Eisschnelllauf:Aus dem Schlaf erwacht

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Dreifache deutsche Meisterin 2018: Gabriele Hirschbichler. (Foto: Ernst Wukits/imago)

Nach dürftigen Winterspielen in Südkorea und einem Sommer des Stillstands stellen sich die deutschen Eisschnellläufer neu auf: Der junge Matthias Kulik wird Sportdirektor, der Verband will aber auch an alten Normen und Konzepten festhalten.

In diesem Sommer hat Gabriele Hirschbichler die Chiemgauer Alpen neu entdeckt. Nicht, dass ihr die Orientierung fehlte; sie kennt jeden Gipfel im Umkreis, sie lebt in Inzell. Aber in den vergangenen Monaten war sie mit ihrer kleinen Eisschnelllauf-Trainingsgruppe in Turnschuhen oder auf dem Rad fast ausschließlich in dieser Ecke Oberbayerns unterwegs. Das sei auch mal schön, sagte sie, als sie am Sonntag drei Meistertitel gewonnen hatte, "da merkt man erst wieder, was das für eine tolle Gegend ist, gerade für Sportler". Denn die üblichen Trainingsreisen waren fast komplett ausgefallen, ebenso die sonstigen Lehrgänge. Es gab ja auch keinen Sportdirektor mehr im Verband, der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft. Geschweige denn einen Bundestrainer. Schon im März, nach der dürftigen, medaillenlosen Bilanz der Olympischen Winterspiele hatte das sportliche Führungsduo, Sportdirektor Robert Bartko und Cheftrainer Jan van Veen, entnervt aufgegeben und sich aus der Verantwortung zurückgezogen. Danach wollte der Verband "vor allem erst einmal Ruhe haben", erklärte die ehrenamtliche Präsidentin Stefanie Teeuwen nun bei den deutschen Meisterschaften in Inzell. Denn der abrupten Trennung von Bartko sei damals "ein Aufschrei gefolgt". Und Ruhe zumindest fand die Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) den Sommer über. Die offenen Stellen wurden ausgeschrieben, aber zunächst nicht besetzt, weil die Geldgeber im Sportdachverband DOSB und Innenministerium über die Etats der Wintersportverbände noch nicht entschieden hatten. Unterdessen orientierten sich die Athleten an alten Trainingsplänen, oder sie improvisierten.

Sogar der Vertrag des langjährigen Presseverantwortlichen lag mehrere Monate auf Eis. Erst in Inzell, als die letzten Titel vergeben waren, ist der Verband nun aus seinem siebenmonatigen selbstverordneten Heilschlaf erwacht. Mit neuer Energie, wie die Präsidentin verkündete. Am Sonntagabend, als die letzten Zuschauer die Halle schon verlassen hatten, rief die DESG die Athleten zusammen, um ihnen den neuen Sportdirektor, den Münchner Matthias Kulik, 34, vorzustellen. Kulik ist mit den Strukturen im Verband vertraut, er war zuletzt als Leistungssportreferent für die olympische Disziplin Shorttrack zuständig. Des Weiteren wurde bekanntgegeben, dass der Nachwuchs-Bundestrainer, der Niederländer Erik Bouwman, in diesem Winter auch Ansprechpartner für den A-Kader ist und über die Weltcup-Nominierungen entscheidet. Auf den Reisen werden die schnellsten Kufenläufer dann von den Heimtrainern aus Inzell und Berlin, Danny Leger und Daan Rottier, begleitet. "Es freut mich, dass sich die Räder im Verband wieder drehen", sagte Sprinter Nico Ihle, der in Inzell den Meistertitel über die 500-Meter-Distanz gewann, "es hatte ja doch lange Stillstand gegeben."

Ihle ist besonders davon angetan, dass die Athleten diesmal persönlich von höchster Stelle über die Veränderungen in Kenntnis gesetzt wurden. In der Vergangenheit hatten die unterschiedlichen Schnellläufer-Fraktionen oft mehr übereinander als miteinander geredet. Revolutionen aber, das machten Verbandschefin Teeuwen und der De-facto-Bundestrainer Bouwman klar, sind auch nach der Null-Medaillen-Ausbeute bei Olympia nicht zu erwarten. Ebenso wenig wird es eine rasche Rückkehr zu goldenen Zeiten geben wie jenen, als noch Kufenflitzer vom Range einer Anni Friesinger, Gunda Niemann-Stirnemann und Claudia Pechstein jede Bilanz veredelten. Denn die Konzepte, die das abgewanderte Duo Bartko und van Veen im März hinterließ, sind nach wie vor gültig.

Weil es dem Verband vermutlich noch auf Jahre an vielversprechenden Nachwuchsathleten fehlen wird, sollen die Besten in Zukunft sehr viel enger zusammenarbeiten. An dieser Maxime wird sich so wenig ändern wie an den strengen Richtzeiten, die über die Nominierung für Wettkämpfe entscheiden. "Dieser Weg war nicht falsch", sagte Teeuwen, "und wir werden ihn weitergehen." Gerade die Normzeiten für jüngere Athleten waren in der Vergangenheit von manchen Trainern kritisiert worden, weil sie bei den Jugendlichen bisweilen demotivierend wirkten. Laut Präsidentin aber lassen die Vorgaben der Sportdachverbände den Eisschnellläufern wenig Spielraum. Auch die sogenannten Insellösungen soll es in Zukunft dann nicht mehr geben: Viele der erfolgreichsten Athleten der DESG, etwa der Sprinter Nico Ihle in Chemnitz, der Langstreckler Patrick Beckert in Erfurt oder Claudia Pechstein in Berlin, haben in der Vergangenheit in ihrem gewohnten Umfeld trainiert, während der Bundestrainer den Rest der Kaderathleten an einem Ort zusammenzog.

Allzu schnell, auch das machte Teeuwen deutlich, wird sich an den Inseln aber nichts ändern können. Denn Ihle, 32, Beckert, 28, und Pechstein, 46, gehörten bei den Meisterschaften noch immer zu den Besten. Auch Gabriele Hirschbichler, die drei Meistertitel über 500 Meter, 1000 Meter und 1500 Meter gewann, ist 34 Jahre alt. Sie hat sich im Chiemgau übrigens mit ihrer Trainingsgruppe nach den alten Plänen vorbereitet.

© SZ vom 06.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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