Drogenskandal:Fahrten in die Sucht

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Der Prozess um Drogenschmuggel im französischen Radsport zeigt die Weiterungen des Dopingproblems. Ein Problem, dem mit Tests allein nicht mehr beizukommen ist.

Thomas Hahn

Die letzte Ausfahrt, über die er seinen Sport als halbwegs ehrenhafter Mann hätte verlassen können, hatte Laurent Roux, 33, ehemaliger Radprofi aus Lot, schon vor langer Zeit verpasst, als er am Montag dieser Woche den Gerichtssaal in Bordeaux betrat.

Seine verpfuschte Sportkarriere lag längst hinter ihm. Er hatte sie 2003 beendet, nachdem er zum zweiten Mal nach 1999 mit Amphetaminen im Blut erwischt und für vier Jahre gesperrt worden war vom internationalen Sportgericht Cas in Lausanne. Es folgten Depressionen, die Flucht zurück zur Droge, die er aus seiner Zeit als Sportler kannte, zum Pot Belge, einem Cocktail aus Amphetaminen, Koffein, Kokain und Heroin.

Und den Roux bald auch zu vertreiben half mit seinem Bruder Fabien, um sich den Stoff selbst leisten zu können. Im Januar 2005 wurde er verhaftet nach Razzien gegen einen Schmugglerring um den Betreuer Freddy Sergant. Jetzt also trat er vor den Richter, um zu retten, was noch zu retten war.

Dabei ist natürlich nichts mehr zu retten gewesen für Laurent Roux, es ging nur noch um ein paar Monate Gefängnis mehr oder weniger, um ein bisschen Aufsehen vor der Verurteilung und eine letzte Geste, mit der er sich als Kronzeugen einer verseuchten Sportart inszenieren wollte.

Erhellendes Geständnis

Am Ende stand da das erhellende Geständnis eines Mannes, der sein Unrecht als verirrtes Mitglied einer verirrten Sportlerfamilie schon viel früher hätte begreifen müssen. Und eine neuerliche Erinnerung daran, dass der Sport ein Drogenproblem hat, dem mit Antidopingtests allein nicht beizukommen ist.

Die ganze Angelegenheit war ins Rollen gekommen, weil der Französische Radsportverband (FFC) der Staatsanwaltschaft Cahors die Akte aus dem Schadenersatzverfahren gegen einen Amateurfahrer geschickt hatte, der positiv auf Amphetamine getestet worden war und den Namen seines Dealers genannt hatte.

Drogen im Wert von 188 100 Euro stellte die Polizei danach sicher, berichtet die Sporttageszeitung L'Équipe, der folgende Prozess zog sich über eineinhalb Jahre hin, 23 Personen, unter anderen die Gebrüder Roux, Laurent Biondi, der frühere stellvertretende Sportdirektor bei AG2R, und der frühere Mountainbike-Weltmeister Christophe Dupouey kamen vor Gericht wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz und das Antidopinggesetz.

Die Staatsanwaltschaft hat vor der Urteilsverkündung am Donnerstag vier Jahre Haft für Sergant beantragt, und zweieinhalb Jahre für Laurent Roux, von denen ihm 18 Monate zur Bewährung erlassen werden sollen.

"Gedopt oder nicht?"

Laurent Roux' Aussagen sind deutlich. Er lässt keinen Zweifel daran, dass ihm keine andere Wahl blieb, im Sumpf mitzuwaten, wenn er als Radprofi vorankommen wollte. FFC-Anwalt Paul Mariac zählte im Gerichtssaal von Bordeaux seine Erfolge auf.

Sieg beim Classique des Alpes, Sieg bei der Tour d'Avenir, Etappensieg beim Giro d'Italia. Um anschließend zu fragen: "Gedopt oder nicht?" Laurent Roux schwieg kurz. Dann sagte er "Ja!" Epo, Wachstumshormone, Cortison, Testosteron waren die Schrittmacher seiner Karriere. "Ich habe die grundlegenden Sachen genommen, wie man das eben gemacht hat zu dieser Zeit." Er sagte: "Wenn man Sportler ist, ist man da, um zu gewinnen." Aber "die Produkte fallen nicht vom Himmel. Man gibt Ihnen Ratschläge, man liefert Ihnen Produkte, und das sind Ärzte, die das tun".

In manchen Mannschaften seien "Ärzte teurer als die Fahrer". Am Anfang sei die Medikation noch harmlos gewesen. Glucose-Infusionen, Mineralien. Dann wurden die Mittel schärfer. "1995, als ich anfing, Resultate zu haben, hat mir der Arzt von Castorama vorgeschlagen, Cortison zu nehmen."

Laurent Roux erzählte, dass er lange den Drogen widerstanden habe, dass die Szene ihn deshalb als Außenseiter behandelt habe, dass er schließlich dem Druck nachgab. Zweimal ging er den Fahndern in die Falle. Danach ging er zu Sergant. Er brauchte den Pot Belge gegen die Depressionen. Laurent war süchtig und rutschte immer tiefer ins Drogenmilieu.

Laurent Roux hat auch erzählt, dass der Belgische Pott wie eine Modedroge in der Radsportszene kursierte, dass die berauschende Mixtur gerade bei den Partys der Fahrer aus Frankreichs Südwesten mit ihren Fans umging. Und in diesem Zusammenhang hat sein Bruder Fabien einen großen Mann des Radsports belastet.

"Die Produkte wurden angeboten durch die Fahrer, die eingeladen hatten", sagte Fabien Roux vor dem Prozesspublikum aus. 2000 bei einer Feier der Brüder Jalabert sei er damit zum ersten Mal in Kontakt gekommen.

Laurent Jalabert, 37, ist einer der erfolgreichsten Radprofis Frankreichs, Einzelzeitfahr-Weltmeister 1997, Vuelta-Gewinner 1995, fünfmaliger Etappensieger bei der Tour de France und seit seinem Rücktritt 2002 ein beliebter Radsportkommentator.

So ist dieser Fall nun auch eine Affäre Jalabert, und das passt ins Bild. Jalabert soll einst bei dem Blutdoping-Experten Michele Ferrari in Behandlung gewesen sein, gegen den Ende der neunziger Jahre die italienische Staatsanwaltschaft ermittelte.

"Mein Leben ist ein Albtraum"

In Spanien wurde jüngst sein früherer Mentor Manolo Saiz wegen dringenden Dopingverdachts verhaftet. Und bei der Skandal-Tour 1998, als die Polizei beim Team Festina systematisches Doping aufdeckte, war er der Rädelsführer eines Fahrerstreiks. Für Jalabert selbst ist die Roux-Aussage wiederum höchst unangenehm, gerade mit Blick auf die Tour de France, die am 1. Juli beginnt und bei der er wieder sein Expertenwissen verkaufen will.

L'Équipe, für die Jalabert Kolumnen schreibt, hatte schon ein Interview mit ihm. Darin sagt er, dass er nichts wisse vom Pot-Belge-Konsum auf den Partys seines Fanklubs. Mehr noch: "Ich weiß nicht, wer Fabien Roux ist." Und er erklärt, dass die Polizei ihn im Winter 2005 eine Stunde lang vernommen habe während ihrer Ermittlungen zu dem Schmugglerring um Freddy Sergant.

Er entwickelt Verschwörungstheorien, er sagt: "Mein Leben ist ein Albtraum." Und er zeigt sich besorgt über den Zustand des Radsports - oder über seinen eigenen, so genau ist das nicht zu unterscheiden.

© SZ vom 23.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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