Eisschnelllauf-:Bitterer Eiswein

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Anni Friesinger verliert in Inzell ihren WM-Titel über 1500 m an Cindy Klassen.

René Hofmann

Inzell hat flächendeckend geflaggt. "Anni, du bist super", weht am Geschenke-Stüberl. Über dem Eingang zur Hubertusstube flattert: "Anni, wir sind stolz auf dich." Foto Kehr hat das Schaufenster mit Bildern vom Eisschnelllauf tapeziert; auf sechs lächelt Anni Friesinger mit einem Pokal im Arm.

Auch der Bäcker hat einen Schnappschuss von der berühmten Sportlerin in die Auslage gestellt, darunter steht: "3. bis 6. März 2005 - Einzelstrecken-WM. Wir freuen uns drauf!" Wer sich unvermittelt in die Gemeinde verirrt, dem drängt sich der Eindruck auf, im Ludwig-Schwabl-Stadion steigen bis Sonntag keine Weltmeisterschaften, sondern die Anni-Friesinger-Festspiele.

Anni Friesinger ist 28. Sieben Goldmedaillen hat sie bei Einzelstrecken-Titelkämpfen schon gewonnen, Gold und Bronze bei Olympischen Spielen. Doch ähnlich im Mittelpunkt gestanden, ist sie dabei nirgendwo. "In Inzell", sagt sie, "wünscht man sich halt Medaillen. Und möglichst viele goldige." - "Hier erwarten alle nicht nur Topleistungen. Hier erwarten alle Siege", sagt ihr Trainer Markus Eicher.

Eine Stadt aus Vip-Zelten

8000 Zuschauer fasst das mit Stahlrohrtribünen ausgebaute Eisoval. Davor ist eine kleine Stadt aus Vip-Zelten gewachsen. 14 Kameras hat der Bayerische Rundfunk aufgestellt, eine verfolgt die Läufer erstmals auch durch die Kurven. Ein ähnliches Spektakel hat es beim Eislaufen noch nie gegeben, und auf wen sich die Aufmerksamkeit fokussieren wird, ist klar: Anni Friesinger.

80 Gäste hat alleine ihr Sponsor Triumph in die Chiemgauer Alpen geladen. Ihr Fanklub hat für das Wochenende eigens einen Pressesprecher bestellt. Am Samstag wird der Bürgermeister von Fellbach mit drei Winzern erwartet. Sie überbringen die ersten Flaschen Anni-Friesinger-Eiswein, den sie gerade gekeltert haben.

"Mal schauen, ob es ein guter Jahrgang wird", lacht Manager Klaus Kärcher, der alle fünf Minuten die Mütze wechselt, um all die vielen Firmen zeigen zu können, die er Friesinger zugeführt hat. Die Chancen stehen durchwachsen. An jedem Tag wird seine Klientin bei den Titelkämpfen antreten - am heutigen Freitag über 3000 Meter, am Samstag im Team und am Sonntag über 1000 oder 5000 Meter - aber der erste Auftritt endete nicht im Triumph.

Über 1500 Meter verlor Friesinger am Donnerstag ihren Titel. Sie wurde Zweite, 24 Hundertstelsekunden hinter der Kanadierin Cindy Klassen, die im Duell gegen die US-Amerikanerin Jennifer Rodriguez 1:58,49 lief und Friesingers Freiluft-Rekord (1:58,41) nur knapp verpasste.

Anni Friesinger lächelte wacker bei der Siegerehrung. "Natürlich glänzt Gold mehr als Silber", sagte sie: "Aber heute habe ich alles richtig gemacht. Jetzt habe ich mich freigelaufen. So kann's weitergehen." Einmal will sie in den nächsten Tagen ganz nach oben aufs Siegertreppchen. Mindestens. Mit den Erwartungen ist es wie beim Segeln mit dem Wind: Der kann zu Höchstgeschwindigkeiten peitschen. Oder die Segel zerfetzen.

Wieder unter Bahnrekord

Über 1500 Meter trieben die Erwartungen Friesinger sichtlich an. Die ersten 300 Meter absolvierte sie schneller als bei ihrem Bahnrekord. Mit ruhigen Schritten und stoischem Blick. Es sah kontrolliert aus, gut. Auch noch in der zweiten Runde. Gleichmäßiges Gleiten, konzentrierter Blick.

Wieder blieb sie unter dem Bahnrekord. Daniela Anschütz, die gegen Friesinger antrat, konnte nicht mehr folgen. "Ich hatte gehofft, dass sie beim letzten Wechsel noch einmal vor mich kommt, dass ich noch ein paar Meter in ihrem Windschatten laufen kann", sagte Friesinger: "Ich habe geguckt und geguckt ..." Aber Anschütz kam nicht. Am Ende kostete Friesinger das den entscheidenden Wimpernschlag.

Klassen boten sich zwei Vorteile. Sie lief nach Friesinger, und sie lief mit Rodriguez. Sie konnte sich an den Zwischenzeiten orientieren und sich auf Rodriguez' Windschatten verlassen. "Es ist immer etwas Besonderes, Anni zu schlagen, weil sie so eine starke Gegnerin ist", sagte die 25-Jährige mit einem vielsagenden Lächeln.

Schon im Januar hatte sie der Deutschen eine Enttäuschung beigebracht, als sie ihr den Weltrekord über 1500 Meter entriss. Die eineinhalb Kilometer nennt Friesinger "meine Sahnestrecke". Drei Jahre lang hatte sie alle wichtigen Rennen über die Distanz gewonnen. Zum Auftakt des Heimspiels über die hinterher zu laufen, schmeckt bitter - vor allem, wenn es dafür eine so simple Erklärung gibt.

Beim letzten Weltcup vor der WM hatte sich Friesinger in Heerenveen den kleinen Zeh des linken Fußes geprellt. Sie musste den Wettkampf sausen lassen, was sie in der Weltcup-Wertung zurückwarf und sie den Startplatz neben Klassen im letzten Paar bei der WM kostete. Seit Samstag ist die Schwellung am Zeh abgeklungen. Das Malheur wird Anni Friesinger trotzdem noch lange schmerzen.

© SZ vom 4.3.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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