EM-Titel der U21-Elf:Wie einst Mats und Mesut

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Die deutsche U21 und der EM-Pokal. (Foto: AFP)
  • Die deutsche U21-Nationalmannschaft ist nach 2009 wieder Europameister.
  • Beim 1:0-Sieg im Finale gegen Spanien zeigen die DFB-Talente, dass sie gegen die Besten bestehen können.
  • Das entscheidende Tor erzielt Mitchell Weiser - mit viel Glück.

Von Ulrich Hartmann, Krakau

Wer den deutschen U 21-Fußballern vor dem Finale der Europameisterschaft gegen elegante und favorisierte Spanier die Chancengleichheit abzusprechen gewagt hatte, erntete wütendes Unverständnis. "Wir sind ja auch nicht blind", hatte der Abwehrspieler Jeremy Toljan geschimpft. "Wir sind doch keine Regionalliga-Truppe", empörte sich Mittelfeldmann Nadiem Amiri. Ihrem Zorn über jegliche Geringschätzung ließ die älteste deutsche Junioren-Nationalmannschaft am Freitagabend Taten folgen. Sehenden Auges und über Regionalliga-Format wahrlich erhaben, besiegte sie die Spanier in taktisch überragender und leidenschaftlich begeisternder Manier sowie mit der nötigen Prise Glück mit 1:0 (1:0). Das goldene Tor erzielte der Berliner Mitchell Weiser in der 40. Minute per Kopfball.

Ein Kopfball, der Horst Hrubesch stolz gemacht hätte

Für die deutsche U 21 ist es der zweite U 21-EM-Titel nach 2009. Damals hatte eine Mannschaft um die späteren Weltmeister Manuel Neuer, Benedikt Höwedes, Jérôme Boateng, Mesut Özil, Mats Hummels und Sami Khedira unter dem Trainer Horst Hrubesch 4:0 gegen England gewonnen. Die Spanier verpassten hingegen ihren fünften Titel, mit dem sie zum Rekordsieger Italien aufgeschlossen hätten.

Stimmen zur U21
:"Wahnsinn, unglaublich. Das habe ich noch nicht erlebt"

Der Torschütze ringt nach Worten, Trainer Kuntz ist überwältigt - und die Funktionäre zeigen sich mächtig stolz. Die Reaktionen zum EM-Triumph der U21.

Für Max Meyer, Jeremy Toljan, Serge Gnabry und den verletzt zuschauenden Davie Selke war der Sieg Balsam auf die Seele nach dem verlorenen Olympiafinale vor zehn Monaten. Für Niklas Stark, Marc-Oliver Kempf, Levin Öztunali und auch Selke war es nach dem U 19-EM-Titel 2014 der zweite Juniorentitel. Für Stefan Kuntz, den Trainer, war es der erste Titelgewinn gleich bei seinem ersten Turnier mit der U 21. "Ich freue mich wahnsinnig für die Mannschaft. Wir haben total verdient gewonnen, es ist überwältigend", sagte er.

Über eine erstaunliche erste Halbzeit ist zu berichten, dass der deutsche Torwart Julian Pollersbeck keinen einzigen spanischen Ball parieren musste. Kuntz hatte ja befürchtet, solch iberische Koryphäen wie Gerard Deulofeu, Saúl Niguez und Marco Asensio, die zu den größten Talenten Europas und der Welt gezählt werden, könnten mit seiner Elf "Such's Balli!" spielen, so ballsicher sind sie. Aber dann war das Gegenteil der Fall: Die Deutschen spielten mit den Spaniern Katz'-und-Maus.

Die DFB-Elf hatte mehr und bessere Chancen und ging in der 40. Minute mit 1:0 in Führung, als Mitchell Weiser eine Flanke von Jeremy Toljan über den spanischen Torwart hinweg köpfelte. Es war ein Kopfball, wie ihn auch einst Horst Hrubesch nicht besser gelungen wäre, der Ball senkte sich perfekt in die lange Ecke, er war unhaltbar. Für Weiser war es erst der zweite Kopfballtreffer überhaupt in seiner Karriere, so erklärte er nach dem Spiel - und lobte die Kollegen: "Wahnsinn, ein unglaubliches Spiel. Ich habe noch nie erlebt, wie eine Mannschaft so kämpfen kann."

Denn nach der Pause war die Defensive gefragt. Gut, dass der versierte Innenverteidiger Niklas Stark nach verletzungsbedingter Pause im Halbfinale wieder mitspielen konnte. Arnold, Haberer und Stark sahen binnen fünf Minuten Gelb. Haberer und Philipp droschen die Bälle zur Klärung aufs Tribünendach, Pollersbeck erhechtete einen Fernschuss von Saúl Niguez. Weitere Bälle sausten ihm um die Ohren wie in einer Saloon-Schießerei. Es wurde eng - und immer enger. Doch mit viel Glück und noch mehr Verstand war Deutschland um 22.35 Uhr U 21-Europameister.

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Die Verteidiger Toljan, Kempf, Pollersbeck und Yannick Gerhardt waren als meistbeanspruchte Spieler dieser EM ins Finale gegangen, denn sie hatten als einzige deutsche Spieler schon alle drei Gruppenspiele plus das verlängerte Halbfinale gegen England in voller Länge absolviert. Kuntz, obwohl selbst einst Stürmer, weiß, dass die defensive Stabilität der Schlüssel zu einem Turniergewinn ist.

Das Team könnte eine Ära des Erfolgs begründet haben

Allerdings: So stabil wie im Finale war die deutsche Abwehr im Turnierverlauf nicht immer gewesen. Gegen Italien (0:1) und England (2:2 nach 120 Minuten) hatten sie zu viele Chancen zugelassen. Weil sie sich aber im Umschaltspiel, in der Spieleröffnung und in der Chancen-Kreation umso stärker zeigten, waren Toljan, Kempf und der defensive Mittelfeldspieler Maxi Arnold neben dem Torwart Pollersbeck trotzdem die besten deutschen Spieler im Turnierverlauf. Kempf und Arnold etwa spielten von allen Akteuren im gesamten Turnier die meisten Pässe. Meyer, Weiser, Gerhardt, Stark und Selke spielten insgesamt höchst solide. Einzig Serge Gnabry und Mahmoud Dahoud hingegen enttäuschten vielleicht ein bisschen.

Doch natürlich war das am Freitagabend egal. Dieser Titel wirkt noch beeindruckender, berücksichtigt man, dass in Matthias Ginter, Benjamin Henrichs, Joshua Kimmich, Niklas Süle, Julian Brandt, Emre Can, Leon Goretzka und Timo Werner acht Spieler im U 21-Alter beim Confed Cup spielen; in Jonathan Tah, Leroy Sané und Julian Weigl waren drei weitere verletzt.

Wenn die nächste U 21-EM 2019 in Norditalien gespielt wird, dann sind sieben Spieler aus dem aktuellen Kader erneut spielberechtigt (unter anderen Dahoud, Kehrer und Amiri) sowie mit Werner, Brandt und Henrichs auch noch drei aus dem Confed-Cup-Team. Dann werden die Chancen auf das Finale und den Titel wiederum sehr gut sein. Der deutsche Nachwuchs könnte in Krakau eine Ära des Erfolgs begründet haben.

© SZ vom 01.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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