Dirk Nowitzki:Vom Wunderkind zum Wundermann

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Es dauerte acht Jahre, bis Dirk Nowitzki vom Talent zum Wunderkind wurde. Es brauchte nur eine Aktion, die ihn erwachsen und zum Superstar werden ließ.

Jürgen Schmieder

Es war eine Szene am Ende des entscheidenden Spiels Dallas gegen San Antonio. Dirk Nowitzki nahm den Kopf zwischen die Schultern und stürmte mit dem Ball auf den gegnerischen Korb zu - ohne Finte, ohne filligranes Dribbling. Schnurgerade dem Ziel entgegen. Stoppt mich doch, wenn Ihr könnt, schienen seine Augen zu sagen. Die Spurs wollten ihn stoppen mit einem Foul, doch nicht einmal das konnte Nowitzki aufhalten. Er brachte den Ball im Korb unter und verwandelte zusätzlich den anschließenden Freiwurf.

Nach einem weiteren Korb von Nowitzki stand es 104:104, die Verlängerung musste die Entscheidung im siebten Spiel bringen. In solchen Momenten, so sagt man in den Vereinigten Staaten, werden Helden geboren. Wenn das stimmt, dann kann Dirk Nowitzki den 22. Mai als seinen neuen Geburtstag im Pass eintragen lassen.

Es war die angesprochene Szene, die Fans und Fernsehkommentatoren in Verzückung geraten ließ. Nowitzki gilt als unglaubliches Talent: bei 2,10 Meter Körpergröße erstaunlich beweglich, ein grandioser Weitwurfschütze mit gutem Auge für den Mitspieler. Aber er hat auch den Ruf, zu weich zu sein, zu brav, um in entscheidenden Momenten das Heft in die Hand zu nehmen.

Und dann diese Szene, in der Nowitzki wie ein Berserker durch die Abwehrreihen wütet, ganz im Gegensatz zu der Spielweise, die ihm sonst zu eigen ist. Es waren drei seiner insgesamt 37 Punkte, aber sie waren wohl die wichtigsten seiner Karriere.

In der Verlängerung dominierten die Mavericks, sie gewannen 119:111 und zogen ins Conference Finale gegen die Phoenix Suns ein.

"In Spiel 6 war es eine ähnliche Situation", sagte Nowitzki nach dem Spiel. Nur war diesmal alles anders. Wurde er nach dem sechsten Spiel noch verspottet und bemitleidet - "zittrige Hand" und "armer Dirk" waren die Schlagzeilen -, wird er nun als Held gefeiert.

Es scheint, als würde Nowitzkis Karriere eine völlig neue Richtung bekommen, wie schon so oft zuvor. 1998 kam er in die NBA, sein erste Saison verlief mehr als enttäuschend. Er ließ sich nicht erschüttern, passte sich an und stieg in der darauffolgenden Saison zum Stammspieler auf.

Zusammen mit den anderen Superstars Steve Nash und Michael Finley bildete er ein Triumvirat, in dessen Aura er sich gut verstecken konnte. Anführer eines Team, nein, das konnte er nicht. Und so blieb er über Jahre hinweg ein Wunderkind. Als Superstar wurde er nur selten bezeichnet, der Ehrentitel "Winner" blieb anderen vorbehalten.

Clubbesitzer Mark Cuban sah das freilich anders und zwang Nowitzki zu seinem Glück, indem er Nash und Finley verkaufte. Er baute die Mannschaft um Nowitzki herum auf, das "deutsche Wunderkind" wurde in die Rolle des Anführers gedrängt. Ein Part, den er in den vergangenen beiden Spielzeiten nicht geben konnte. Er lieferte gute Leistungen ab, für den Titel sollte es jedoch nie reichen. "So wird das nichts", urteilte Basketballlegende Charles Barkley.

Seit gestern ist jedoch vieles anders: Nach dem Erfolg über San Antonio Spurs gelten die Mavericks als Topfavorit auf den Titel. Nun warten die Phoenix Suns, eine lösbare Aufgabe. Im anderen Halbfinale stehen sich die Detroit Pistons und Miami Heat gegenüber - zwei Mannschaften, die für gepflegten Körperkontakt bekannt sind. Wenn die Mavericks das Finale erreichen sollten, wird wieder der neue, aggressive Nowitzki gefragt sein.

Mit dem Auftritt gestern zeigt Nowitzki, dass er es kann. "Er ist erwachsen geworden", sagt sein Trainer Avery Johnson. "Vom Wunderkind zum Wunderman." Und wenn er Mitte Juni tatsächlich einen Meisterring an den Finger gesteckt bekommt, wird sich Nowitzki vielleicht diesen 22. Mai auf der Innenseite eingravieren lassen.

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