EM-Qualifikation:Zum Jubeln zu müde

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Auch wenn das Spiel Irland gegen Deutschland unentschieden endete. Einen Star hat dieser Abend dennoch hervorgebracht - wenn auch einen äußerst ungewöhnlichen.

Christof Kneer

Seit Jahren schon ist Thomas Schnelker die Stimme der deutschen Bundestrainer, und längst hat es der DFB-Dolmetscher in seiner Disziplin zu bemerkenswerter Meisterschaft gebracht.

Als Rudi Völler einst in Reykjavik explodierte, hat er ihn sehr schonend übersetzt, und vier Jahre später hat er nun auch dem amtierenden Bundestrainer Joachim Löw einen kleinen Gefallen getan. "Vielleicht ein Glas Wein" werde man trinken, hatte sich Löw auf wiederholte Nachfrage entlocken lassen, was Schnelker für die internationale Presse mit "some bottles of wine or beer" übersetzte. Der Deutsche hat eben einen Ruf zu verteidigen.

Mit dem Feiern war es diesmal aber nicht so einfach. Als die Spieler der deutschen Nationalelf in Dublin endlich den Schlusspfiff empfingen, ließen sie eine Jubelrunde folgen, wie sie in der Geschichte der EM-Qualifikation vermutlich ohne Beispiel ist.

Weder Bier noch Wein kamen zum Einsatz, keinerlei Sekt spritzte, und wenn die Iren so viel Herz gehabt hätten wie im Spiel, dann hätten sie Fritz oder Friedrich jetzt huckepack genommen und in die Fankurve getragen. "Stimmt, es war ein komischer Jubel", sagte Per Mertesacker später, "aber es war ein heftiges Spiel, in das wir viel investieren musste."

Die Deutschen waren zu müde zum Jubeln, und etwas durcheinander waren sie auch. Durften sie überhaupt jubeln nach so einem Ergebnis? "Wir haben ja nicht gewonnen", sagte Mertesacker, womit er den Endstand von 0:0 völlig korrekt interpretierte.

So sieht das also aus, wenn sich eine Mannschaft als erste für die EM-Endrunde im kommenden Sommer qualifiziert. Aber ein Wunder war es nicht, dass den Deutschen die Kraft fehlte, sich an sich selbst zu begeistern - niemand hatte ernsthaft an der Qualifikation gezweifelt, das Spiel war nur noch ergebnisoffener Vollzug.

"Die spielerische Substanz war heute nicht ganz so vorhanden", bilanzierte der Bundstrainer, "aber insgesamt haben wir die Qualifikation mit einem hervorragenden Punktverhältnis und einem sehr, sehr guten Torverhältnis geschafft."

Es war das realistische Fazit eines sehr realistischen Spiels, und wenn man es genau nimmt, dann war selbst dieser arg inspirationsarme Vortrag keine gute Nachricht für die Konkurrenz. Dass die Deutschen neuerdings Fußball spielen können, daran hatte sich Europa gerade gewöhnt, aber dass zu diesem neuen süffigen Fußball auch trockener Realismus gehört, das war nicht abgemacht.

Die Deutschen haben nicht besonders gut Fußball gespielt gegen "aufsässige Iren" (Löw), aber wer den Weg dieser Mannschaft verfolgt hat, dem drängt sich der Eindruck auf, dass die Elf in ihrer Entwicklung wieder eine Ebene höher geklettert ist. "Wir haben heute fußballerisch nicht so überzeugen können, und wenn man das merkt, muss man als Mannschaft intelligent genug ist, um das ergebnisorientiert runterzuspielen", erklärte DFB-Cheftheoretiker Christoph Metzelder.

Diese deutsche Nationalmannschaft, die ihre Karriere unter der Leitung des radikalen Jürgen Klinsmann als Fundi begann, ist in Dublin endgültig zum Realo geworden. Sie sieht jetzt endgültig aus wie der Realo Joachim Löw. "Es gibt keine Zweifel, dass alle DFB-Verantwortlichen die Zusammenarbeit mit Joachim Löw fortsetzen wollen", sagt DFB-Präsident Theo Zwanziger, der den Vertrag mit dem Bundestrainer möglichst noch vor dem Tschechien-Spiel am Mittwoch bis 2010 verlängern möchte.

In Irland hat der Realo Löw sogar noch eine neue Qualität vorgeführt: Er hat bewiesen, dass er sich im Bedarfsfall nicht zu schade ist, seine eigenen Prinzipien zu verachten. In der zweiten Hälfte hat er den Linksverteidiger Jansen ein paar Mal zurückgewinkt, und in der Schlussminute hat er den Rechtsverteidiger Castro für den linken Mittelfeldspieler Trochowski eingewechselt. Es war der mutmaßlich erste Ergebnissicherungs- und Zeitschindewechsel in Löws Bundestrainerkarriere, aber wenn es sein muss, dann macht er auch das.

Deutsche Nationalmannschaften waren immer gefürchtet für ihren Realismus, aber der Realismus dieser Mannschaft ist vermutlich ein anderer. Es ist ein Realismus, der nicht rumpelt. Es ist ein Realismus, der seine Autorität aus einem klaren Spielsystem bezieht, "in dem jeder weiß, was er zu tun hat".

Der Nebensatz des Abends

Das war der Nebensatz des Abends, er wurde gesagt von Bierhofffringsmetzelderhildebrand. Der Star dieser Mannschaft ist das System, das wurde niemals deutlicher als an diesem Abend, an dem man den Eindruck gewinnen konnte, erstmals in der Geschichte des Fußballs habe sich kein Land, sondern eine taktische Formation für eine EM-Endrunde qualifiziert.

Für den Bundestrainer besteht der Wert des Irland-Spiels darin, dass es sein System in den Grenzbereich geführt hat. Zwar durfte Per Mertesacker hinterher unwidersprochen festhalten, "dass die Tiefe unseres Kaders der Schlüssel zur Qualifikation war" - bislang war Löws Deutschland ja in der Tat ein Fass ohne Boden gewesen, nach jedem Verletzungsausfall wurde irgendein neuer Name aus der Tiefe hervorgezaubert.

Im Croke Park in Dublin aber wurde erstmals der Boden des Fasses sichtbar. Ballack, Klose, Schneider, Lahm, Hitzlsperger und Hilbert fehlten ohnehin - und als Schweinsteiger nach zwölf Minuten blutüberströmt das Feld räumen musste, verwandelte sich das Mittelfeld mit Fritz, Rolfes, Frings, Trochowski in eine spielerisch doch ziemlich flache Vier, zumal Frings und Fritz gerade erst aus längeren Verletzungspausen zurückgekehrt sind.

Die Stürmer Kuranyi und Gomez blieben so völlig vom Nachschub abgeschnitten, weshalb sich nun in München Lukas Podolski in der Startelf versuchen darf.

Produktive Spannung durch Konkurrenzkampf

"Wir werden aufpassen, dass die Selbstsicherheit nicht in Selbstüberschätzung übergeht", hat Oliver Bierhoff später noch gesagt. Im Moment haben sie das beste Druckmittel, das sich denken lässt: Sie haben mindestens 35 Spieler, die einen der 23 EM-Kaderplätze ergattern wollen.

Der Konkurrenzkampf soll den Kader in produktiver Spannung halten, denn nun gibt es ja plötzlich drei Testspiele mehr: gegen Tschechien, Zypern und Wales. Nur im Kalender der Uefa firmieren die noch unter: "EM-Qualifikation".

© SZ vom 15.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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