Doping:Von Betrüger zu Betrüger

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Je mehr Spitzensportler des Dopings überführt werden, desto mehr Medaillen gehen auf Wanderschaft und an die Zweitplatzierten - eine zweifelhafte Strategie. Kriegt jetzt vielleicht Tommy Haas das Sydney-Gold von Jan Ullrich?

Thomas Kistner

Es gibt Dinge am Sport, die nicht so schön sind. Zum Beispiel, dass Glanzpunkte wie Olympia und Tour de France nur einmal oder sogar nur alle zwei Jahre stattfinden.

Goldjunge: Jan Ullrich bei der Olympiade in Sydney im Jahr 2000 (Foto: Foto: AP)

Da ist es um so erfreulicher, dass die Medaillenzeremonien nun bald rund ums Jahr veranstaltet werden, ja, die Verbände kommen mit dem Umverteilen nicht mehr nach.

Der Tour-Sieg 2006 hat jüngst wie das Fleckfieber vom Dopingsünder Floyd Landis auf den Spanier Oscar Perreiro gewechselt, dem aber auch schon der Ruch des Vergänglichen anhängt, weil er auf der Kundenliste des Blutpanschers Eufemiano Fuentes identifizierbar war (bevor diese von fürsorglichen Heimatbehörden bereinigt wurde).

Sollte der Fuentes-Krimi juristisch noch erhellt werden, hierzulande bemüht man sich darum, dürfte auch der stolze Oscar noch in jenen Sog geraten, der schon branchentypische Züge trägt: Alles fließt. Speziell die Medaillen.

Triste Verpflichtung des IOC

So erwächst dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) aus dem freimütigen Schritt der Marion Jones, ihr Goldreservoir von Sydney 2000 zu retournieren, eine triste Verpflichtung: Jetzt gilt es, Ekaterini Thanou zur Oympiasiegerin in der Königsdisziplin zu proklamieren!

Die Griechin wurde einem breiten Publikum bekannt als Hauptaktrice einer Motorradunfall-Posse, die ihre Flucht vorm Dopingfahnder in Athen 2004 krönte und als Container-Seifenoper - "Ich lieg' ganz schwerverletzt im Lazarett, ihr kriegt mich nicht, ätsch!" - den Spielen das würdige Rahmenprogramm lieferte.

Das IOC sperrte Thanou später auch ohne Dopingbefund für zwei Jahre, weil es unter dem Arzt und Reformpräsidenten Jacques Rogge lieber auf extrem strapazierfähige Verdachtsmomente setzt als auf die allheilige Uschuldsvermutung, mit der im weitflächig verseuchten Sport gern routiniert bis zur Besinnungslosigkeit hantiert wird: Wie, der Kerl hat den Keller voll Dopingmittel? Na, ist doch nur für die Schwiegermutti. Oder: Kokain? Naja, das war in den Keksen, die Oma aus Kolumbien geschickt hat.

Klar, dass das IOC Probleme damit hat, Fräulein Thanou als Olympiaheldin im noblen Museum am Genfer See zu verewigen. Es wird vielleicht auf die Ehrung verzichten und sich erst vom Weltsportgerichtshof Cas, den die saubere Griechin dann anrufen dürfte, dazu zwingen lassen.

Eine gewisse Übung

Letztlich bliebe aber keine andere Wahl. Nur kleine Retourkutschen, etwa, indem man die neue Leitfigur der Weltjugend in allen Brevieren nur noch mit Sturzhelm und geschlossenem Visier abbildet.

Andererseits: Das IOC hat gewisse Übung, schon 1988 war auf Olympiasieger Ben Johnson der Olympiasieger Carl Lewis gefolgt, der vor den Spielen gleich mehrere Positivbefunde hatte.

Und hierzulande ist Spott sowieso unangebracht. Im Fall der reuigen Jones hat der amerikanische NOK-Chef Peter Ueberroth brieflich bei allen 205 NOKs der Welt um Verzeihung gebeten, weil ihnen "Siegerehrung, Hymne und Flagge verwehrt geblieben ist".

Muss da nicht die Topfunktionäre des Deutschen Olympischen Sportbundes schwerste Gewissensnot packen? Sydney 2000, da war doch was ... hoppla: Gab's da nicht auch einen schwarzrotgoldenen Helden von Jonesscher Dimension?

Richtig. Ein apfelbäckiger Radheros, der Gold fürs Vaterland im Straßenrennen gewann, Silber im Zeitfahren. Aber die gutmütigen deutschen Funktionäre haben es hier mit der Klärung nicht so eilig wie die Amerikaner. An Jan Ullrich, schon fast versunken in der Fülle massiver Dopingindizien, an Ulle soll sich das IOC mal schön selbst die Zähne ausbeißen.

Und falls es bei der Medaillenaberkennung scheitert, etwa im Fall eines Cas Entscheides, kann der DOSB den gefallenen Engel gleich in sein neues Lehrprogramm für die deutsche Sportjugend einbauen. Als Anreiz, damit auch die porentief reuigen Sünder Erik Zabel und Aldag endlich ihren Vorbildfunktionen in den Sportschulen nachkommen, wie es der DOSB versprochen hat.

Der größte Radheros von allen

Nur sähe leider auch im Fall Ullrich die Medaillennachfolge mau aus. Als Olympiasieger würde ihn der Kasache Alexander Winokurow beerben. Richtig: Fremdblut-Alex, den sie bei der Tour 2007 vorzeitig aus dem Sattel hoben. Und Ulles Zeitfahr-Silber ginge an - Gottseidank!

Endlich doch einer, der über jeden Verdacht erhaben ist, der größte Radheros von allen, einziger Saubermann dazu, der trotz sechs positiver Blutbefunde garantiert nie was genommen hat und - vielleicht ja deshalb? - stets mühelos an Ullrich und all den anderen armen Schluckern und Spritzern vorbeigezogen ist: Bravo, Lance Armstrong. Tusch!

Und jetzt: Trost. Wir schustern uns nämlich, falls der Olympiasieger Ullrich nicht mehr sein sollte, einfach einen neuen Goldhelden aus den Sydney-Reliquien zusammen. Das funktioniert auch, klar: Verlor damals nicht Tommy Haas das Tennisfinale gegen den Russen Jewgeni Kafelnikow? Richtig. Der steht unter Betrugsverdacht - nicht Doping, nein. Wettmanipulation. Eine artverwandte Disziplin, die, sollte das IOC seine Ethikkurs umfassend fahren, bald rasant in den Fokus rückt.

Kafelnikow, und nicht nur er, war öfter bei kleineren Turnieren an schwachen Gegnern in Runde eins ausgeschieden, bizarr hohe Einsätze wurden dabei versilbert. Nun endlich wollen sie im Tennis untersuchen, ob solche Zufälle nicht zustande kommen, wie es ein Tennisprofi 2005 dem ARD-Magazin Report anonym schilderte: Sein Gegner und er hätten sich "auf eine Dreisatz-Niederlage geeinigt; er hat ein paar Freunde angerufen, ich ein paar - die haben auf diesen Spielverlauf gewettet".

Olympiasieger Kafelnikow ist heute professioneller Pokerspieler. Bluffen, tricksen, täuschen: Er ist dem erlernten Handwerk treu geblieben. Nur dass es hier wirklich dazugehört.

© SZ vom 13.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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