Doping in Russland:Minister Mutko findet Nachtests unsinnig

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Bis zu 22 Russen sind unter den neuen Doping-Fällen von Peking und London. Der russische Sportminister kritisiert die Nachtests.

Von Johannes Aumüller, Moskau/Frankfurt

Russlands Leichtathleten müssen zwei Wochen vor der Entscheidung über einen möglichen kollektiven Ausschluss für die Sommerspiele in Rio de Janeiro einen weiteren Rückschlag verkraften. Am Wochenende bestätigten Funktionäre in Moskau, dass unter den 23 bei Nachtests auffälligen Startern der Londoner Sommerspiele von 2012 auch acht Russen seien. Erst eine Woche zuvor waren bei nachträglich durchgeführten Kontrollen der 2008er-Spiele von Peking 32 Sportler positiv getestet worden, davon 14 russische. Nach Informationen von Moskauer Medien sollen nicht nur, aber vor allem Leichtathleten betroffen sein.

Russlands Sportminister Witalij Mutko kritisierte die Nachtests. "London ist vorbei, sie haben bei allen Proben genommen und allen Medaillen ausgehändigt, und danach finden sie neue Analysemethoden. Ich weiß nicht, warum die Welt diesen Weg geht", zitierte ihn die Agentur R-Sport. Das System, das bei einer Veranstaltung im Betrieb sei, müsse funktionieren und dürfe nicht so viele Sünder durchlassen. "Sonst ist das alles unsinnig", sagte Mutko.

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Mit diesen neuen Funden wachsen die Sorgen Russlands weiter. Ende 2014 hatte die Doping-Causa begonnen, als eine ARD-Dokumentation über flächendeckendes Doping in der Leichtathletik berichtete. Ein Dreivierteljahr später bestätigte ein Report der Welt-Anti-Doping-Agentur diese Erkenntnisse. Am 17. Juni entscheidet der Internationale Leichtathletik-Verband (IAAF), ob Russlands Sportler in Rio starten dürfen. Daneben berichtete kürzlich der frühere Leiter des Moskauer Kontrolllabors, Grigorij Rodtschenkow, über ein ausgeklügeltes und offenkundig staatlich unterstütztes Doping- und Manipulationssystems bei den Winterspielen 2014 in Sotschi. Mithilfe des Sportministeriums und des Geheimdienstes seien mindestens 15 Medaillengewinner gedopt an den Start gegangen und belastete Urinproben gegen saubere ausgetauscht worden. Hierzu soll im Auftrag des Internationalen Olympisches Komitees (IOC) eine Kommission der Wada bis zum 5. Juli ermitteln. Bestätigen sich die Vorwürfe, wovon nach derzeitigem Kenntnisstand auszugehen ist, wird es sich als Lackmustest für die oft zu hörende Null-Toleranz-Rhetorik des IOC erweisen, wie es mit Russlands Mannschaft umgeht.

Sportminister Mutko spricht in diesen Tagen auffallend oft über mögliche Sanktionen für seine Mannschaft. Schon in einem Interview mit deutschen Medien, unter anderem der SZ, vor wenigen Wochen sagte er, ein Ausschluss der Leichtathleten sei "keine Tragödie". Nun sagte er mit Blick auf ein mögliches Verbot fürs gesamte Team, dass er sich mit allen denkbaren Szenarien beschäftige, auch mit den düstersten. Widerspruch gab es dafür von Alexander Schukow, dem Vorsitzenden des nationalen olympischen Komitees - und selbst IOC-Mitglied. "Wir müssen es nicht aufblasen", sagte er: "Ich bin sicher, dass Russland in Rio an den Start geht."

Zu den 14 überführten Athleten von Peking sollen insgesamt zehn Medaillengewinnerinnen zählen, darunter Anna Tschitscherowa (Hochsprung/Bronze) und Maria Abakumowa (Speerwurf/Silber). Die acht positiven Londoner Fälle sind bisher noch unklar, es fiel lediglich der Name der Hammerwerferin Tatjana Lyssenko. Diese ist allerdings ohnehin gesperrt. Ob es Überschneidungen zwischen den Gruppen gibt, beantwortete das IOC nicht. Die Öffnung der B-Proben erfolgt nächste Woche.

© SZ vom 30.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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