Die Trends der Saison:Angst vor Zuhaus'

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Viele Mannschaften kommen auswärts besser zurecht als im eigenen Stadion. Hinten reinstellen, zerstören, Konter setzen. Zu Hause dagegen verunsichert der Anspruch der Zuschauer.

Thomas Hummel

Die Fernseh-Sender haben ein neues Format entdeckt: (B-)Prominente müssen sich gegenseitig bekochen, je einmal die anderen zum "Diner" einladen. Anschließend bewerten die Bekochten den Koch. Das Auswärts-Diner ist dabei wesentlich angenehmer als das Heim-Diner.

Aus Zuneigung wird Protest: Bei schlechten Leistungen müssen sich Fußball-Profis im eigenen Stadion bisweilen beschimpfen lassen. (Foto: Foto: dpa)

Auswärts sitzt man am Tisch, wartet was kommt, kaut ein wenig herum, spült Wein hinterher - und labt sich an den Fehlern des Gastgebers. Dagegen das Heim-Diner: stundenlang in der Küche, der Versuch des kreativen Arbeitens vor Hunderttausenden an den Bildschirmen. Und dann verdirbt das kleinste Haar in der Soße das schönste Lachs-Carpaccio. Wieder keine Punkte.

Auch in der Fußball-Bundesliga sind Heim-Auftritte zunehmend unbeliebt. Lieber auswärts warten, was der Gegner treibt, als zuhause vor einem kritischen Publikum beim kleinsten Malheur ausgepfiffen zu werden.

Vor dem letzten Spieltag dieser Saison haben der Hamburger SV, Bayer Leverkusen, Hannover 96 und Eintracht Frankfurt auswärts mehr Punkte geholt als im eigenen Stadion (in der zweiten Liga: Freiburg, Rostock, Duisburg, Burghausen). Bei einer Reihe weiterer Vereine ist die Bilanz fast ausgeglichen. Ganz nach Wolfsburgs Trainer Klaus Augenthaler, der meinte: "Es ist leichter, auswärts einen Punkt zu holen, als zu Hause gewinnen zu müssen."

Das Verteidigen fällt vielen leichter als das Angreifen. Die Gründe: Die Spieler werden immer athletischer, laufen unheimlich viel und kleben den Offensivspielern an der Ferse. Und ohne Ball ist Laufen einfacher als mit Ball. Übrigens nicht nur in der Bundesliga. Der FC Chelsea scheint sich seine Spieler vor allem nach dem Laktat-Wert auszusuchen.

Moderne Defensiv-Konzepte sind darauf ausgerichtet, wie in der E-Jugend so viele Spieler wie möglich in der Nähe des Balles zu haben. Der Stürmer muss als erster Verteidiger mitrennen, die Vierer-Abwehr-Kette schiebt nach vorne, im Mittelfeld sichert eine Doppel-Sechs ab und allesamt müssen im Sprint zu den Seiten verschieben.

Im fremden Stadion plagen die Klubs dabei keine Gewissensbisse, ihre Darbietung auf derartiges Zerstören zu beschränken. Die eigene Kundschaft ist ja nicht besonders zahlreich anwesend. Und wirksam ist es allemal. Denn selten ist der Gegner stark genug, sich durch das Geflecht der Abwehrbeine zu kombinieren. Gerade in der Bundesliga, wo der Aufholprozess in puncto Technik, Passspiel und Tempo-Offensive anhält. Bei Ballgewinn ist dann die Abwehr des Gegners für einen kurzen Moment entblößt, der Raum für einen schnellen Konter offen.

Bestes Beispiel ist der Hamburger SV unter Trainer Huub Stevens. Mit dem Spruch "Die Null muss stehen" führte er in diesem Frühjahr den abgestürzten HSV aus der Krise. Wenn auch nicht aus der Heim-Krise. Würden nur Spiele auf eigenem Rasen in die Wertung eingehen, wäre der HSV immer noch Letzter. In der Auswärtstabelle dagegen wird er auf Platz vier geführt.

"Auswärts ist es leichter für uns, denn dann muss der Gegner das Spiel machen und die Initiative ergreifen", sagte Verteidiger Bastian Reinhardt (Welt). So gewann der HSV unter anderem in Bremen, in Schalke, in Nürnberg und bei den Bayern.

Reinhardt beschrieb auch das Heim-Problem: "Natürlich spielen wir sehr gerne zu Hause vor unseren Fans, die uns nach vorne peitschen. Aber je länger die Partie andauert, desto höher wird die Belastung." Läuft es nicht, wird das Publikum ungeduldig, äußert bei Fehlern Unmut, das Selbstvertrauen der Spieler sinkt.

Manchmal schlägt der Fan-Groll auch in offene Proteste oder gar Hass um. Nach einer Niederlage im Februar gegen Hertha BSC Berlin pöbelten Anhänger des HSV gegen die Spieler, einer aus der Gruppe rief: "Wenn ihr absteigt, schlagen wir euch tot." Auch in Schalke, Hannover und Bremen gab es Demonstrationen auf den Rängen.

Wer will da schon noch zu Hause spielen?

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