Draft im amerikanischen Basketball:Traumfabrik der Lulatsche

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Demnächst in Los Angeles? Moritz Wagner (links) hat die Aufmerksamkeit vieler Talent-Scouts erregt und bei den Lakers auch schon vorgespielt. (Foto: David J. Phillip/dpa)

In der Nacht auf Freitag steigt die jährliche Talente-Ziehung für die NBA. Chancen auf einen Platz in einem Team haben auch einige Deutsche - wie Moritz Wagner, der zuletzt im US-College-Halbfinale alle hingerissen hat.

Von Jonas Beckenkamp

Wer etwas werden will im Basketball, träumt von diesem Moment wie andere vom Sechser im Lotto: die Draft in der NBA. In der Nacht von Donnerstag auf Freitag steigt sie in New York. Auf diesen Karrierebeschleuniger dürfen diesmal auch einige deutsche Korbwerfer hoffen. Draft - das klingt in deutschen Ohren noch immer sehr amerikanisch, und in gewisser Weise ist dieses Prozedere der Talent-Auswahl natürlich ein typisches US-Sport-Ereignis: Basketball wird zur Traumfabrik für die Jugend.

Bei der Draft werden bisher wenig dekorierte Sportler mit einem Kameraschwenk berühmt. Es beginnt die Zeit der ersten lukrativen Verträge, wenn NBA-Klubs aus einer Liste ihre Zukunftshoffnungen auswählen und diese auf die Bühne bitten. Auf der Liste befinden sich dieses Mal gleich drei Deutsche: Moritz Wagner (21, bisher am College in Michigan), Richard Freudenberg (19, Frankfurt Skyliners) und Isaac Bonga (18, ebenfalls Frankfurt). Der Trend zum deutschen Dribbler in Amerika hätte sogar noch deutlicher ausfallen können, wenn nicht im letzten Moment drei weitere Bundesliga-Talente ihre Meldung für die NBA-Lotterie zurückgezogen hätten. Leon Kratzer (21, s. Oliver Würzburg), Louis Olinde (20, Brose Bamberg) und Karim Jallow (21, FC Bayern) haben diesmal nur ihren Marktwert geprüft und in diversen NBA-Camps vorgespielt. Ernsthaft versuchen wollen sie es erst 2019.

Der Slowene Luka Doncic wird gleich zu Beginn vergeben. Er gilt als Europas größtes Versprechen.

Die besten Chancen, demnächst ein NBA-Trikot zu tragen, hat ohnehin der gebürtige Berliner Wagner, der kürzlich beim Uni-Spektakel March Madness ein paar eindrucksvolle Empfehlungsbilder ablieferte - und zwar im landesweiten Fernsehen, wo College-Basketball mitunter mehr Fans erreicht als die NBA.

Basketball aus Deutschland hat also Zukunft, dafür steht der Centerspieler aus der Jugend von Alba Berlin. "Ich bin stolz auf den deutschen Vibe, ist doch klasse", sagte Wagner, als er kürzlich bei einigen Klubs vorspielte. Dass im US-Basketball Menschen aus Würzburg, Braunschweig oder Heidelberg eine Plattform bekommen, ist längst nicht mehr neu: Mit Dirk Nowitzki und Maxi Kleber (beide Dallas Mavericks), Paul Zipser (der die Chicago Bulls wohl verlässt), Dennis Schröder (den es aus Atlanta wegzieht) und Daniel Theis (Boston Celtics) spielten zuletzt bereits fünf Deutsche in der besten Basketballliga der Welt - so viele wie nie zuvor.

Hinzu kommt der 20 Jahre alte Isaiah Hartenstein, der das Bohei einer Draftnacht schon hinter sich hat. Er wurde im vergangenen Jahr von den Houston Rockets gewählt und zunächst in der zweiten Mannschaft des Klubs, dem Farmteam, geparkt. Auch ihm ist bei ordentlichen Leistungen im Sommer-Trainingscamp zuzutrauen, einen Kaderplatz an der Seite von Größen wie James Harden oder Chris Paul zu bekommen. "Die NBA bedeutet alles für mich. Seit ich ein Kind bin, träume ich davon, dort zu spielen", erzählte der 2,11-Meter-Lulatsch dem Kölner Express.

"Wahrscheinlich werde ich im Juni einen NBA-Vertrag unterschreiben. Ich habe nach der letzten Saison gutes Feedback bekommen und die Coaches sind sehr zufrieden mit mir", berichtet der Sohn des früheren Bundesligaprofis Florian Hartenstein. Isaiah Hartenstein und Moritz Wagner gelten als Typen, die im modernen Spiel besonders gefragt sind: lang, beweglich, treffsicher auch von jenseits der Dreierlinie. Speziell Wagner, in Michigan nur "Moe" genannt, hat sich an der Uni zur Attraktion entwickelt. Seit er im Final Four der besten College-Mannschaften in einer Partie 24 Punkte und 15 Rebounds sammelte, gilt er bei zahlreichen Draftologen sogar als möglicher "First-Round-Pick", als erste Wahl, genauer: eine Wahl in der ersten Runde. Ausgewählt werden die Talente ja in zwei Durchgängen - mit jeweils 30 Picks, verteilt auf alle NBA-Teams. Die ersten drei Zugriffsberechtigten sind in diesem Jahr die Phoenix Suns, die Sacramento Kings und Atlanta. Bei einem dieser Klubs wird wohl Europas größtes Versprechen landen: der 19 Jahre alte Slowene Luka Doncic von Real Madrid. Moritz Wagner dürfte etwas später an der Reihe sein, er kommt damit für Standorte wie Utah, Indiana oder die LA Lakers (wo er bereits zum Tryout vorspielte) in Frage. Sein facettenreiches Spiel und seine Wettkämpfer-Attitüde kennen die Klubmanager mittlerweile. Und sie kennen auch die Vergleiche mit Dirk Nowitzki, die Wagner nicht unbegründet begleiten. Er selbst hat daran seinen Anteil. Bekannt gegeben hatte Wagner seine NBA-Ambitionen in einem Essay im renommierten Magazin The Players Tribune. Dort erzählte er von seinen Anfängen als Jugendlicher, von seinem Vorbild Nowitzki und auch von seinem Lebensmotto: "Alle Träume klingen verrückt.

Bis sie wahr werden." Seit 2011 hat ihn ein Nowitzki-Poster erst durch seine Schul- und dann durch seine Collegezeit begleitet. "Es hat mich jeden Tag daran erinnert, dieser Junge kommt aus deinem Land, er wurde zum NBA-Allstar, zum MVP, holte den Titel. Und dabei war er nicht lange davor nur ein Teenager aus Deutschland, wie ich", sagt Wagner. Ein solcher Teenie ist auch Isaac Bonga noch. Mit gerade 18 Jahren ist er der jüngste aller 60 Draft-Kandidaten, dabei bringt er bereits Länderspiel- und Playoff-Erfahrung in der Bundesliga mit. Gegen Meister FC Bayern zeigte er vor wenigen Wochen in der ersten Runde mehrmals sein Können, das vor allem auf seiner Physis beruht. Bei einer Größe von 2,03 Meter ist er als Spielgestalter für den Bizeps-Basketball in den USA besonders geeignet, schließlich sind dort alle einen Kopf größer und breiter. In Amerika ist er Fachkreisen schon aufgefallen, nur sein wackeliges Händchen bei Weitwürfen brauche noch Schliff, heißt es in einschlägigen Internetforen.

Weil die Amerikaner der Draft entgegenfiebern wie sonst nur dem Super Bowl, existieren reihenweise Prognosen und Rankings, die junge Basketballer wie Bonga einstufen. In einer durchaus ernst zu nehmenden Vorhersage des Senders ESPN wird Bonga aktuell auf Position 49 geführt und könnte somit eine Option für die San Antonio Spurs sein. Ob ein NBA-Klub das Wagnis eingeht, einen 18 Jahre alten Deutschen zu holen, der noch einiges an wohlwollender Betreuung benötigt, ist eine andere Frage. Denkbar ist in Bongas Fall daher auch der Weg, den Hartenstein ging: Ein Klub sichert sich erst einmal die Rechte an ihm, um ihn dann noch einmal zum Praktikum auszuleihen. Ein, zwei Jahre Aufbauarbeit zwischen Farmteam und Frankfurt, ehe ein endgültiger NBA-Versuch mit Reife im Gepäck mehr Sinn ergibt. Eine entscheidende Rolle spielen bei der Rekrutierung schließlich die Kaderplanungen der Klubs. Hartenstein kommt zu Gute, dass die Houston Rockets gerade Bedarf an großgewachsenen Spielern haben; Bonga könnte vor allem dann eine Chance bekommen, wenn ein Team einen Neuaufbau forciert und Raum für den Nachwuchs schafft.

Dass eine NBA-Franchise sich für Richard Freudenberg erwärmt, ist derweil schwer vorstellbar. Der Flügelspieler und frühere FC-Bayern-Profi nimmt wegen seines College-Aufenthalts an der New Yorker Universität St. Johns (wo er 2016/17 spielte) automatisch an der Draft teil - seine Aussichten sind als BBL-Neuling ohne übermäßiges Potenzial aber begrenzt. Hoffen auf Zufälle und Lotterieglück darf er wie Bonga trotzdem, findet sein derzeitiger Chef, Frankfurts Geschäftsführer Gunnar Wöbke: "Die Nacht vom 21. auf den 22. Juni ist für Isaac und Richard und ihre Familien eine ganz besondere, denn der NBA-Draft ist im wahrsten Sinne des Wortes ein einmaliges Erlebnis. Das erlebt man maximal einmal in einer Karriere und beide haben jahrelang darauf hingearbeitet." So ist das mit Träumen - sie sind unbedingt gestattet.

© SZ vom 21.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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