Die Familie Thurau:Abstrampeln und freitreten

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Der Sohn, am Anfang seiner Profilaufbahn, will sauber nach vorne fahren. Der Vater, einst Held im Gelben Trikot, hält das für eine Illusion.

Holger Gertz

Man erkennt ihn schon von weitem, wie er am Treffpunkt wartet, in der Fußgängerzone von Baden bei Zürich, gegenüber der Filiale von Credit Suisse. Er ist groß und athletisch, die Figur eines Sportlers, er trägt Schwarz, weil Schwarz einfach gut aussieht und er immer schon darauf geachtet hat, gut auszusehen. Passanten schleppen Einkaufstaschen, ein sonniger Nachmittag, die Straßen sind voller Menschen. Er sticht heraus, sie nannten ihn den "Blonden Engel" vor dreißig Jahren, und dass sein Haar noch schimmert wie damals, liegt wohl daran, dass der Friseur nachgeholfen hat. Dietrich Thurau, 52, ist nicht nur blond geblieben, er ist sogar blonder geworden. Seine Frisur wirkt wie von innen beleuchtet.

Als 20.000 Fans in Bonn Jan Ullrichs Toursieg 1997 feiern, ist Björn Thurau mit auf dem Balkon. (Foto: Foto: dpa)

Im Café-Corner, einem etwas angeschmuddelten Laden, Typ Studentencafé, bestellt er einen Cappuccino und fängt an zu erzählen, die Worte stranden oft in einem sanften hessischen Sch. Er lebt schon länger in der Schweiz, aber er spricht noch wie damals, als aus dem Sohn eines Chemiefacharbeiters aus Frankfurt am Main der Blonde Engel wurde, der bei der Tour de France 1977 gleich am ersten Tag das Gelbe Trikot überziehen durfte und es dann zwei Wochen nicht mehr hergab. Die Fahrradläden in Deutschland verkauften schon während der Tour so viele Rennräder wie nie zuvor, vergriffen waren schnell auch die Schirmmützen, wie Thurau sie trug, Raleigh stand drauf, so hieß sein Team. Bald konnten in Deutschland alle Fernsehzuschauer die Namen der Etappenorte aussprechen, weil die Fernsehreporter sie ihnen halbwegs sicher eingebimst hatten: Oloron-Sainte-Marie. Seignosse-le-Penon. Bagnoles-de-l'Orne.

"Sie ham's ja alle gemacht."

Erst nach der 15. Etappe in den Alpen, auf der Fahrt von Morzine nach Avoriaz, musste Thurau sein Trikot abgeben, die Kräfte verließen ihn in dem Moment, als sie ihn hätten durchhalten lassen sollen. Er sagt, er sei sauber gewesen bei dieser Tour, er habe nicht gedopt. Die Strecke war nicht sehr schwierig in dem Jahr, das Team funktionierte. Es ging auch so, sagt er. Am Ende wurde er Fünfter, nur Fünfter, das sticht in ihm bis heute. "Ich stand damals vor der Entscheidung, mit meinem Masseur: Wir haben drüber diskutiert. Ich war ja relativ jung gewesen, 22 Jahre, da stand die Entscheidung an, ob ich jetzt wirklich zu harten Mitteln greif' oder net, und ich hab's damals net gemacht. Wenn ich's gemacht hätt', hätt' ich sie vielleicht gewonnen, die Tour."

Er setzt eine Pause, beobachtet, taxiert, wartet auf eine Nachfrage, aber setzt dann ohne neuen Anstoß fort: ,,Im Nachhinein würd' ich's anders machen.''

Sie würden also was nehmen?

"Klar. Weil, sie ham's ja alle gemacht damals."

Man kann schnell ein moderner Held werden, bei Dietrich Thurau reichten damals diese 14 Tage in Gelb. Er hat danach Jahre gebraucht, um seinen Ruf zu zertrümmern, aber er hat es geschafft. Er trat, gegen viel Geld, bei zu vielen Sechstage-Rennen an und verschenkte sein Talent als klassischer Straßenfahrer. Er wurde des Dopings überführt, später gab es immer wieder Prozesse. Es ging mal um Urkundenfälschung, mal um Tierquälerei, um Beleidigung, das ganze Programm. Er habe die Mieter seines Hauses am Telefon terrorisiert. Er musste Insolvenz anmelden. "Das ist auch anderen passiert", sagt Thurau. Aber seine Fallhöhe war größer. "Seit Konrad Adenauer hat keiner mehr für die deutsch-französische Freundschaft getan als Didi Thurau", hatte Jacques Chirac damals nach seiner großen Tour gesagt, Chirac war Bürgermeister von Paris. Thurau hat das Zitat ganz an die Spitze seiner Homepage gesetzt, weiter unten steht der Hinweis, dass man ihn buchen kann, zum Beispiel für Autogrammstunden. Das Interesse hält sich aber in Grenzen. "Autogrammstunden mach' ich nicht mehr. Da sind dann vielleicht zehn Leut', da kommst du dir blöd vor."

Thurau ist anders als die geständigen oder überführten Fahrer der Gegenwart, die noch was zu verlieren haben. Weil sie weiter mitfahren, wie Erik Zabel. Weil sie als Sportchef noch im Geschäft sind, wie Rolf Aldag. Weil sie, wie Jan Ullrich, wenigstens die winzigen Reste ihres Daseins als Idol retten wollen. Thurau hat nichts mehr zu verlieren. Vielleicht ist er deshalb einfach ehrlicher.

Er sagt, kurz nach der Tour habe er angefangen mit den harten Sachen. Es ging um die WM, und wo er bei der Tour erlebt hatte, wie hart es ist, ungedopt gegen Gedopte zu verlieren, dieses Gefühl von Ohnmacht - da wollte er jetzt die selben Chancen wie der Rest. Die WM war in Venezuela, "das ging auf fast 2000 Meter hoch, da musstest du was nehmen, sonst wärst du net dabei gewesen." Er sagt, es waren Amphetamine. Er habe sich während des Rennens Pillen eingeworfen, "die hatte ich in meinem Trikot drin, für die letzten anderthalb Stunden, die letzten Kilometer halt. Du kannst dann richtig auf die Zähne beißen, weil zum Schluss bei so 'nem Rennen, das kann sich ein normaler Mensch nicht vorstellen, wie's da zugeht. Bei 'ner WM geht es nach fünf Stunden erst richtig los, da bleiben nur die Härtesten übrig."

Dietrich Thurau breitet die Details so kühl und kalkuliert aus, wie er früher die Mittel genommen hat. Die Bekenntnisse bringen ihn zurück in die Zeitung, er stand immer gern in der Zeitung. Es gibt ein Foto, wie er unter einer Bettdecke liegt, die bedruckt ist mit Schlagzeilen über ihn. Mit seinen Söhnen hat er nicht so ausführlich über Doping geredet wie jetzt im Café, man schämt sich wohl vor seinen Kindern. Erik Zabel hat das in seinem Geständnis auch gesagt, es war der Moment, an dem man ihm tatsächlich glauben konnte. Aber Dietrich Thurau, der ein Talent dafür hat, das Falsche zu tun, hat eher das Falsche getan, als er sich seinem Sohn Björn nicht vernünftig offenbart hat. "Er hat gefragt, was ich genommen hab', das hab' ich ihm gesagt, aber er hat ja keine Ahnung davon."

Wäre es nicht seine Pflicht als Vater gewesen, ins Detail zu gehen, von Blut und Urin zu reden - um etwas zu retten?

Björn Thurau, 18, Dietrich Thuraus Sohn, ist Anfang Januar Profi geworden, Radprofi. Er fährt seine ersten Rennen, den Henninger Turm in Frankfurt, jetzt kommen die "Neuseenclassics" in Leipzig. Am Abend vor dem Rennen sitzt er im Foyer des Team-Hotels, draußen in Markranstädt, und als man ihn fragt, wie es ihm geht, die übliche Einstiegsfloskel, sagt er: "Sehr gut. Passt. Form ist gut." Das soll klingen wie bei einem, der schon lange dabei ist, konzentriert auf das Wesentliche. Aber Björn Thurau hat noch fast ein Kindergesicht und diese abstehenden Ohren. Michel aus Lönneberga im XXL-Format. Er ist 1,93 groß, seine Füße sind riesig wie Schaufeln. Er fährt für eine Mannschaft mit dem Monsternamen Continentalteam Atlas-Romers Hausbäckerei aus der Schweiz, vor allem fährt er für sich. Er hat nichts, was er sonst tun könnte. Nach dem Hauptschulabschluss ist er von der Schule abgegangen. "Ich will Radprofi werden, ein guter Radprofi. Da muss man viel Zeit mitbringen, und es ist schwer, wenn man nebenher noch einen Beruf erlernt. Ich hätte die Mittlere Reife machen können, aber ich hab's sein lassen."

Wenn man bei Profi-Radrennen startet, ist man im Moment für viele, denen man begegnet, ein potentieller Täter. Die Leute draußen machen wenig Unterschiede. Björn Thurau sagt: "Vor drei Tagen bin ich trainieren gefahren, da rufen dann ein paar Kinder: 'Dopingsünder!' hinter mir her. Am liebsten wäre ich vom Rad gestiegen, aber im zweiten Moment habe ich mir gedacht, das sind noch Kinder, fährst du mal weiter."

Wenn man bei Profi-Radrennen startet und Thurau heißt, ist man potentieller Täter und der Sohn eines Täters. Björn Thurau fährt für seinen Rennstall, für sich selbst, er fährt um seine Zukunft. Er fährt gegen einen generellen Verdacht an, und er fährt auch gegen seinen Vater. Er will berühmt werden wie der Vater, aber sauber bleiben dabei. Er fährt für etwas, gegen etwas, um etwas. Als er vor ein paar Wochen beim Rennen um den Henninger Turm antrat, war sein Vater nicht im Publikum. Er hat ihn nicht vermisst, sagt Björn Thurau, und er schluckt nicht mal dabei. "Das einzige war, dass ich mir vorgenommen habe, jetzt werde ich es ihm erst recht zeigen."

Ohne seinen Vater wäre Björn Thurau nie Radfahrer geworden

Die Thuraus sind zerstritten im Moment, der Vater hat sich von der Mutter getrennt, der Sohn ist beim Vater ausgezogen, die beiden reden nicht miteinander, sondern übereinander, vor kurzem in der FAZ. Kommen Sie zu Björns Rennen an den Henninger Turm?, fragte der Reporter. Thurau sagte: "Nee. Ich mache mit meiner Freundin eine Fahrradtour."

Der Streit dreht sich um Faulheit in der Schule, um Abnabelung und Aufbegehren, um Kontrolle und Kontrollverlust, normale Konflikte eigentlich, aber sie sind keine normale Familie. Schon dass die Einzelheiten des Familienkrachs in der Zeitung stehen, ist nicht normal. Björn Thurau sagt, sein Vater habe ihn auf seinem Weg immer unterstützt. Nur jetzt nicht mehr, ,,an dem Punkt, wo es am wichtigsten wäre. Wenn man sagt, man setzt alles auf eine Karte''. Er war immer nah bei den Fahrern. Als Jan Ullrich nach seinem Tour-Sieg 1997 vom Balkon des Bonner Rathauses in die Menge winkte, im Gelben Trikot, stand neben ihm, noch ganz klein, aber schon mit großen Ohren: Björn Thurau. Ohne seinen Vater und dessen Verbindungen und sein Renommee, wenigstens in der Radsportszene, wäre er nie auf diesen Balkon gekommen, ohne seinen Vater hätte er Ullrich später nicht getroffen, und der hätte ihm nicht dieses Poster signiert, das lange in seinem Kinderzimmer hing. Björn Thurau kann den Text der Widmung auswendig, er hat ja lange vorm Schlafengehen auf dieses Plakat geschaut. Alles Gute und sturzfrei, Jan Ullrich. Ohne seinen Vater wäre er wohl nie Radfahrer geworden, und vielleicht wäre er es auch trotz seines Vaters nicht geworden, oder gerade wegen seines Vaters nicht. Wenn der ihm mehr über Doping gesagt, ihn gewarnt hätte. Aber dazu hätte sein Vater eine klare Haltung entwickeln müssen, gegen das Doping.

Aber Dietrich Thurau, im Café-Corner von Baden, spricht manchmal wie einer dieser Weltkriegs-Veteranen, die immer sagen, es war eine harte Zeit, aber es gab auch schöne Momente. Ausdauersportler wie er sind immer auch Soldaten. Die Auseinandersetzung mit den Dopingjägern gerinnt in seinen Geschichten zu einem Kinderabenteuer: Wer trickst den anderen aus. Bei der WM damals, wo er sich was eingeworfen hat, ist er nicht erwischt worden. "Da hast du gar nicht dran gedacht. Du hast genau gewusst, wenn du gewinnen willst, die andern ham's auch gemacht. Ist praktisch im System mit drin gewesen. Du hast gewusst, die Kontrollen umgehst du halt - damals war das noch nicht so streng wie heute. Hast halt den Urin ausgetauscht, hast dir sauberen reingeschüttet, so einfach war das." Die Fahrer konnten ohne Aufsicht in die Kabine gehen und ein Röhrchen mit Urin füllen, mit dem des ungedopten Masseurs etwa oder der ungedopten Freundin. So kam es, dass bei einem Fahrer eine Schwangerschaft festgestellt wurde und bei Thurau der Nikotinrückstand eines Kettenrauchers. Obwohl er Nichtraucher war.

Eines seiner Gelben Trikots liegt zusammengefaltet bei seiner Mutter, in einer Plastiktüte, "damit die Motten nicht rangehn, ist ja was wert, das Ding." Ein anderes hängt gerahmt daheim, im Eingangsbereich. Wer ihn besucht, soll es gleich sehen. "Es ist ungewaschen, da hängt noch der Dreck drin." Bjarne Riis, der Toursieger von 1996, hat gerade Doping mit Epo zugegeben und gesagt, das Gelbe Trikot liege zu Hause in einem Pappkarton in einer Garage, wer es abholen wolle, könne es abholen, es bedeute ihm nichts. Thurau bedeuten seine Trophäen alles, egal, wie er sie gewonnen hat. "Ich weiß, was da dahintersteckt, wie viel Arbeit es war, und ob das jetzt mit oder ohne Doping war, ist mir vollkommen wurscht."

Nur manchmal schlingert er, wie ein Fahrer, der den Berg raufkeucht: wenn es um Björn geht, seinen Sohn. Er fragt sich, wie der vom Fahren leben will, so groß wie er ist, viel zu groß, um bei der Tour schnell über die Alpen zu kommen, wie es die Winzlinge schaffen, die Bergziegen im Trikot mit den roten Punkten. Wie soll er da mithalten, ohne was zu nehmen? "Durch den Skandal werden einige Teams zumachen, das Team Wiesenhof hört ja schon auf, und ich geh' davon aus, wenn noch was dazwischenkommt bei der diesjährigen Tour, dann kann das 'ne Kettenreaktion auslösen. Dann steht er auf der Straße und hat nix."

Dietrich Thurau ist Kaufmann, Immobilienbusiness. Er war Fahrer. Beides sind Geschäftsfelder, die Skrupel nicht gestatten. Er spricht nicht über Angst um seinen Sohn. Er spricht von Profit, der im Radsport in Frage steht - jetzt, wo alles aufgeflogen ist. Er spricht über den Druck, den ein Fahrer hat, überhaupt bei einem Team unterzukommen. Er erhöht den Druck auf seinen Sohn, seine Stimme klingt schneidend wie eine Klinge: "Er fährt mittlerweile sozusagen als Profi, aber er verdient nix dabei im Moment. Muss erst Leistung bringen."

Er spricht von Verdienst, von Leistung. Vor Doping, das oft die Grundlage ist von Verdienst und Leistung, sollen seinen Sohn eher die Mediziner und Offiziellen warnen, Thurau selbst hat den Zeitpunkt, das zu tun, irgendwie verpasst, jetzt vertraut er auf andere, wie die Radfahrer immer den Masseuren und den Teamchefs vertraut haben; wie die Zuschauer und das Fernsehen den Radfahrern vertraut haben; wie einer dem anderen jahrzehntelang vertraut hat in dieser Szene. Und sei es nur darauf, dass nichts auffliegt. Dietrich Thurau sagt: "Von der Sporthilfe, wo Björn ja auch drin ist, kriegst du die Bögen geschickt, wo du unterschreiben musst, dass du nix nimmst. Und dann ist da noch die Nada, die auch Vorgaben macht, an was du dich zu halten hast."

Björn Thurau, im Foyer des Mannschaftshotels, erzählt aber, dass er von dieser Nada, der Nationalen Antidopingagentur, in diesem Jahr nicht getestet worden ist. "Dabei könnten die fünfmal pro Woche kommen, ich nehme ja nichts, ich habe ein gutes Gewissen." Er erzählt von dem Arzt Georg Huber, dem er sich anvertraut hat, dieser Huber war ja Mitglied der Nada und außerdem Sportarzt des Jahres 2005; er trug sozusagen das Gelbe Trikot der Mediziner. Aber dann hat er gelesen, dass Huber in den Achtzigern geholfen hat, Radfahrern, die so jung waren wie er, Testosteron zu spritzen. Er erzählt, dass er im deutschen U-23-Kader zu tun hatte mit Peter Weibel, dem Bundestrainer. Der ist gerade suspendiert worden, er soll damals junge Fahrer mit Substanzen versorgt haben. Jede Doping-Geschichte, die in einer Zeitung steht, betrifft auch ihn. Björn Thurau hat im Moment keinen Bundestrainer Weibel mehr und keinen Doktor Huber in Freiburg, er hat keinen Kontakt zu seinem Vater. Er hat nicht viel Ahnung von Doping, er weiß nicht genau, wie dieses Epo wirkt und kennt nicht mal das komplizierte Wort, für das das Kürzel steht.

Je kleiner, desto schneller

Neben ihm sitzt Patrick Schumacher, der Sportliche Leiter seines Teams, ein Schweizer aus einer alten Radsportdynastie. Sein Onkel war Querfeldeinweltmeister. Aber das hilft ihm jetzt auch nicht weiter. Schumacher sorgt sich um die Sponsoren, bei ihm geht es nicht um die Telekom, nur um Romers Hausbäckerei, spezialisiert auf tiefgekühlte Feinbackwaren. Aber trotzdem: "Wenn die großen Sponsoren nicht mehr wollen, was ist dann mit den kleinen?", fragt Patrick Schumacher, und dann sagt er, dass in so einem kleinen Rennstall wie seinem nicht darauf geachtet werden könne, dass die Fahrer eine vernünftige Schulausbildung haben, bevor sie Profi werden. "Wir sind ein kleines Team, da muss man schauen, was kann man, was will man, wo sind die Grenzen?"

Björn Thurau will nichts nehmen. Wenn er immer Achtundsiebzigster wird, dann wird er eben Achtundsiebzigster. "Radfahren soll doch vor allem Spaß machen." Schumacher lächelt so halb, Björn Thurau ist ganz ernst. Er sagt, er sei übrigens nur 1,93 groß, nicht 1,94, wie der Vater behauptet, oder 1,95, wie in der Zeitung stand. Je kleiner einer ist, desto schneller kommt er über die Berge, auch ohne Doping. Er macht sich kleiner, damit er besser an sich glauben kann.

Am nächsten Morgen startet das Profirennen, die "Neuseenclassics 2007" über 191 Kilometer. Am Abend hat es gewittert, es ist nass und grau, als sich die Fahrer am Start aufstellen, das passende Wetter für diese Sportart, eine Kulisse, die ihren Zustand perfekt illustriert. Dunst hängt in der Luft, aber Björn Thurau erkennt man schon von weitem, er ist so groß, größer als die meisten anderen im Feld. Er sticht heraus. Startnummer 192, Teamkürzel ARH. Das Peloton setzt sich in Bewegung, es geht nicht über Oloron-Sainte-Marie, Seignosse-le-Penon, Bagnoles-de-l'Orne nach Paris wie bei der Tour de France. Es geht über Schmorditz, Schkortitz und Neukieritzsch nach Zwenkau. Nach viereinhalb Stunden kommt Björn Thurau als 38. ins Ziel, zwei Minuten und zwei Sekunden hinter dem Sieger, einem Franzosen. Ein gutes Ergebnis, die anderen Fahrer klopfen ihm auf die Schulter, er ist nicht allein, zum ersten Mal in den letzten Tagen ist er nicht allein. Da sagt eine dicke Zuschauerin: "So weit hinten. Naja, ein echter Thurau wird der ja nie."

Björn Thurau hört es nicht.

© SZ vom 2.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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