England gegen Ecuador:Dem Kunstschützen sei Dank

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Die englische Mannschaft fällt beim 1:0 gegen Ecuador hauptsächlich durch Nervosität und Ideenlosigkeit auf - aber sie hat ja David Beckham.

Christian Zaschke

Eine überzeugende englische Mannschaft ist es nicht, die am Sonntagabend das Viertelfinale der WM durch ein 1:0 (0:0) gegen Ecuador erreicht hat. Sie ist nicht besonders gut organisiert, sie neigt zur Nervosität, und es fehlen ihr die Ideen im Angriff.

Doch sie verfügt über den Kunstschützen David Beckham, der die Schwächen des Teams wieder einmal übertünchte, indem er nach einer Stunde Spielzeit den entscheidenden Treffer per Freistoß erzielte. Erst am Ende, als sich die müde gewordenen Ecuadorianer bemühten, irgendwie noch den Ausgleich zu erzielen, war das englische Spiel bisweilen recht ansehnlich. Das neben dem Ergebnis einzig positive aus englischer Sicht war die Tatsache, dass die Mannschaft über 90 Minuten nicht müde wurde.

Denn die entscheidende Frage lautete vor der Partie: Wie würden die Engländer mit der schwülen Hitze zurechtkommen? In allen drei Vorrundenspielen hatten sie nicht den Eindruck einer sonderlich konditionsstarken Mannschaft hinterlassen, eher im Gegenteil: Gegen Ende bauten sie ab.

In diesem Wissen begannen sie langsam, um ihre Kräfte zunächst zu schonen. Ganz allmählich bauten sie ihre Angriffe auf, der Ball wurde einige Male hin- und hergeschoben, ohne dass sich viel tat auf dem Platz - bis auf überraschende Ausnahmen.

Dem sonst so sicheren Innenverteidiger John Terry rutschte der Ball in der 11. Minute über die Frisur, die Kugel flog zu Carlos Tenorio, welcher beherzt dem Tor zustrebte. Er wartete und schaute, und das alles dauerte eine Winzigkeit zu lang.

In dem Moment, in dem der Ball Tenorios Fuß verließ und sich auf seine Flugbahn ins Netz begab, kam Ashley Cole angeflogen und konnte den Schuss gerade eben an die Latte lenken.

Großer Respekt vor dem Gegner

In der Folge leistete sich Terry mehrere Unsicherheiten, dazu trat er Tenorio einmal um, indem er seinen Fuß auf Kopfhöhe schnellen ließ (19.). Terry, beim FC Chelsea der Inbegriff von Sicherheit, kann als Sinnbild dafür gelten, dass die Engländer großen Respekt vor dem Gegner hatten.

Das Publikum spürte das: Selten waren englische Fans bei einem großen Spiel so vergleichsweise leise, wie in manchen Momenten dieser Partie.

Die Ecuadorianer standen in der ersten Halbzeit auffallend sicher in der Abwehr. Durch gutes Positionsspiel brachten sie die englischen Angriffsbemühungen - so sie denn stattfanden - zum Erliegen und kamen dabei mit sehr wenigen Fouls aus.

Ihr eigenes Angriffsspiel organisierten sie in der Form gelegentlicher Konter, ohne allerdings nach Tenorios Großchance sonderlich gefährlich zu werden. Doch anders als bei den Engländern schlummerte in ihrem Spiel die Gefahr als Möglichkeit.

Allmählich wurden die Ecuadorianer so sicher, dass sie eine gewisse Gelassenheit auf dem Platz verströmten. Sie wussten natürlich auch, dass den Engländern aller Wahrscheinlichkeit nach früher oder später die Kraft ausgehen würde.

Einen ersten Höhepunkt dieser Gelassenheit demonstrierte Torwart Cristian Mora, der bei einem Freistoß, getreten vom Spezialisten David Beckham, ganz lässig stehen blieb, während der Ball ganz mal so weit an seinem Tor vorbeiflog (36.). Da ahnte Mora noch nicht, dass Beckham später noch einmal aus gleicher Position schießen würde.

Die zweite Halbzeit begannen beide Teams so verhalten, als fürchteten sie, noch eine ganze Weile auf den Rasen aushalten zu müssen. Einmal forderte Wayne Rooney, der als einzige Spitze agierte, einen Elfmeter - er hatte sich auf zwei Verteidiger geworfen (55.).

Die deutschen Zuschauer langweilten sich und sangen: "Steht auf, wenn ihr Deutsche seid", woraufhin die Fans aus Ecuador - des deutschen mutmaßlich nicht mächtig - geschlossen aufstanden.

Ansonsten deutete sich an, dass die Partie nun sehr zäh werden würde - bis sich in der 60. Minute David Beckham erneut den Ball in rund 22 Metern Entfernung zurechtlegte. Würde Mora wieder einfach stehenbleiben?

Mora ahnte etwas, er lief und warf sich ins von ihm aus gesehen rechte Eck, doch er war zu langsam: Der Ball flog direkt neben dem Pfosten zum 1:0 für England ins Netz.

Nun war es an den Ecuadorianern, ihre Gelassenheit aufzugeben, und die Initiative zu ergreifen. Doch wie es so oft ist im Fußball: Wer ein Tor erzielt, verfügt plötzlich über neue Kräfte. Die Engländer gaben ihre Zurückhaltung nun immer öfter auf, sie griffen an und versuchten, das 2:0 zu erzielen.

Wayne Rooney kam besser ins Spiel, und er deutete an, warum er so wichtig für die englische Mannschaft sein kann. Er tunnelte Ivan Hurtado im Sechzehnmeterraum, legte zurück auf Frank Lampard, und dessen Schuss aus 14 Metern Entfernung strich nur knapp über den Kasten (74.).

Eine Minute später war es Rooney selbst, der einen Schuss ansetzte, der Ball wurde abgefälscht, und Torwart Mora konnte ihn abfangen. Und dann waren es die Ecuadorianer, denen an diesem schwülen Abend die Kräfte ausgingen. Ein Tor brauchten sie bloß, doch in der Hitze von Stuttgart war das ein Tor zu viel.

© SZ vom 26.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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