Doping-Opfer:Gedenken an einen Gefangenen

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Vor 40 Jahren starb Tom Simpson beim Aufstieg zum Mont Ventoux. Charakterlich war er denen ähnlich, die heute bei der Tour im Sattel sitzen.

Holger Gertz

Es war die 13. Etappe, es war der 13. Juli, und um die schrecklichen Vorzeichen zu vervollständigen, hätte es eigentlich ein Freitag sein müssen. Es war aber ein Donnerstag, an dem der Radrennfahrer Tom Simpson, 29, starb, vor vierzig Jahren, während der Tour de France. Den Mont Ventoux hatte er besiegen wollen, den Gipfel der Provence. Unten, wo noch Bäume am Straßenrand wachsen, schlingerte er schon; weiter oben, wo alles kahl ist, fiel er vom Rad, ließ sich wieder in den Sattel setzen, quälte sich ein paar Meter weiter, fiel erneut, hielt den Lenker noch umklammert, bevor er starb, dehydriert, überhitzt, überanstrengt. Herzversagen. In die Ergebnislisten wird in solchen Fällen DNF eingetragen, did not finish.

Tom Simpson starb am Mont Ventoux. Er war 29 Jahre alt. (Foto: Foto: dpa)

Am Mont Ventoux gibt es diesen Gedenkstein, und wer mit dem Fahrrad hier vorbeikommt, hinterlässt ein Schweißband oder eine Trinkflasche; gedenkt auf seine Weise einem Mann, der für die Fans ein Märtyrer ist. Dabei war er Täter, bevor er Opfer wurde. Vollgepumpt mit Amphetaminen ging er auf die Strecke, in seiner Trikottasche fanden sich Tablettenröhrchen. Erst das Doping hatte sein körpereigenes Kontrollsystem außer Kraft gesetzt. Tom Simpson war kein Märtyrer, er war - wie man das heute gern nennt - der Gefangene eines Systems. Er war ein Sportler, der Weltmeister gewesen war und sich seine große Zeit zurückwünschte. Er war ein Aufsteiger, Sohn eines Bergmanns; befeuert vom selbstzerstörerischen Ehrgeiz vieler Aufsteiger. "Los, los, los" stöhnte er, als sie ihn, den Halbtoten, nochmal aufs Rad hievten.

Tom Simpson war charakterlich denen ähnlich, die heute bei der Tour im Sattel sitzen. Prestige, Geld, Aufstieg, Ruhm. Die Jahre verändern nicht die Dimensionen des Leistungssports. In den Jahren nach seinem Tod hat es genug Journalisten und Fahrerkollegen und Betreuer gegeben, die bereit waren, alles Mögliche für die Tragödie verantwortlich zu machen: sein Herz zu schwach, die Lungen zu klein, die Hitze so brennend, der Berg so brutal. Das Thema Doping klammerten sie aus. So wie es noch heute gern ausgeklammert wird, von Fahrern, Betreuern, Journalisten, Fans; von Gefangenen des Systems, die oft Mitwisser und damit Verantwortliche sind.

Der kahle Gedenkstein am kahlen Mont Ventoux und das alte Bild des verzweifelten Fahrers, aufgenommen wenige Augenblicke, wenige Kilometer vor seinem Ende, erinnern nicht nur an Simpson, auch an die vielen anderen Sportler, die jung waren, als sie starben - und bei deren Obduktion Greisenherzen zum Vorschein kamen. Wer über Doping spricht, benutzt oft das Vokabular von Juristen. Unschuldsvermutung. Anfangsverdacht. Dabei geht es eigentlich um Leben und Tod.

© SZ vom 13.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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