Doping-Skandal im Sport:Als nichts mehr zu leugnen war

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Affären mit Folgen: Die Universität Freiburg hinterfragt nun doch ihre belastete Sportmedizin - und erwägt den Ausstieg aus dem Hochleistungssport.

Bernd Dörries

Das sportmedizinische Institut der Universität Freiburg liegt hinter einem Zaun. Um es zu erreichen, muss man durch einen langen Tunnel unter dem Gebäude, der sonst der Versorgung dient. Die Treppen hoch, vorbei an einer Tafel, die eines Nobelpreisträgers der Chemie gedenkt, der großen Tradition der Universität. Man tritt nach draußen, sieht die Baustelle mit Baggern und Zäunen, dahinter das flache Gebäude der Sportmedizin. Ein blauer Bus parkt davor, ,,Sportmedizinischer Messwagen'' steht darauf, daneben Aufkleber von Sponsoren. Es ist schmutzig und laut.

Wolfgang Jäger, Rektor der Universität Freiburg, ist um Aufklärung bemüht. (Foto: Foto: dpa)

Matthias Brandis sitzt in seinem Büro und sagt, die Sportmedizin in Freiburg solle das transparenteste Institut in ganz Deutschland werden. Brandis, 68, ist Leitender Ärztlicher Direktor des gesamten Uni-Klinikums Freiburg und muss in dieser Funktion ein Institut reinigen, das derzeit als Zentrale des deutschen Sportdopings gilt. Es gibt eine unabhängige Untersuchungskommission, die Vorgänge bis in die neunziger Jahre klären soll. Eine weitere wird die Aufgabe bekommen, die ganze Geschichte der Sportmedizin in Freiburg aufzurollen.

Gerüchte hat es immer gegeben

Es wird sich zeigen, ob nur die Wände des Instituts neu gestrichen werden. Oder ob man auch erfährt, was hinter den Mauern passierte: Wer alles beteiligt war? Woher die Dopingmittel kamen? Und wer weiter oben eine schützende Hand drauf hielt? Bisher ist man in Freiburg nach dem üblichen Muster verfahren, hat das zugegeben, was nicht mehr zu leugnen war.

Drei Ärzte hat Matthias Brandis bisher suspendieren müssen: Die medizinischen Betreuer des Teams T-Mobile Lothar Heinrich und Andreas Schmid sowie den Olympiaarzt Georg Huber. Alle drei hatten sich am Doping von Radsportlern beteiligt. Die Uni zog sich vorerst komplett aus der Sportlerbetreuung zurück, 1400 Athleten stehen ohne Arzt da.

Brandis nimmt seine Brille ab und reibt sich die Augen mit den ganzen Handflächen. Ganz überraschend, sagt er, sei die ganze Sache nicht gekommen. Brandis ist seit langem in Freiburg, war früher Chef der Kinderklinik. ,,Die Vorstellung, dass damals etwas gemacht wurde, war bekannt'', sagt er. Gerüchte habe es immer gegeben, aber keine konkret verwertbaren Anschuldigungen.

Erstes sportmedizinisches Institut der Welt

Das Etwas geht zurück bis in die fünfziger Jahre, damals wurde am Institut eine Doktorarbeit über die ,,Wirkung von Dopingmitteln auf den Kreislauf und die körperliche Leistung'' geschrieben, die Ärzte hantierten mit Pervitin, das im Krieg auch Kampffliegern zur Leistungssteigerung gegeben wurde. Bei seiner Gründung im Jahr 1924 war Freiburg das erste sportmedizinische Institut der Welt, die neuen Trainingsmethoden erreichten unter dem Begriff Freiburger Schule Bekanntheit.

Heute weiß man, dass diese Schule nicht nur aus der Intervallmethode bestand, sondern auch den neuesten pharmakologischen Entwicklungen aufgeschlossen gegenüberstand: Von Pervitin bis Epo. Eine lange Tradition. Die Freiburger Schüler sind heute über die Republik verteilt. Vielleicht auch ihre Methoden.

Brandis sagt, die Geschichte des sportmedizinischen Instituts müsse man auch unter dem Gesichtspunkt geschichtlicher Verhältnisse sehen, dem Ost-West-Konflikt. ,,Der Zeitgeist der Sechziger und Siebziger war doch, dass die Gesellschaft gefragt hat, warum sind 60 Millionen Westdeutsche im Sport so viel schlechter als 16 Millionen Ostdeutsche?''

Sportmedizin als ein Teil im Kampf der Systeme. Noch in den achtziger Jahren wurde eine Studie aus Bundesmitteln gefördert, mit der die Wirkung von Testosteron untersucht wurde, Langläufer bekamen das leistungssteigernde Hormon gespritzt. In dieser Zeit, zwischen 1980 und 1990, hat auch der Freiburger Olympiaarzt Georg Huber jungen Straßenrennfahrern Testosteron verabreicht.

,,Zu dieser Zeit gab es in diesem Bereich kaum ein Unrechtsbewusstsein '', sagt Brandis. Und der Berufsethos der Ärzte? ,,Ärzte sind auch Menschen, die Fehler begehen können.'' Ob Huber später weitere Fehler begangen hat, ist noch offen.

Man ließ sich mit den Radprofis feiern

Die Zeitläufte änderten aber offenbar wenig in Freiburg, der Ost-West-Konflikt ging, die Telekom kam, auf der Suche nach Sportärzten. Die entfernten sich mit den Jahren weit von ihrem eigentlichen Beruf, es ging nicht mehr darum, Kranke zu heilen. Manche Freiburger Mediziner wurden zu Körpermechanikern im Magenta-Dress. Man ließ sich mit den Radprofis feiern.

,,Die Sportmedizin war ein großes Renommee der Universität, so dass da vielleicht nicht so der entschiedene Wille vorhanden war, den Gerüchten und Verdachtsmomenten nachzugehen'', sagt Brandis. Und das alles passiert an einer staatlichen Hochschule, die eigentlich unter Aufsicht der Landesregierung steht.

Am Tag, an dem Schmid und Heinrich suspendiert wurden, debattierte der Stuttgarter Landtag über das Thema: ,,Sportland Baden-Württemberg - aktiv, gesund, erfolgreich an der Spitze.'' Elke Brunnemer, die sportpolitische Sprecherin der CDU sagte, Baden-Württemberg sei ,,Sportlerland Nummer eins in Deutschland, und wir von der CDU tun alles, dass das so bleibt''. Mittlerweile schweigt die Landespolitik, nur die Grünen stellen kritische Fragen.

Alle hätten sich gern ,,im illustren Kreis'' der Spitzensportler und des Erfolges gesonnt, sagt Brandis. Die Politik, die Funktionäre, die Universität. Jetzt ist das Renommee einer Universität angeschlagen, die in diesem Jahr ihr 550-jähriges Jubiläum feiert und in den Kreis der Eliteunis aufgenommen werden will. Im Herbst wird entschieden, es geht um viele Millionen Euro. Im Moment steht Freiburg vor allem in dem Ruf, die Spitze der Dopingärzte beherbergt zu haben.

Offener Brief abgewehrt

Nun will Brandis auch klären, wie man in Zukunft überhaupt Sportmedizin betreiben kann, ob man sich vielleicht komplett aus dem Hochleistungssport zurückzieht und auf Grundlagenforschung beschränkt. Denn ,,international gesehen wird sich das Dopingproblem kaum lösen lassen''.

Die verbliebenen Sportmediziner in Freiburg wollten sich vor kurzem mit einem offenen Brief gegen einen Generalverdacht zur Wehr setzen, der aber nie veröffentlicht wurde. Der Rektor hat es ihnen ausgeredet. Brandis sagt, man habe den festen Willen, alles restlos aufzuklären.

Die Universität und die Gesellschaft hätten aber auch die Pflicht, bei den Konsequenzen die Verhältnismäßigkeit zu wahren. ,,Unseren Ärzten wurde die Höchststrafe ausgesprochen'', sagt Brandis. Natürlich hätten sie Fehler gemacht, auch schwere Fehler. ,,Aber die komplette Ächtung, die sie jetzt erfahren, steht in keinem Verhältnis zu ihrer Schuld.''

Es ist der Tag an dem Erik Zabel wieder auf dem Rad sitzt, eine Etappe bei der Bayern-Rundfahrt gewinnt, vom Publikum gefeiert wird. Es scheint so, als hätten Teile der Gesellschaft genug von all dem Schmutz, der in den letzten Wochen zu Tage kam, den Lügen und Enttäuschungen. Die Politik verabschiedet ein Gesetz, das Tatkraft signalisiert, aber nichts bewirken wird. Das Fernsehen will weiter die Tour der France übertragen, Rolf Aldag darf Teammanager vom Team T-Mobile bleiben. Die Fahrer, die bisher gestanden haben, wurden gerügt und sofort in ein Resozialisierungsprogramm überführt. Die Karawane radelt weiter.

Der blaue Bus der Sportmediziner steht noch auf der Baustelle, im Schmutz und im Lärm.

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