Die Özil-Affäre:Zähes Ringen um Worte

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Reinhard Grindel, der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), räumt Versäumnisse im Umgang mit dem Nationalspieler ein. Den von Mesut Özil erhobenen Vorwurf des Rassismus weist er zurück.

Von Martin Schneider, Frankfurt/München

Die Debatte um Mesut Özil wird laut geführt, aber am lautesten ist mittlerweile das Schweigen. Bundestrainer Joachim Löw: kein Wort. Teammanager Oliver Bierhoff: kein Wort. Kapitän Manuel Neuer: kein Wort. Führungsspieler Toni Kroos, Thomas Müller, Mats Hummels: kein Wort. Viele andere Teamkameraden: kein Wort. Die Stille ist so dröhnend, dass jedes Statement auffällt. Zum Beispiel von Nils Petersen, nur einmaliger Nationalspieler, der sich im Trainingslager des SC Freiburg äußerte: "Ich bin Deutschland-Fan und ich bin ein großer Özil-Fan. Nachdem er jahrelang seine Knochen hingehalten hat, hätte er einen schöneren Abschied verdient", sagte der Stürmer.

Außerdem rührten sich bisher die Spieler Jérôme Boateng, Antonio Rüdiger und Julian Draxler. Sie verabschiedeten Özil auf ihren Social-Media-Kanälen, Draxler sogar ein bisschen überschwänglicher als die anderen, als er schrieb: "Danke, für das, was du für den deutschen Fußball getan hast. Du kannst stolz auf deine Leistungen sein." Und auch Boateng nimmt eine Sonderrolle ein, weil er sich als einziger Teamkollege schon vor Özils Rücktritt äußerte und meinte, dass man sich in der Kritik keinen einzelnen Spieler herauspicken sollte. Matthias Ginter äußerte nebulös, man müsse "Hintergründe genau kennen", um den Rücktritt von Özil zu beurteilen. Sonst herrschte Stille.

Zum Schweigen des Teams kam bis Donnerstag das Schweigen des DFB-Präsidenten. Vier Tage brauchte Reinhard Grindel, um sich zu äußern, was verwunderte, weil Özil und seine Berater in ihrem Statement vor allem Grindel massiv kritisiert hatten. Sie unterstellten ihm Rassismus, Unfähigkeit und allgemeine Niederträchtigkeit - und nahmen (was in der Debatte ein bisschen unterging) explizit Löw, Bierhoff oder auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier von Anschuldigungen aus.

Zähes Ringen um Worte: Joachim Löw schweigt (l.), DFB-Präsident Reinhard Grindel äußert sich nach längerer Bedenkzeit. (Foto: Ina Fassbender/dpa)

In einem ersten DFB-Statement am Montag kam Grindel gar nicht zu Wort - was ebenfalls ungewöhnlich war, weil der Präsident normalerweise immer in derartigen DFB-Statements zu Wort kommt. Der Druck, der auch verbandsintern zunehmen soll, war nun offenbar so groß, dass Grindel der Meinung war, noch einmal persönlich Dinge klarstellen zu müssen.

In einem auf der DFB-Homepage publizierten Text schrieb Grindel am Donnerstag, dass ihn die Vorwürfe getroffen hätten - und er bedauert auch, dass "die vielen Ehrenamtlichen" im DFB nun "im Zusammenhang mit Rassismus genannt werden"; was Mesut Özil allerdings mit keinem Wort getan hatte. Einen Rassismus-Vorwurf weist Grindel entschieden zurück und er gibt den Fehler zu, er hätte sich "unmissverständlich" gegen rassistische Anfeindungen stellen sollen. Das sei so gewesen bei Jérôme Boateng - der wurde vor zwei Jahren von AfD-Politiker Alexander Gauland angegriffen. Und auch bei Özil und bei jedem anderen Spieler mit Migrationshintergrund seien derlei Attacken "unerträglich, nicht hinnehmbar und nicht tolerierbar", betonte der DFB-Präsident.

Es war vor allem das Ausbleiben eines solchen Statements, weswegen Grindel und der Verband schon während der Weltmeisterschaft in die Kritik gerieten. Als zunehmend der öffentliche Eindruck entstand, dass Özil nicht nur aufgrund der Erdoğan-Fotos kritisiert wurde, sondern weil er türkische Wurzeln hat, gab es keinerlei Unterstützung vom Deutschen Fußball-Bund. In einem Kicker-Interview forderte Grindel direkt nach dem WM-Ausscheiden stattdessen von Özil ein klares Statement zur Causa Erdoğan.

Mesut Özil nannte in seiner Erklärung vom vergangenen Sonntag die rassisistischen Attacken und die damit verbundene Behandlung durch den DFB als einen Hauptgrund für seinen Rücktritt. Grindel erkannte nun offenbar, dass es für einen Sportverband, der so viele Mitglieder verschiedenster Herkunft repräsentiert, fatal ist, wenn der Vorwurf im Raum steht, sich nicht klar gegen Rassismus zu positionieren. Sogar Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble kritisierte die Verbandsspitze. Am Donnerstag sagte er den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland: "Irgendein kluger Mensch hätte das alles verhindern können und müssen." So sei aus einer "unklugen Fotoaktion" eine derartige Staatsaffäre gemacht worden. Das sei ein Jammer, so Schäuble.

Bemerkenswert ist auch das Schweigen von Löw, der als Özil-Fan gilt und ihm über die Jahre die Treue hielt. Und es wirkt inzwischen so, dass auch die Mannschaft zumindest in Teilen nicht glücklich war mit Özils Foto und seinem Schweigen während der WM - und ihn nun ebenfalls mit Schweigen belegt. Bierhoff gab in einem Bild-Interview bereits vor der WM zu, dass man versucht habe, Özil davon zu überzeugen, eine Erklärung zu den Erdoğan-Fotos abzugeben. Özil entschied sich - im Gegensatz zu Ilkay Gündogan - dagegen: "Ob es in diesem Fall richtig und gut für ihn ist, steht auf einem anderen Blatt. Die Konsequenzen haben wir ihm aufgezeigt und kennt er aus Erfahrung", sagte Bierhoff; und man muss nicht viel zwischen den Zeilen lesen, um zu erkennen, dass Bierhoff das für keine intelligente Strategie hielt.

Stattdessen erbat sich Özil Sonderrechte wie das Fernbleiben vom Medientag. Er erschien auch bei jeder anderen der zahlreichen Pressekonferenzen während der WM nicht auf dem Podium. Stattdessen mussten andere Spieler Fragen beantworten, ob die Affäre Özil nun das Mannschaftsklima belaste. Und wer das Innenleben von Fußballmannschaften kennt, der weiß, dass Sonderrechte für einzelne Spieler nie besonders gut ankommen, wenn 23 Mann um elf Plätze konkurrieren.

Das Schweigen der Spieler und des Trainers dauert jedenfalls mittlerweile zu lang an, um es ausschließlich mit Argumenten wie "Urlaub" oder "Smartphone ausgeschaltet" zu erklären, zumal die FC-Bayern-Spieler wieder im Training sind und mit Fahrrädern durch den Perlacher Forst fahren und nach Özils Rücktritt noch nicht mal ein "Servus" in sozialen Medien kam - für einen 92-maligen Nationalspieler (nur 20 Fußballer spielten häufiger für Deutschland). Und für jemanden, mit dem man vier Jahre zuvor zusammen Weltmeister geworden war. Vielleicht ist es auch kein Zufall, dass sich ausgerechnet Nils Petersen zu Wort meldet. Der war im Quartier in Watutinki nicht dabei, Löw strich ihn aus dem Kader.

© SZ vom 27.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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