DFB-Team:Die Schichtarbeiter vor dem Gipfelkreuz

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Mit dem Finaleinzug restauriert die deutsche Mannschaft das verblasste Bild einer Turniermannschaft.

Ralf Wiegand

(SZ vom 27.6.02) - Es trennte sie nur eine dieser beweglichen Wände, mit denen man aus einem ganz großen Kongresssaal in einem sehr teuren Hotel zwei große machen kann. Auf der einen Seite der verschiebbaren Plastik-Elemente, die ungefähr den gleichen Schallschutz gewährleisten wie ein japanischer Papier-Paravant, tagte das internationale Medienforum zum Einzug der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in das Endspiel um die Weltmeisterschaft 2002 unter der Schirmherrschaft des Teamchefs Rudi Völler. Wortbeiträge: Thomas Linke und Michael Ballack.

Abpfiff des Halbfinales und das deutsche Team um Rudi Völler (v.) setzt zum Gipfelsturm an (Foto: N/A)

Auf der anderen Seite präsentierte der Tierfuttermittel-Hersteller Purina zeitgleich seine neuesten Produkte der koreanischen Presse. Pünktlich, als Thomas Linke anhob, die Qualitäten des deutschen Spiels zu erläutern - "Ordnung und Disziplin" -, spielten sie nebenan die passende Musik vom Band: den Radetzky-Marsch.

Zackiges Werk der deutschen Mannschaft

Man mag nun einwenden, dass der Radetzky-Marsch so deutsch ist wie Heuriger und Mozartkugeln, aber als Soundtrack für das deutsche Spiel gegen die Südkoreaner am Dienstag (1:0) und all die anderen Darbietungen zuvor hätte man gar nichts besseres aussuchen können als das zackige Werk von Johann Strauss.

Der dreimalige Weltmeister und nun siebenmalige WM-Finalist Deutschland hat das verblasste Bild der unbeirrbaren Turniermannschaft aus Germany in so grellen Farben restauriert, dass selbst die Engländer ihren wie teuren Wein gelagerten Spaß am 5:1 von München vom letzten Herbst verloren haben: "Je weiter die Deutschen bei diesem Turnier kommen", grämt sich die Times, "desto mehr kommt dieser Sieg für England als Spott zurück."

Angespannter Teamchef

Das Desaster aus dem Olympiastadion war die tiefste Stelle jenes Tales, in dem Rudi Völler den deutschen Fußball an die Hand genommen hat, um gemeinsam irgendwo einen kleinen Hügel zu finden. Seitdem ging es auf und ab über "Höhen und Tiefen", wie der Teamchef sich erinnert, und jetzt stehen sie plötzlich auf einem sehr steilen Berg und sehen das Gipfelkreuz.

Völler allerdings wirkte so angespannt, als habe er bei dem rasanten Aufstieg das Sauerstoffgerät vergessen, als er seine persönliche Freude darüber zum Ausdruck bringen sollte: "Ich freue mich natürlich, ist doch klar", sagte er und lächelte nicht. Es entstand der Eindruck, dass selbst jetzt noch, nachdem die deutsche Elf bei ihrer Abreise nach Asien mit nichts weiter belastet war als dem Wunsch, sie möge sich anständig aus der Affäre ziehen, eine Enttäuschung möglich ist. "Wir haben das recht ordentlich gemacht", lobte Völler die Gruppe und sich, "bis zum heutigen Tag." Fehlt halt nur noch der Endspieltag.

Platini: "Deutsche Teams sind deutsche Teams"

Es ist schon ein erstaunlicher Werdegang, den dieses Team genommen hat, nachdem ihm peu à peu erst die besten kreativen und dann auch noch die führenden defensiven Kräfte abhanden gekommen waren. Kein Tag vergeht, an dem nicht die Namen Scholl, Deisler, Nowotny und Wörns genannt werden als Ausdruck für die Dezimierung der Mannschaft um Führungskraft und Spielqualität.

Völler skizzierte sogar ein bloßes Nichts, als er daran erinnerte, mit welchem Kader er das Projekt 2002 anzugehen hatte, nämlich mit "jungen Spielern, mit denen keiner gerechnet hatte, und älteren, die bei niemandem mehr auf dem Zettel standen". Und nun sind diese Jungen - Metzelder, Frings, Klose - und die Älteren - Linke, Bode, Neuville und sogar der gegen Korea klugerweise eingewechselte Bierhoff - auf fast wundersame Weise einem Anspruch gerecht geworden, den Michel Platini stellvertretend für die verblüffte Außenwelt so zusammenfasste: "Deutsche Teams sind immer deutsche Teams."

Ballack fühlt sich als Teil des Teams

Was eine Turniermannschaft eigentlich auszeichnet, war auch bei früheren Weltmeisterschaften, die einen ähnlichen Verlauf für die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes nahmen, nie zu klären. 1986 in Mexiko, dem bevorzugten Pendant zur Besetzung 2002, war es keine verschworene Gemeinschaft wie jetzt, die es zum Beispiel Michael Ballack ermöglichte, einen Tag nach seinem persönlichen Halbfinal-Aus wieder zu lachen und entschlossen anzumerken, "voll und ganz Teil dieser Mannschaft" zu bleiben.

Die Elf von 1990 verfügte ganz anders als die heutige über Führungsfiguren auf dem Höhepunkt ihres Schaffens wie Matthäus oder Klinsmann; den 74er Weltmeistern sagt man gelegentlichen Genialismus nach, und 1982 hatte das Team, das das Finale erreichte, lange nicht einmal die Kraft, um Algerien standhalten zu können.

Enger und enger zusammengerückt

Vermutlich ist eine Turniermannschaft demnach eine Vereinigung von Fußballspielern, die ihr jeweiliges Können, das ihr gerade zur Verfügung steht, am effizientesten umzusetzen vermag. "Sie ist ein Kollektiv, das ist die Stärke dieser Mannschaft", sagte Franz Beckenbauer, und Völler verstärkt diese Annahme, indem er darauf hinweist, die Spieler seien "enger zusammengerückt".

Im Spiel gegen Südkorea, klammert man Oliver Kahns Parade aus dem Frühstadium der Partie als erneute Überlappung des Phänomenalen mit dem Irdischen aus, war es kaum möglich, einen schlechtesten und einen besten Spieler auszumachen. "Jeder kennt seine Aufgabe, jeder ist diszipliniert und jeder stellt sich in den Dienst der Mannschaft", sagte Thomas Linke, und das heißt nicht weniger als: Jeder tut, was er kann.

Noch einen Sieg vor Feierabend

Das Spiel gegen Korea, das als Gastgeber noch einmal beflügelt wurde vom Gedanken, sich in den Geschichtsbüchern noch ein paar Seiten weiter nach vorne rennen zu können, war das kraftraubendste für die deutsche Elf, aber halt nicht das letzte. "Einmal geht noch, dann ist Feierabend", sagte Carsten Ramelow im neuen Team-Tonfall fleißiger Schichtarbeiter vor dem Jahresurlaub, den sie sich jetzt schon verdient haben.

"Im Läuferischen und Taktischen sind wir an unserem Endpunkt angekommen", bemerkte Rudi Völler zum selben Thema, und wenn das mit dem Finale dennoch gut gehen sollte, bleibt nur zu hoffen, dass die Tierfuttermittelfirma Purina noch einen Song in petto hat: Aida, Triumphmarsch.

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