Die neuen Bayern:Muskelshirt unterm Trenchcoat

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Das Münchner Experiment wird spannend: Der FC Bayern hat jetzt eine Mannschaft, die das Gegenteil einer klassischen Hitzfeld-Elf ist.

Christof Kneer

Vielleicht wird man später einmal sagen können, dass der 21. April 2007 kein schlechter Tag gewesen ist für den FC Bayern. Es war jener Tag, an dem der FC Bayern plötzlich mit einer innovativen Taktik auffällig wurde.

Lässig oder skeptisch? Luca Toni, einer der spektakulären Neuzugänge der Bayern. (Foto: Foto: dpa)

So aufregend war diese neue Taktik, dass manche Experten sie im ersten Moment gar nicht durchschauten. Ein Spielzug ging so: Abwehrspieler van Buyten bolzt Ball nach vorne, der Stürmer Makaay beim Rumstehen stört. Oder: Mittelfeldspieler Salihamidzic sucht und findet Ball, wird aber von Abwehrspieler Lell über den Haufen gerannt. Oder: Mittelfeldspieler van Bommel zielt nicht nach Ball, dafür mit dem Ellbogen nach Stuttgarter Gegenspieler.

Eingang in die Galerie des Grauens

Längst hat dieser 21. April 2007 Eingang gefunden in die Galerie des Grauens, aber in München versuchen sie jetzt, das Grauen nutzbar zu machen. "Während dieses Spiels in Stuttgart ist in mir die Entscheidung gereift, dass wir etwas verändern müssen", hat Bayern-Manager Uli Hoeneß am Donnerstagabend gesagt, keine sieben Wochen nach dem bestürzenden 0:2 beim VfB.

Die Bayern-Elf ist eine einzige Achse des Bösen gewesen an diesem Tag, worauf der erschütterte Hoeneß beschloss, "dass wir jetzt Gas geben müssen". Am selben Tag noch brach er mit der alten Mannschaft. Am selben Tag schrieb er eine neue Elf zur Fahndung aus, und jetzt, keine sieben Wochen später, hat er die neue Elf mit Ausnahme des schwer zu fassenden Miroslav Klose (siehe Meldung unten) dingfest gemacht.

Wenn es gut geht, was der FC Bayern da plant, dann könnte dieser 21. April 2007 am Ende noch ein historischer Tag werden. Jener Tag trieb die Münchner in einen so radikalen Politikwechsel, dass am Donnerstag der 25 Millionen Euro schwere Franzose Franck Ribéry, 24, und der elf Millionen schwere Italiener Luca Toni, 30, als prominente Zugänge präsentiert werden konnten.

Der Stolz hat die Seite gewechselt

Man hat ja schon viel erlebt beim FC Bayern München, aber diese Art von Experiment ist neu. Bisher gehörte es zum tief empfundenen Selbstverständnis dieses Vereins, dass es für jeden Spieler eine Ehre zu sein hat, vom großen FC Bayern gerufen zu werden; erstmals in seiner Geschichte macht sich dieser Klub jetzt kleiner als seine Spieler."Wir sind sehr stolz, dass wir solche Weltstars nach München holen konnten", sagte Manager Hoeneß.

Einen gewissen Charme hat es schon, dass sich ausgerechnet der auf Verlässlichkeit berechnete FC Bayern nun einem schwer berechenbaren Experiment aussetzt.

"Nach dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit würde ich sagen, dass diese Mannschaft in der neuen Saison besser ist als Platz vier", sagt Hoeneß, was recht defensiv klingt angesichts dieser personellen Offensive, die neben Ribéry (Olympique Marseille) und Toni (AC Florenz) auch noch Jan Schlaudraff (Alemannia Aachen), Hamit Altintop (Schalke 04), José Ernesto Sosa (Estudiantes de la Plata), Marcell Jansen (Borussia Mönchengladbach) und vermutlich Zé Roberto (FC Santos) in die Stadt spült.

Im zweiten Teil lesen Sie von der schweren Arbeit, die nun auf Hitzfeld zukommt.

Aber das Gesetz der Wahrscheinlichkeit ist ja wahrscheinlich in guten Händen beim FC Bayern, der sich ja wieder vom studierten Mathematiker Hitzfeld trainieren lässt. "Wir haben nach bestem Wissen und Gewissen ein Team zusammengestellt", sagt Hoeneß, "und nun hoffen wir, dass es Ottmar Hitzfeld bald gelingt, aus dieser Ansammlung guter Einzelspieler eine gute Mannschaft zu machen."

Nach dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit hätte Hitzfeld das bestimmt auch nicht gedacht, dass er, der alte Mathematiker, noch mal so eine unmathematische Mannschaft unterrichten darf. Das bayerische Experiment bezieht seine Spannung ja nicht nur daraus, ob diese Elf sich so über den Platz verteilen lässt, dass immer alle Positionen besetzt sind.

Und das Mittelfeldloch?

In jener Formation, die den Verantwortlichen für den Saisonstart abzüglich des verletzten Sagnol schon konkret vorschwebt, lässt sich ganz ohne Fernglas noch jenes gemeine Mittelfeldloch erkennen, das in der letzten Saison so viele Bälle verschluckt hat. Viel spannender aber wird die Frage sein, ob es Hitzfeld gelingt, diese Mannschaft zu seiner eigenen zu machen. Denn es ist eine Mannschaft, die fast allen historischen Erkenntnissen über den Trainer Hitzfeld widerspricht.

Man hat Hitzfeld immer einen Trenchcoatfußball unterstellt, aber im Grunde ist das ein Kompliment gewesen. Hitzfeld ist ein schlauer Stratege, und er mag Teams, die zeitlos schöne Verlässlichkeit ausstrahlen. So hat er auch seine Mittelfelder besetzt: Er hat treuen Verfolgungsfußballern wie Jeremies vertraut, nickligen Eiferern wie Salihamidzic, stabilen Allwetterspielmachern wie Effenberg.

Nun hat der Trenchcoat-Trainer plötzlich eine Mannschaft, die wie eine Art Muskelshirt ist. Diese Elf soll den Gegnern Angst machen, speziell Ribéry, der sein Genie aus der Anarchie bezieht. Ribéry war nie in der französischen Fußball-Eliteschule in Clairefontaine, er ist kein Stratege. Ribéry zieht das Spiel nicht an sich, vielleicht kann er es auch gar nicht lesen.

Trotzdem ist er einer der weltbesten Fußballer, sein Spiel ist ein ebenso kraftstrotzendes wie filigranes Spektakel. An guten Tagen kann Ribéry eine Mischung aus Cristiano Ronaldo und Wayne Rooney sein. "Ich bin Flügelspieler", sagt er, "mein Herz schlägt links und rechts. Ich bin einer, der gern im Mittelfeld den Ball übernimmt und durch die gegnerischen Reihen prescht."

Franck Ribéry ist ein moderner Fußballspieler, aber er braucht eine Achse, die ihn trägt. Der moderne Fußball wird im defensiven Mittelfeld entwickelt, dort wird die Offensive angebahnt und die Defensive gestützt, und dort könnte sich auch das Schicksal dieser neuen Bayern-Elf entscheiden.

"Große Dinge werden passieren"

Ob der rustikale van Bommel und der verspielte Zé Roberto als Stabilitätspakt taugen, wird in der Branche bezweifelt, dabei wird gerade diese Mannschaft dringend ihre Mitte brauchen. Auch der Argentinier Sosa ist ja ein anlehnungsbedürftiger Dribbler, aber die Bayern trauen ihm so viel zu, dass sie den im Nationalteam auf rechts besetzten Ribéry extra nach links verschieben wollen. Dort soll er für Schweinsteiger spielen, den sie wegen seines labilen Umfeldes vereinsintern kritischer sehen denn je; er dürfte es auch nach auskurierter Knieblessur schwer haben, in die Elf zu finden.

Ohnehin sind die Bayern an den Rändern gut besetzt wie nie, auch Jansen und Zé Roberto können dort flitzen und dem Kopfballkönner Toni ihre Flanken in den Luftraum schaufeln. Dieser Spielzug könnte eine der wenigen Verbindungslinien zu früheren Hitzfeld-Teams markieren: Hitzfeld gilt als Erfinder jener Elf, die sich über Sagnol-Flanken und Ballack-Kopfbälle definierte.

"Im nächsten Jahr werden hier große Dinge passieren", hat Luca Toni gesagt. Nach dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit wird er aber wegen einer Fußverletzung zum Trainingsauftakt erst mal pausieren müssen.

© SZ vom 9.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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