England:Prozession der Ratlosen

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Schon wieder scheitern die Engländer in einem großen Turnier im Elfmeterschießen - Wayne Rooneys Platzverweis wird als Begründung nicht lange funktionieren.

Ralf Wiegand

Zum Schluss öffnete sich der Himmel über der Schalker Arena. Aber nicht Blitz und Donner kamen herunter oder wenigstens die Sintflut, die das ganze Elend hätte hinwegspülen können.

Nein, wie zum Hohn linste die Sonne durch das sich träge zur Seite schiebende Dach der zuvor geschlossenen Fußball-Halle, und eine kühle Brise senkte sich endlich in den schwülen Kessel Traurigkeit. Natürlich wurde dadurch nichts besser.

In einer skurrilen Prozession schlich die englische Nationalmannschaft oder das, was noch von ihr übrig war, derweil einmal ums Rasenrechteck. Das ist ein Ritual des Teams, sich mit Applaus nach einem Spiel für den Beistand des Publikums zu bedanken.

Diesmal aber war es eher ein stilles Miteinander, die Verwandtschaft getroffener Seelen. Nur ganz vorne im Zug patschte Peter Crouch müde die Hände überm Kopf zusammen, der dünne Kerl sah aus wie ein riesiger Vogel, der unbeholfen mit den Flügeln schlägt.

"Am Boden zerstört"

An der Flanke des Trauermarschs humpelte barfuß der waidwunde Kapitän David Beckham. Irgendwo in der Mitte drückte Trainer Sven-Göran Eriksson den Rücken durch, größtmögliche Gefasstheit simulierend. Wayne Rooney wartete indes im Bauch des Stadions auf das öffentliche Urteil über seinen Platzverweis. "Wir sind alle am Boden zerstört", wird Beckham später sagen.

Ob sie es sich nur eingeredet hatten, ob sie wirklich so überzeugt waren, wie sie hinterher alle beteuerten, oder ob sie tatsächlich etwas trainiert hatten, was einem Elfmeterschießen nahe kam - am Ende war es doch ausgegangen wie immer.

"Wir haben nach jeder Einheit noch einmal Elfmeter geübt", sagte Ashley Cole, "aber es ist eben etwas anderes, wenn es kein Training ist." Bis Cristiano Ronaldo zum letzten Schuss für Portugal angetreten sei, "habe ich nie einen Gedanken daran verschwendet, dass es schief gehen könnte", behauptete Gary Neville. Der Mensch ist eben ein Verdrängungstier.

Für niemanden ist das Elfmeterschießen eine ähnlich mystische Angelegenheit wie für die Engländer, die nun fünf von sechs Shootouts verloren haben. Diesmal wäre es sogar einfacher gewesen als sonst, den Torwart des Gegners zu preisen.

Kein einziger Elfmeter der Engländer verfehlte das Tor, alle endeten in den Pranken von Ricardo. "Elfmeter sind anders als der Rest des Spiels", sagte der Keeper der Portugiesen listig. Wer wüsste das besser als die Engländer?

Früher machte man sich noch die Mühe, dem Versagen Namen zu geben. 1990, Chris Waddle, WM-Halbfinale gegen Deutschland. Waddle, schrieb der Daily Telegraph, habe wohl versucht "den Ball in den Weltraum zu jagen", so steil stieg er übers Tor in den Turiner Nachthimmel.

Dann, 1996. "Alles was die Leute von mir in Erinnerung behalten haben ist: Der kann keine Elfmeter schießen." Es war Gareth Southgate, der das Jahre nach seinem Fehlschuss sagte, EM-Halbfinale, wieder gegen die Deutschen.

Später notierten sie die Namen der Fehlschützen einfach nur noch, ohne große Leidenschaft. Es gab keine freien Plätze am Pranger mehr. Elfmeter waren längst nationales Trauma, als etwa 2004 in Portugal Beckham und Darius Vasell gegen den Portugiesen Ricardo nicht trafen.

Das Geheimnis der Deutschen beim Elfmeterschießen

Wie ratlos die Experten von der Insel vor dem Phänomen stehen, verriet schon das Medienecho auf den deutschen Sieg gegen Argentinien. "Was ist bloß das Geheimnis der Deutschen beim Elfmeterschießen?", fragte die Times und antwortete resignierend gleich selbst: "Vermutlich wissen sie es selbst nicht."

In England gibt es sogar Dokumentarfilme zu diesem Thema und ein ganzes Buch, "On Penalties". Man dürfe die Schuld jetzt nicht den Schützen geben, sagte Ashley Cole am Samstag, "es braucht Mumm, da raus zu gehen und einen zu schießen."

Als Ventil für Trauer und Wut musste also Wayne Rooney herhalten. Nach dem Spiel wurde er von zwei Mitarbeitern des Verbandes durch den Keller der Arena zum Bus geleitet, besser: Er wurde abgeführt. Den Blick gesenkt, die Lippen versiegelt, stapfte der 20-Jährige den Schlagzeilen entgegen, die am nächsten Tag über ihm abregnen sollten wie Hagelkörner.

"Zehn Löwen und ein dummer Junge", schrieb Sunday Times, und der Sunday Mirror wagte eine phonetische Spielerei, durch Rooney ruinierte Träume, so etwas. "Er wird das wegstecken, er ist unsere Zukunft", sagte dagegen David Beckham.

Rooney hatte in der 62. Minute einen nicht enden wollenden Zweikampf mit Ricardo Carvalho per kalkuliertem Tritt in dessen Gemächt finalisiert. Es folgte der Platzverweis, Kräfteverschleiß, schließlich eine bleierne Müdigkeit im Elfmeterschießen. Sven-Göran Eriksson versuchte, so eine Indizienkette zu knüpfen, manch anderer auch.

Rooney ist schuld. Bis zum nächsten Elfmeterschießen.

© SZ vom 3.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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