Donau-Derby:Jedem einen Bibermanager

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Auto gegen Uni, Restaurant gegen Jahnwirt, Jens Keller gegen Achim Beierlorzer: Ein Vergleich der Zweitligisten Ingolstadt und Regensburg in fünf Akten.

Von Johannes Kirchmeier

Allein die Namensgebung birgt ein paar Probleme. Denn zumindest der harte Kern der Regensburger Fußball-Anhänger hat eine klare Meinung zum anstehenden Zweitligaspiel. Er steht zwar vor seiner kürzesten Auswärtsreise, aber nein, ein Derby erwartet ihn beim FC Ingolstadt 04 an diesem Samstag (13.30 Uhr) nicht. Das wäre schon eher ein Spiel gegen die DJK Vilzing oder Fortuna Regensburg, nur kicken die halt drei beziehungsweise vier Ligen weiter unten. Und daher vermeidet der SSV Jahn Regensburg große Derby-Ansprachen. Anders als Ingolstadts Trainer Jens Keller: "Ein Derby bringt auch von den Fans eine ganz besondere Stimmung ins Spiel." Sein Verein wappnet sich für das sogenannte "Donau-Derby". 57 Kilometer Luftlinie liegen zwischen Regensburg und Ingolstadt. Es ist eines der nachbarschaftlichsten Duelle der Liga, ein besonderes Spiel, da sind sich alle einig. Weil sie sich wegen der Herkunft und des Dialekts im nördlichen Oberbayern und der südlichen Oberpfalz ähneln, aber doch ganz verschieden sind.

Die Standorte

Schon bei den Bibermanagern (Jobdefinition: "Die Bibermanager klären auf und helfen, Konflikte zwischen Mensch und Biber zu lösen.") fangen die Unterschiede an. Jeder hat einen eigenen. Horst Schwemmer ist für Nordbayern zuständig, wozu neben Franken auch die Oberpfalz gehört, Gerhard Schwab für den Süden, also eben auch Oberbayern. Aber nicht nur der Naturschutz kennt Grenzen, auch der Geldbeutel. Ingolstädter verdienen im Schnitt mehr als alle anderen in Deutschland (4635 Euro Brutto-Einkommen pro Kopf). Davon sind die Regensburger nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (3676 Euro) etwas entfernt. Was auch daran liegt, dass in Regensburg mehr als 30 000 Studierende leben. Zu ihnen zählt auch Sebastian Nachreiner, 30, Jahn-Innenverteidiger seit 2010, der nach einem Kreuzbandriss kürzlich ins Training zurückkehrte und gerade seine Dissertation über Fußball-Schiedsrichter schreibt. Spricht man ihn auf seine Lieblingsecken in der Stadt an, antwortet er erst: "Also neben der Jura-Bibliothek?", bevor er sagt: "Ich mag die Biergärten an der Donau, an der Steinernen Brücke, da lässt es sich im Sommer aushalten." Die Regensburger Altstadt ist ein Beispiel für den Spagat zwischen Historie und Gegenwart: Sie gehört zum Unesco-Weltkulturerbe, hat aber auch eine der höchsten Kneipendichten. Und dann gibt es noch Gloria von Thurn und Taxis, die ihren Weihnachtsmarkt betreibt, und bis zu 9,50 Euro Eintritt pro Person verlangt.

Im Gegensatz dazu schätzt Almog Cohen, 30, in Ingolstadt besonders die Ruhe. Und dass ihm die Leute mit Respekt begegnen. "Auch wenn es schlecht läuft, gibt es hier keine großen Spannungen." Die kannte der Israeli noch aus Nürnberg, von wo er 2013 wechselte. Am liebsten weilt er in Restaurants oder im Westpark - ein Shopping-Center, kein Park. Was der Kaufkraft in der Autostadt auch mehr entspricht. Audi, der größte Arbeitgeber, der ja unter Verdacht steht, beim Abgas mitgeschummelt zu haben, schickt seit Jahren auch die Fußballer des FCI als Anteilseigner in die Spur.

Die Saison

Der SSV Jahn blickt auf seine erfolgreichste Hinrunde der Vereinsgeschichte zurück - 23 Punkte in Liga zwei. Nach zwei Aufstiegen nacheinander und dem folgenden fünften Platz in der vergangenen Saison, zählt der Verein trotz seines kleinen Etats erneut zu den Überraschungen. "Da darf sich bei uns keiner beschweren", sagt Nachreiner. Am vergangenen Wochenende hat der Jahn aus einem schwachen Spiel in Sandhausen in letzter Minute einen Punkt erwirtschaftet. Die Regensburger machen aus wenig viel.

Aus viel wenig haben dagegen die Ingolstädter gemacht. Nach dem 1. FC Köln gaben sie vor der Saison ligaweit am meisten aus. Doch beim FCI schießt Geld anders als in Köln keine Tore. Er steht auf dem letzten Tabellenplatz, nach 13 Spielen ohne Sieg und mit gerade einmal zehn Punkten aus 17 Partien. Im Winter könnte mit dem frisch geholten externen Berater Thomas Linke der nächste Umbruch anstehen.

Die Infrastruktur

Das Ziel des FCI ist es, langfristig zu den 25 stärksten Vereinen Deutschlands zu gehören. Ein Abstieg in die dritte Liga wäre für die Ingolstädter ein Desaster, schließlich spielen 36 Mannschaften in den ersten beiden Fußball-Ligen. Mit seinen Strukturen gehört der FCI auch in den Klub der 25 besten. Wer ins Restaurant "Herzschlag" geht, ganz oben im grauen Funktionsgebäude des erst 2004 gegründeten Klubs, der sieht ein modernes Trainingsgelände. "Aber auch der Doktor ist bei uns gut", sagt Cohen. Er musste Mannschaftsarzt Florian Pfab zuletzt aufgrund eines Syndesmosebandrisses aufsuchen. Nach zuvor zwei Knorpelschäden und zwei Kreuzbandrissen in Frankfurt war die medizinische Abteilung auch für den Spielmacher Sonny Kittel ein Grund, zum FCI zu wechseln. Bis heute halten seine Knie.

"Wir hätten schon auch gerne die Bedingungen", sagt Sebastian Nachreiner. "Denn wenn man Profifußball nachhaltig und dauerhaft betreiben will, braucht man die notwendige Infrastruktur." In Regensburg treffen sich die Fans beim Jahnwirt, einer rustikalen Vereinsgaststätte, wo die Spieler nach dem Training karteln. Nachdem der SSV zwei Jugendplätze gebaut hat, entsteht nun ein Hybridrasen-Feld für die Profis. Beim Stadion hatte der Klub bereits 2015 gleichgezogen. Etwa 15 200 Zuschauer passen in die Arenen - noch offenbaren sich an beiden Orten aber zu viele vakante Sitzschalen. Beide Vereine bekamen übrigens Hilfe aus der Region: In Regensburg baute die Stadt und schaffte es so ins Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler, in Ingolstadt half der Autobauer.

Die Trainer

"Vom ersten Training an habe ich die Stabilität bemerkt", sagt Cohen. Er meint die Stabilität, die der neue Coach gibt, der einst unter Werner Lorant Grätschen und Mannschaftsführung gelernt hat. Jens Keller ist nach Stefan Leitl und Alexander Nouri der dritte Cheftrainer der Saison. Zuletzt, bei den Remis in Darmstadt und gegen Heidenheim, zeigte sich die Mannschaft stärker, Keller erwartet die nächste Steigerung: "Wir haben ein paar Trainingseinheiten mehr, dementsprechend wieder die Idee weiter umgesetzt." Die Idee: Flachpassspiel und flinkes Pressing.

Jens Keller ist nach Stefan Leitl und Alexander Nouri bereits der dritte Cheftrainer, der in dieser Saison versucht, den ehemaligen Bundesligisten FCI vor dem Abstieg in die dritte Liga zu bewahren. (Foto: Armin Weigel/dpa)

Achim Beierlorzers Dienstwagen ist ein Fabrikat der Ingolstädter Automarke. Trotzdem steht der Franke nicht im Verdacht, es mit den Oberbayern zu halten. Dreimal hat er mit dem Jahn gegen sie gespielt, dreimal hat er nach Rückstand gewonnen, zuletzt am ersten Spieltag 2:1. Beierlorzer steht für den Jahn-Erfolg, er ist kein Zampano, sondern ruht in sich - und gibt die Ruhe ans Team weiter. Früher war er Lehrer für Mathematik und Sport, das hilft auch beim Fußball: "Er wählt eine sehr, sehr gute Ansprache vor der gesamten Truppe", findet Nachreiner.

Die Mannschaften

Kein Team in dieser Liga piesackt den Gegner mit seinem permanenten Anlaufen so wie der Jahn. "Wir kamen nie so richtig ins Spiel und bekamen keine Ruhe", sagte Union Berlins Trainer Urs Fischer. Ähnlich äußern sich seine Kollegen. Was selbstredend der Plan des Jahn ist, der von seinem starken Willen lebt, nie aufzugeben. Im Januar führte der FCI 2:0 in Regensburg, doch der Gastgeber drehte die Partie, woran auch Nachreiner erinnert. "Ohne den Teamgedanken würde es bei uns nicht funktionieren. Und wir haben gesehen, dass es sich lohnt, dranzubleiben." Eine schlechte Nachricht gibt es dann doch: Dem Jahn fehlen am Samstag die besten Torschützen Marco Grüttner und Sargis Adamyan gelbgesperrt.

"Das, was Regensburg auf dem Platz macht, davon können wir lernen", sagt Cohen, in den vergangenen Wochen Ingolstadts Anführer. Statt eines stringenten Systems erhoben die Oberbayern die Wechsel zur Kunstform: Nach einigen Transfers vor der Saison entließ der FCI zwei Trainer und einen Sportdirektor, in Marijan Buntic spielt der dritte Torwart. Seine Abwehr kannte den vormaligen U21-Torhüter nur aus dem Training, bevor er gegen den HSV vor drei Wochen startete. Trotz der Rochaden hieß es aber letztlich immer: Die Schanz, die mittelalterliche Befestigungsanlage in Ingolstadt, steht nicht mehr. Keines der 17 Spiele konnte der FCI ohne Gegentor beenden. Eine Chance bleibt ihm in diesem Jahr noch.

© SZ vom 22.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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