Doping im Radsport:Die Schuld der Funktionäre

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Das Geständnis des Fahrers Bert Dietz zeigt, dass Doping im Radsport systematisch betrieben wurde.

Thomas Kistner

Es gab einmal ein Deutschland, in dem systematischer Sportbetrug verübt wurde auf Grundlage einer menschenverachtenden Zielvorgabe: Im Staatsplanthema 14.25 hatte die DDR für fast alle ihre Kaderathleten ein Zwangsdoping verfügt, das von Forschern und Ärzten mit teutonischer Akribie umgesetzt wurde. Die Stasi dokumentierte den Schwindel minutiös, und dazu die enorme Begehrlichkeiten, die dieses pharmazeutische Erfolgsmodell im Westen schuf. Zu den Ärzten, die aus DDR-Sicht als dem Kraftfuttereinsatz zugetan galten, gehörte zuvorderst der Freiburger Olympia-Chefarzt Joseph Keul. Die Aktenlage war erdrückend, aufgearbeitet aber hat der seit 1990 vereinigte Sport den brisanten Fundus nie. Schlichtes Abstreiten genügte Keul und anderen, die weiter ungestört Dienst am offiziell ja beispielhaft sauberen deutschen Sporthelden versahen.

Bert Dietz: Geständnis bei "Beckmann". (Foto: Foto: dpa)

Daher bezieht die Dopingbeichte des Radprofis Bert Dietz ihre Sprengkraft aus der Darstellung des systematischen Dopings, das die Teamärzte Heinrich und Schmid, Jünger der Freiburger Sportmedizin, betrieben haben sollen: Vom Aufbaugespräch mit der Zusicherung fachkundiger Betreuung über die Spritzenvergabe bis zur Beschaffung und Verteilung verbotener Substanzen, gern bequem auf dem Postweg.

Dietz verschärft nur, was ein anderer Mitarbeiter des Team Telekom schon vorgetragen hat: Dass Ärzte jener Klinik, die seit Jahrzehnten am intensivsten den nationalen Spitzensport betreut, einen Masterplan für das Radteam entworfen hätten. Sie allein? Unbemerkt von den Kollegen, die selbst immer wieder Stoff für Mutmaßungen über dubiose Praktiken lieferten? Das zu glauben wäre so naiv wie die Behauptung, Doping im Radsport sei kein Systemzwang.

Zugleich wirkt nun das monatelange Schweigen der Sportfunktionäre entlarvend. Es belegt, dass der Radsport unter der Regie eines verbandspolitischen Interessenskartells in die Existenzkrise schlitterte. Unter der Regie eines Kameradschaftsverbunds, dem Funktionäre des Radverbands wie des Sportdachverbands DOSB zuzurechnen sind, die ja fraglos über ein Szenewissen verfügen, das weit über das von sportinteressierten Zeitungslesern hinausgeht.

Der DOSB ruft nun fromm alle Schäflein zur Beichte auf. Zu spät, es geht nicht mehr um Dietz, Ullrich, Aldag. Bevor der Radsport an einen Neubeginn denken darf, ist die Rolle der Funktionäre zu klären. Sie sind die Verantwortlichen. Das erfordert politischen Druck, so, wie ihn der Sportausschussvorsitzende Peter Danckert anstrebt: Über die Kürzung oder Streichung von Fördermitteln. Eine kurzfristige Aussetzung wäre sofort zu erwägen. Zugleich kann die Gesprächsbereitschaft von Athleten mit einer Kronzeugenregelung stimuliert werden, die in den Sportregeln vorgesehen ist. Dagegen sperrt sich der Radweltverband UCI , was zeigt, dass der organisierte Sport auch weiter nicht den Betrug, sondern nur die Enthüllung fürchtet.

© SZ vom 23.05.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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