Doping in der Leichtathletik:Das teure Lügengebäude stürzt ein

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Nach langem Leugnen gibt es die Leichtathletik-Olympiasiegerin Marion Jones nun doch zu: Sie hat die Leistung nur unter Einfluß von Dopingmitteln erreicht.

Michael Gernandt

Die Leichtathletin Marion Jones (USA) war, als sie vor sieben Jahren in Sydney drei Gold- und zwei Bronzemedaillen gewann und zur erfolgreichsten Sportlerin der Olympischen Spiele 2000 avancierte, gedopt. Vier Jahre lang hatte sie den Betrug, dessen sie im Herbst 2003 in Zusammenhang mit der Affäre um die kalifornische Firma Balco erstmals verdächtigt wurde, strikt geleugnet. Jetzt ist ihr kostspieliges Lügengebäude zusammengebrochen.

Marion Jones küsst ihre Olympia-Goldmedaille. Jetzt ist klar: Sie war zu dem Zeitpunkt gedopt. (Foto: Foto: dpa)

In einem Brief an ihre Familie und engste Freunde, über den die Washington Post aus dem juristischen Umfeld des Falles informiert worden war, gestand Jones, 1999 und 2000 die erst Ende 2003 enttarnte Designerdroge THG von ihrem damaligen Coach Trevor Graham erhalten und genommen zu haben. THG ist ein anaboles Steroid aus dem Hause Balco. Deckname: The Clear. "Ich möchte mich deshalb bei euch entschuldigen", zitierte die Zeitung aus dem Jones-Brief, "es tut mir Leid, euch so oft enttäuscht zu haben."

Marion Jones, 31, soll an diesem Freitag (Ortszeit) von einem Richter des Distriktgerichts in White Plains (US-Bundesstaat New York) die Anklage wegen Belügens der Bundesbehörden in zwei Fällen verlesen worden sein. Im November 2003 hatte sie der mit dem Balco-Fall befassten Grand Jury in San Francisco gesagt, nie illegale leistungsfördernde Mittel genommen zu haben.

Punkt zwei: Falsch sei auch ihre Aussage, nicht in den von ihrem Trainer Steve Riddick und ihrem ehemaligen Lebensgefährten Tim Montgomery initiierten Fall von Scheckfälschung und Geldwäsche verwickelt gewesen zu sein. Für Jones wurden von dem Betrugsgeld 25000 Dollar in Form eines Schecks abgezweigt. Ihre Lügen begründet sie im Brief damit, dass sie in beiden Fällen in Panik geraten sei. Zudem habe sie einerseits ihren Coach Graham schützen, andererseits im Geldwäschefall ihren Namen "nicht in Verbindung mit dieser Schweinerei sehen wollen". Die Maximalstrafe pro Anklagepunkt beträgt fünf Jahre Gefängnis. Jones teilte ihrer Familie mit, sie rechne mit einem halben Jahr Gefängnis.

Im Brief wird von der ehemaligen Sprinterin geschildert, wie Coach Graham sie mit The Clear vertraut machte: Indem er versicherte, es handele sich um Leinsamenöl und sei lediglich ein Nahrungsergänzungsmittel, von dem sie zwei Tropfen unter die Zunge träufeln müsse. Jones: "Ich vertraute ihm." Ende 2002 verließ sie das Graham-Camp in Raleigh (North Carolina). Heute sagt Jones dazu: "Rote Fahnen hätten in meinem Kopf gehisst werden müssen, als er mich bat, niemanden von dem Ergänzungsmittel zu erzählen." THG habe dazu beigetragen, sich nach dem Training schneller zu erholen. 2001 will sie das Mittel abgesetzt haben.

Warum Jones ihren Trainer 2002 verließ, zusammen mit Montgomery, der in jenem Jahr mit den verbotenen Balco-Substanzen zum 100-Meter-Weltrekord beschleunigt und später deshalb gesperrt wurde, ist bis heute nicht geklärt. Graham soll wegen des Auszugs seiner Stars verärgert gewesen sein und deshalb im Frühjahr 2003 eine Spritze mit THG anonym an die amerikanische Antidopingbehörde Usada geschickt haben - die Schlüsselszene, die den Fall Balco ins Rollen brachte. Mehr als ein Dutzend US-Athleten erhielten Sperren, die meisten stammten aus der Graham-Schule. Graham selbst steht im November vor Gericht - wegen (allerdings uneidlicher) Falschaussage vor den Strafverfolgern.

Marion Jones haben ihre hartnäckigen Lügen die einst rosige Existenz gekostet. Sie gab ein Vermögen aus für eine Armee von Anwälten, die sie gegen die Ermittlungsbehörden in Marsch setzte; zudem musste sie 2006 insgesamt 240000 Dollar bezahlen nach einem verlorenen Prozess wegen Vertragsbruch gegen einen ihrer Trainer aus der Zeit nach Graham, Dan Pfaff. Jones, die in ihren sportlichen Glanzzeiten zwischen 1997 und 2002 zu den am besten bezahlten Leichtathleten der Welt gehörte und Millionen von Dollars anhäufte, musste ihre großen Häuser verkaufen, um flüssig zu sein. Im Juni 2007 erfuhr die Los Angeles Times aus Vernehmungsprotokollen des Pfaff-Prozesses, auf Jones' Konten seien nur noch 2000 Dollar. Fragte ein Pfaff-Anwalt die Sprinterin: ,,Wo ist das ganze Geld geblieben?'' Antwort Jones: "Wer weiß das schon? Ich wünschte, ich wüsste es."

Auch sportlich war ihr Guthaben nach 2002 und der Geburt ihres Sohnes Tim im Jahr 2003 schnell verbraucht. Sie kam, obwohl 2006 noch einmal US-Meisterin über 100 Meter, nie mehr in Tritt und nach dem letzten Titelgewinn noch ein weiteres Mal in Verruf: positiver Test auf den Sauerstoffvermehrer Epo. Dass die B-Probe Wochen später negativ analysiert wurde, beschäftigt heute noch das IOC und die Antidopingbehörden.

Marion Jones wird vermutlich alle zwischen 1999 und 2002 gewonnenen Titel und Medaillen abgeben müssen. Der Chef der Weltantidopingbehörde Wada, Dick Pound (Kanada), nannte den Jones-Fall "eine Schande", und John Coates, Australiens NOK-Präsident, bedauerte vor allem die Opfer der Amerikanerin: "Das Unrecht an den anderen Damen ist nicht wieder gut zu machen.'' Reagiert auf das Briefgeständnis hat schließlich auch der ehemalige Balco-Chef, der wegen Drogenhandels verurteilte Victor Conte: "Sie hat die Mittel genommen, aber sie war dennoch eine überragende Athletin. Du kannst das Zeug nicht einfach nehmen und dann Goldmedaillen gewinnen." Ob Marion eine schlechte Person sei, fragte ihn die New York Times. Nein, sagte Conte: "Sie hat nur Fehler gemacht. Der Schmerz und das Leiden, die sie öffentlich aushalten muss, werden sie zerstören."

© SZ vom 06.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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