte diese Fähigkeit, Spiele zu drehen. Entweder spielt einer gut und gewinnt. Und wenn einer schlecht spielt, gibt er irgendwie auf und lässt es laufen. Nächstes Turnier, nächste Chance. So ist das heute.

Sie haben Becker entdeckt, als er neun Jahre alt war: Was fiel Ihnen da schon auf?

Ich sah gleich etwas in ihm, daher konnte er ja auch in die Förderung aufgenommen werden vom DTB; er war erst abgelehnt worden. Er hatte eine unglaubliche Konzentrationsfähigkeit. Er konnte sehr schnell antizipieren, wohin der Gegner die Bälle spielt. Er war ja nicht einer der Schnellsten, im Gegenteil. Er war einer der Langsamsten von der Beinarbeit her. Aber er konnte sofort einen kurzen Ball erkennen und hat jeden kurzen Ball erreicht. Er konnte in schwierigen Situationen Matches durch das eigene Können umdrehen. Und er musste nicht zittern und warten, dass der andere Fehler macht. Das gab es nicht bei Boris. Er konnte sich auf sein Können verlassen, und natürlich zeigte er dazu seinen unvergleichlichen Emotionen.

Sehen Sie in Alexander Zerev endlich einen Deutschen, der mal in die Top Ten oder gar ganz nach oben vorstoßen kann? Der 19-Jährige wird hoch gehandelt.

Ich finde, das ist noch etwas früh, gleich solch ein Urteil zu fällen. Ich kenne seinen Vater gut, auch seine Mutter. Beide waren ja gute Spieler, damals noch für die UDSSR. Alexander ist sozusagen ein Produkt zweier Tennisspieler. Er ist da in guten Händen. Aber natürlich ist entscheidend, wie er weiter geformt wird. So einen Spieler muss man formen. Und so wie er spielerisch geformt wird momentan, spielt er auch fast nur das gleiche, was die meisten spielen. Es gibt viel Bumm-Bumm, obwohl er sich gut bewegt und viel Ballgefühl hat. Sein Spiel ist nicht so auf das Kreative, etwa auf das Besondere am Netz orientiert. Ich glaube, er könnte seine Möglichkeiten noch besser ausnützen. Aber er ist ja auch noch jung und wird sich weiter entwickeln. Ich finde, er steht zu weit hinter der Grundlinie und müsste die Bälle früher nehmen.

Wie geht es Ihnen selbst? Was machen Sie?

Bosch: Ich bin Privatier in Berlin, mir geht es gut. Es wird ja zurzeit ein Film über Boris gedreht, da bin ich auch dafür gefragt worden. Er läuft in eine Richtung, die mir nicht so passt.

Warum?

Es geht nicht mehr um Sport, es geht mehr um Unterhaltung, um das Lustige, um den - in Anführungszeichen - Gauner Tiriac, was der alles so als Manager von Boris gemacht hat. Ich bin mal gespannt, was am Ende dabei herauskommt. Ich werde aber kaum darin vorkommen.

© SZ vom 18.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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