Eisschnelllauf:Ausbruch aus dem starren System

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Ungewohnter Farbtupfer: der Erfurter Patrick Beckert im Trikot seines niederländischen Klubs bei den deutschen Meisterschaften in Inzell. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Weil er in Deutschland keine Chance für Fortschritt sieht, läuft Patrick Beckert für ein niederländisches Privatteam übers Eis.

Von Joachim Mölter, Inzell

Auf seine Lieblingsstrecke, die 10 000 Meter, hat der Eisschnellläufer Patrick Beckert bei den deutschen Meisterschaften am Wochenende in Inzell vorsichtshalber mal verzichtet: Da war die Konkurrenz mit zwei Mitstreitern ohnehin nicht so groß, als dass eine aussagekräftige Zeit herausgekommen wäre. Also sparte Beckert nach seinen Titelgewinnen über 1500 und 5000 Meter die Kraft lieber für die in zwei Wochen in Calgary beginnende Weltcup-Saison. Die 10 000 Meter stehen dann erstmals am 21. November in der leistungsfördernden Höhenlage von Salt Lake City auf dem Programm, dort, wo er vor vier Jahren auch die nationale Bestmarke über dieser Distanz gelaufen ist in 13:08,54 Minuten. "Es wird langsam Zeit, dass der deutsche Rekord unter 13 Minuten geht", findet Beckert. Um das zu schaffen, hat er sich vor dieser Saison aus Deutschland verabschiedet und in den Niederlanden einem Privatteam angeschlossen, "Team4Gold" nennt sich die Gruppe um die viermalige Olympiasiegerin und 14-malige Weltmeisterin Ireen Wüst, 29, und ihren langjährigen Trainer Rutger Tijssen, 41.

"Ich war mit meinem Latein ein bisschen am Ende", erklärt Patrick Beckert, 25, den Grund für seinen Wechsel, "und dann habe ich halt die Chance bekommen, in der besten Eisschnelllauf-Nation der Welt zu lernen." Der jüngere Bruder der zweimaligen Olympiazweiten und Team-Olympiasiegerin Stephanie Beckert, 27, war im vorigen Winter WM-Dritter über 10 000 Meter geworden; in 13:10,95 Minuten hatte er die erste Einzelmedaille eines deutschen Eisschnellläufers seit dem Jahr 2000 geholt. In der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) waren alle glücklich darüber, was wolle er denn mehr, sei er von den schulterklopfenden Funktionären gefragt worden, erzählte Beckert in Inzell. Eine Olympia-Medaille war seine Antwort, "und dafür werden 13:10 nicht reichen", ist der 25-Jährige sicher. Da hat er wohl recht: 13:10 genügten zuletzt 2002 in Salt Lake City für einen Platz unter den besten Drei.

Der Wechsel ist freilich nicht ohne Risiko: Beckert musste dafür nicht nur sein gewohntes Trainingsumfeld in Erfurt verlassen, sondern vor allem seinen sicheren Platz in der Sportförderkompanie der Bundeswehr aufgeben; da habe die DESG ihre Unterstützung sehr rigoros gekappt, sagt er. Robert Bartko, der neue Sportdirektor des Verbandes, erklärt diese Haltung mit einer Vorgabe des geldgebenden Bundesinnenministeriums: "Wer sich einem Profiteam anschließt, muss sich selbst um seinen Unterhalt kümmern."

Das tut Patrick Beckert jetzt also, aber "finanziell ist es ein großer Einschnitt", gibt er zu. Er bekommt zwar weiterhin noch Geld von der Sporthilfe, ansonsten aber "nur ein kleines Handgeld", weil das erst im Frühjahr gegründete Team noch Sponsoren sucht. Aber diesbezüglich habe man ihm keine Illusionen gemacht, sondern die Situation von vornherein ehrlich geschildert. Die Zusammenarbeit ist vorerst auch nur für diesen Winter vereinbart, "im Sommer ist man immer sehr euphorisch, aber erst während der Saison sieht man, ob's wirklich passt", sagt Beckert, er fügt hinzu: "Ich bin mir bewusst, dass es eine Zeit dauert, bis das Training anschlägt."

Die ersten Monate in dem achtköpfigen Team, zu dem neben Ireen Wüst zwei weitere Frauen gehören, haben ihm aber Mut gemacht, dass sich der "Schritt ins Ungewisse" lohnen wird. Wenn Beckert erzählt, was er in der führenden Eisschnelllauf-Nation der Welt nun alles anders macht, bekommt man einen Eindruck davon, was in der DESG in den vergangenen Jahren alles falsch läuft, und warum der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) nach dem medaillenlosen Debakel von Sotschi 2014 auf eine Neuausrichtung gedrängt hat, die nun sehr langsam umgesetzt wird.

"Seit zehn, fünfzehn Jahren wird immer das Gleiche gemacht und auf andere Ergebnisse gehofft."

Grundsätzlich sei es so, sagt Beckert, dass in Deutschland alle Eisschnellläufer nach dem gleichen Plan trainieren: "Aber ein Trainingsplan für alle funktioniert halt nicht", findet er, "in einem Individualsport sollte man mehr auf die einzelnen Sportler eingehen." Er habe zudem das Gefühl gehabt, "die DESG will lieber Sportler, die blind dem System folgen". Und dabei werde "seit zehn, fünfzehn Jahren immer das Gleiche gemacht und gehofft, dass andere Ergebnisse rauskommen".

Während in Deutschland immer noch große Trainingsumfänge abgearbeitet würden, legten die Eisschnellläufer in den Niederlanden mehr Wert auf Intensität und Pausen. "Bei uns gilt immer noch der Grundsatz, ein freier Tag ist ein verschenkter Tag", sagt Beckert; er habe sich erst an die andere Philosophie des Nachbarlandes gewöhnen müssen: "Wer hart arbeitet, muss auch hart pausieren." Patrick Beckert sagt, "es sei vieles so, "wie ich gern in den letzten Jahren trainiert hätte". Er geht jedenfalls mit frischen Impulsen in diesen Winter.

© SZ vom 02.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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