Radsport:Ein Ruderer wird erster virtueller Radweltmeister

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Jason Osborne ist eigentlich Leichtgewichtsruderer. (Foto: imago)

In einem Hotelzimmer in Portugal kürt sich der Mainzer Jason Osborne zum ersten eCycling-Weltmeister der Geschichte. Ein Konkurrent hilft dem Deutschen dabei - per Tipp aufs Smartphone.

Von Johannes Bauer

Zu seinen Gegnern zählten ein Weltrekordhalter, ein Weltranglistenerster und ein Seriensieger über die halbe Ironmandistanz. Seine Konkurrenten waren begabte und erfahrene Radsportler. Aber genutzt hat ihnen das wenig. "Waren halt große Namen da auf der Liste", sagt Jason Osborne am Telefon, wenn er über das Teilnehmerfeld des Wettbewerbs spricht, der ihn groß rausgebracht hat. Osborne, 26, ein Leichtgewichtsruderer aus Mainz, ist seit vergangenem Mittwoch der erste, offiziell vom Weltradsportverband UCI gekürte Weltmeister im eCycling, dem virtuellen Radsport.

Noch vor ein paar Wochen war die Trennung in seinem Athleten-Leben ein wenig klarer. Bei den Olympischen Spielen in Tokio 2021 will Osborne als Ruderer starten, er ist schon qualifiziert. Er war Weltmeister im Einer und WM-Dritter im Doppelzweier, doch sein Plan sieht vor, noch eine olympische Medaille zu gewinnen, bevor er seine Karriere als Ruderer beenden will, um sich anschließend als Profi auf dem Velo zu versuchen, analog. "Ich bin ein Anwärter, um in Zukunft hoffentlich ein guter Radfahrer zu werden", sagt er.

Der Abschied aus dem Wasser ist aber kein ganz freiwilliger. Das IOC hat beschlossen, Leichtgewichtsrudern aus dem olympischen Programm zu streichen. Diesen Schritt hat das Komitee aufgrund der Corona-Pandemie allerdings seit ein paar Tagen offiziell vertagt; Osbornes Bootsklasse, der Leichtgewichtsdoppelzweier, bleibt definitiv bis Paris 2024 olympisch. Über diese "Hintertür" habe er sich gefreut, sagt er - und doch war die Abfolge der Ereignisse kurios: Am 7. Dezember gab das IOC den Entschluss bekannt, der für Osborne bedeutet, noch etwas länger ein Ruderer sein zu können; am 9. Dezember war die eCycling-WM.

Das Radfahren, sagt Osborne, sei schon jetzt für ihn mehr als eine Ausgleichssportart: "Dieses Jahr hab' ich auf dem Rad knapp 20 000 Kilometer absolviert." Er sei "natürlich" mit Respekt an den Start gegangen, aber ohne Furcht vor den Größen im Starterfeld, vor Sportlern wie den Belgiern Victor Campenaerts und Eli Iserbyt oder dem Kanadier Lionel Sanders. "Physisch bin ich auf einem guten Level", sagt Osborne - was wohl auch daran liegt, dass er mit den Ruderern im Trainingslager in Portugal war, als er die Rad-WM vor dem Bildschirm fuhr. Im Team-Hotel stand ihm der Konferenzraum zur Verfügung.

Osborne baut im Hotel sein Rad auf

Er baute also seinen Rollentrainer auf, der an die App "Zwift" gekoppelt ist - eine Anwendung, die die Steigungen der Strecke an die Rolle weitergibt und im Gegenzug Osbornes Leistungsdaten misst, um die Position seines Avatars im virtuellen Rennen zu bestimmen. Der echte Osborne sah seiner per Beamer an die Wand geworfenen Projektion dabei zu, wie er in der virtuellen Welt namens Watopia dem Sieg entgegenfuhr. Er sah, wie sein Teamkollege Jonas Rapp am letzten Anstieg den Angriff einleitete. Wie abgesprochen trat er aus Rapps Windschatten und übernahm die Führung.

Um auf Nummer sicher zu gehen, nutzte er kurz vor Schluss einen sogenannten Power-Up, eine Besonderheit im virtuellen Rennen: Zwei Power-Ups stehen jedem Teilnehmer zur Verfügung, um seinem Avatar noch etwas mehr Schwung zu verleihen. Dafür, erzählt Osborne, musste ein belgischer Ruderer im Hotel, sonst ein Konkurrent, für ihn aufs Smartphone tippen. So fiel es nicht ins Gewicht, dass der Rollentrainer auf den letzten 50 Metern einen Ausfall hatte. Osborne überquerte die Ziellinie als Erster und ist nun der erste eCyling-Weltmeister der Geschichte. Er sagt: "Man fühlt sich wie ein echter Weltmeister."

Nun ist der virtuelle Radsport zwar spätestens zu einer bedeutenden Sparte geworden, als die ersten Rennen auf der Straße wegen der Pandemie in diesem Jahr ausfielen. Die Tour de Suisse zum Beispiel wurde im Frühjahr virtuell gefahren. Die German Cycling Academy als Trainings- und Wettkampfstätte für virtuellen Radsport in Deutschland gibt es seit 2019. Allerdings sorgen die Events bei Radsportpuristen wohl weiterhin für Stirnrunzeln.

Osborne bescheinigt den Straßenradfahrern einerseits eine "coole Community", will bei einigen aber einen Blick von oben herab beobachten haben auf Quereinsteiger wie ihn - insbesondere wenn sie zunächst bei virtuellen Formaten für Furore sorgen. Aber die Leistungen bei diesen Rennen sind genauso echt wie das begehrte Regenbogentrikot des Weltmeisters, das Osborne in den kommenden Tagen erhalten wird. "Die Quereinsteiger sind so ein bisschen im Anmarsch", glaubt er.

Nach seinem Triumph hat sich Jason Osborne aber erst mal wieder mit der sportlichen Gegenwart beschäftigt. "Direkt am Tag nach der WM", sagt er, habe er trainiert. Im Ruderboot.

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