Eishockey:Einer geliebt, einer gehasst

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Eine Rede, schwerer als jedes Spiel: Steven Reinprecht, bevor sein Trikot in Nürnberg unters Hallendach gezogen wurde. (Foto: imago/Zink)

Welche Emotionen Vereinstreue bei Eishockey-Fans auslösen kann: Die Nürnberg Ice Tigers ehren Rekordspieler Steven Reinprecht - und empfangen Yasin Ehliz, der nun für München aufläuft.

Von Christian Bernhard

Steven Reinprecht hatte so seine Probleme mit den Zetteln, die vor ihm auf dem Pult lagen. Immer wieder drohten sie ihm wegzuflattern, er musste sie einfangen wie eine trudelnde Scheibe, die partout nicht am Schlägerblatt kleben will. Reinprecht lächelte, während er versuchte, die Zettel im Zaum zu halten. "Es ist viel leichter, in einer ausverkauften Halle Eishockey zu spielen, als eine Rede zu halten", sagte er, als er eine ganz besondere Rede hielt. Knapp 8.000 Menschen lauschten den Worten des 42-jährigen Kanadiers, der seit Mai kein Eishockeyprofi mehr ist. Dann blickten sie gemeinsam mit ihm und seiner Familie, die er ganz eng an sich drückte, nach oben und verfolgten, wie seine Trikotnummer 28 unter das Hallendach gezogen wurde.

Der Freitagabend war ein hochemotionaler für das Nürnberger Eishockey. Ice-Tigers-Geschäftsführer Wolfgang Gastner nannte ihn "historisch", als er Reinprechts Verdienste aufzählte. 313-mal hatte der Stürmer das Trikot der Franken getragen, 330 Scorerpunkte gelangen ihm zwischen 2012 und 2018 darin. Nicht nur in Nürnberg war sein Name ein Synonym für Eleganz, Spielkultur und Sportsgeist. "Keine Frage", sagte Don Jackson, der erfolgreichste Trainer der Geschichte der Deutschen Eishockey Liga (DEL), "er war einer der Elite. Ich ziehe meinen Hut vor ihm." Auf den Rängen verdrückten einige ein paar Tränchen, als Reinprecht seine Zeit in Nürnberg Revue passieren ließ. Besonders emotional wurde es, als er erzählte, was sich am Tag ihrer Rückkehr nach Nürnberg im Auto abgespielt hatte. Seine Ehefrau Sarah sagte dort, wieder in Nürnberg zu sein, fühle sich wie zuhause an. Tochter Mette korrigierte sie prompt: Mama, sagte sie, das ist Zuhause.

Nur einmal gab es während Reinprechts Rede Pfiffe - und das hing mit der zweiten Person zusammen, die diesen Nürnberger Eishockeyabend noch emotionaler machte, als er eh schon war. Reinprecht bedankte sich bei seiner Familie, bei Thomas Sabo, bei Patrick Reimer - und bei Yasin Ehliz. Dieser stand nur wenige Meter entfernt, allerdings nicht in einem Ice-Tigers-Trikot, sondern im Dress des EHC Red Bull München. Nach seinem Wechsel zum deutschen Meister kehrte er am Freitag erstmals als Gegner nach Nürnberg zurück - und bekam die volle Ladung Unmut ab. Oliver Mebus brachte es auf den Punkt: "Das war eine sehr, sehr emotionale Kiste heute", sagte der Nürnberger Verteidiger, "und wir konnten unsere Emotionen richtig kanalisieren." 4:1 siegten die seit Saisonbeginn schwächelnden Ice Tigers, obwohl sie 0:1 zurückgelegen hatten .

"Da muss Yasin jetzt leider durch", sagt Nürnbergs Kapitän Reimer

Für Ehliz war der Abend ein Spießrutenlauf. Als Reinprecht vor dem Spiel mit seiner Familie vom Eis ging, winkte Ehliz den zwei Kindern zu. Er lächelte dabei, so wie wenige Minuten zuvor, als sich Reinprecht in seiner Dankesrede auch bei Ehliz und Reimer bedankt hatte, die jahrelang seine Reihenkollegen gewesen waren. Diese zwei Momente sollten die einzigen schönen des Abends für Ehliz bleiben. Jedes Mal, wenn er aufs Eis kam, wurde er gnadenlos ausgepfiffen. Am Ende hatte er nicht nur zusammen mit seinen EHC-Kollegen das Spiel verloren, sondern war in jener Halle, in der er knapp acht Jahre lange gespielt hatte, auch in seinem achten DEL-Spiel für München ohne Scorerpunkt geblieben.

Die Nürnberger Kurve beschimpfte ihn mit Sprechchören, das ging für Patrick Reimer zu weit. Nürnbergs Kapitän konnte die Emotionen und Enttäuschung der Fans nachvollziehen, jene Gesänge verurteilte er aber. "Das muss nicht sein", sagte er. Im Schlussdrittel, als sich der Nürnberger Sieg immer mehr abzeichnete, hallten "Ohne Reino kann der Ehliz nix"-Chöre durch die Arena. Reino ist Reinprechts Spitzname. Nach Spielschluss entrollten die Nürnberger Fans ein letztes von vielen Transparenten, "charakterloser Söldner" war darauf zu lesen. Von einigen seiner Ex-Teamkollegen wurde er aufgemuntert, dann winkte er den Münchner Fans zu und huschte in die Gäste-Kabine. Das Letzte, das er auf dem Eis zu sehen bekam, war ein Klatschkarton aus Pappe, der ihm von der Tribüne entgegenflog und ihn nur knapp verfehlte. "Da muss Yasin jetzt leider durch", sagte Reimer, der ihn bei der Verabschiedung auf dem Eis herzlich umarmte hatte. "Aber das wird ihn auch nur stärker machen."

Kurz nachdem Ehliz in die Katakomben verschwunden war, kehrten die Ice-Tigers-Spieler für die Ehrenrunde zurück aufs Eis. Mitten unter ihnen im eleganten Maßanzug: Steven Reinprecht. Zusammen mit seinen Ex-Teamkameraden kniete er vor der Kurve nieder und feierte mit den Fans, die sein Trikot nun bei jedem Heimspiel betrachten können. Bei der Rückkehr in die Kabine sagte Reimer lächelnd: "Wir haben den Geist von Reino gespürt."

© SZ vom 09.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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