DFB-Pokal Halbfinale:Unsterblichkeit, Teil II?

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Der FC St.Pauli schrieb Fußballgeschichte, als er den FC Bayern aus dem Pokal kickte. Vier Jahre später und zwei Klassen tiefer hofft St.Pauli auf dasselbe Wunder. Die Bayern gruseln sich schonmal.

Jörg Marwedel

Sie waren schon alle da, die Reporter des Grauens. Sie haben sich umgetan in der winzigen Gästekabine im Keller des maroden Klubhauses. Sie haben die sechs Duschen inspiziert und fotografiert, damit sich die Millionäre des FC Bayern München schon vor dem Mittwochabend ein bisschen gruseln können.

Sie haben die toten Fliegen im Lampenschirm der Umkleide gezählt und die Schimmelflecken in den Ecken der engen, schmuddeligen Nasszelle. Und natürlich haben sie auch den Rasen des Millerntor-Stadions in Augenschein genommen, einen notdürftig präparierten Acker, bei dessen Anblick "Uli Hoeneß uns sofort einen neuen Rollrasen spendieren würde", wie Holger Stanislawski, der Manager des FC St. Pauli, mutmaßte.

Im Dezember hat hier Dieter Hoeneß, der Manager von Hertha BSC Berlin, im Kabinengang einen Wutanfall bekommen nach dem Pokal-K.o. seines Teams - bis Claus Bubke, 61, der zahnlose Zeugwart des FC, brüllte: "Ruhe hier, ich will mein Bier trinken."

Im Januar haben die Bremer hier gezetert, nachdem sie auf dem vereisten Boden 1:3 verloren hatten und ihr Nationalstürmer Miroslav Klose bei einem Sturz eine böse Schulterverletzung erlitt. Auf dem Weg zur Pressekonferenz musste Trainer Thomas Schaaf über einen betrunkenen St.Pauli-Fan hinwegsteigen.

Ja, und am 6. Februar 2002 hat der Bayern-Manager Uli Hoeneß hier getobt und seine berühmte Scampi-Rede gehalten - gegen die verwöhnten Stars des damaligen Weltpokalsiegers, die gerade vom FC St. Pauli mit 2:1 Toren niedergekämpft worden waren. Zeugwart Bubke will damals erkannt haben: "Das sind andere Menschen."

Größter Triumph der Vereinsgeschichte

Der 6. Februar 2002 ist in den Kneipen St. Paulis oft beschworen worden in diesen Tagen vor dem DFB-Halbfinale gegen den FC Bayern am Mittwochabend (20.30 Uhr, live ARD). Das Datum steht schließlich für den größten Triumph der Vereinsgeschichte.

Es ist auf den zum Schlager gewordenen braunen "Weltpokalsiegerbesieger"-Shirts verewigt wie die Heroen jenes Abends: Stanislawski etwa, der damalige Kapitän, und Thomas Meggle, der Torschütze des 1:0, der als einziger Pauli-Spieler auch diesmal auf dem Platz dabei sein wird.

Es gilt den gläubigen Anhängern als Indiz dafür, dass die zutiefst irdischen St.Paulianer noch größere Geschichte schreiben können im Duell mit den Vertretern der globalen Glitzerwelt und dass die aktuelle Krise des Giganten den Zwerg noch einmal für ein paar unwirkliche Momente überdimensional wachsen lassen könnte.

Es hat sich also nicht viel verändert an der ganz speziellen Millerntor-Folklore seit jenem Februar 2002. Außer, dass der damalige Bundesligist FC St. Pauli nun zwei Klassen tiefer spielt und noch kleiner geworden ist neben dem mächtigen Branchenführer.

Und weil seit einem 0:1 am Samstag in Jena fast feststeht, dass dies in der nächsten Saison weiter so sein wird, hat auch der Manager Stanislawski nach dem mutmaßlich verpassten Aufstieg eine Art Mist&Käse-Rede herausgeblasen. "Bayern, Bayern, Bayern", hat er gefaucht, "seit Wochen geht das so. Das geht mir auf den Geist, aber wie!"

Vielleicht, dachte Stanislawski laut, werde er gar nicht ins Stadion gehen und sich das Spiel nur im Fernsehen angucken.

Letzteres war vermutlich nicht ganz ernst gemeint, Teil eins des Ausbruchs schon. Das Bayern-Spiel hat nämlich seit Wochen jedes andere Thema erstickt, die Mannschaft quälte sich uninspiriert über die Plätze der norddeutschen Tiefebene.

Und Pokalhelden wie Torwart Achim Hollerieth, Ralph Gunesch oder Felix Luz deuteten schon an, dass sie den Klub am Saisonende verlassen werden, falls es nicht hochgeht in Liga zwei - auch wenn sie sich mit einem Sieg über die Bayern unsterblich machen würden.

Für Stanislawski bedeutet das wieder mühsame Reparaturarbeit, denn trotz der durch die siebenstelligen Pokal-Einnahmen ermöglichten Teilsanierung wird der 3,6-Millionen Etat weiter schrumpfen. Es sei denn, das Team schafft den Einzug ins Finale in Berlin. Thomas Meggle, der Münchner, der einst in Bayern-Bettwäsche schlief, wird jedenfalls alles dafür tun.

Er wird seinen Kollegen noch einmal von jener magischen Nacht vor vier Jahren berichten. Eine Geschichte, die er ja schon oft erzählen musste, und die sich in etwa so anhört: "Wir sind voll draufgegangen, und ich weiß noch, wie wir plötzlich von Minute zu Minute spürten: Hier geht was."

Rummel wie zu Bundesliga-Zeiten

Die winzige Hoffnung, dass diesmal auch gegen "die Ballacks, Makaays oder wie die Vögel alle heißen" (Trainer Andreas Bergmann) etwas gehen könnte, hat längst einen Rummel wie zu Bundesliga-Zeiten entfacht. Bürgermeister Ole von Beust (CDU) und Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) haben sich angekündigt.

Am Fischmarkt wird das Spiel auf einer riesigen Video-Leinwand gezeigt, weil nur 19.400 Fans ins Millerntor-Stadion passen. Und bei Ebay wurde der Job des Nummernboys für die handbetriebene Ergebnistafel zugunsten der Jugendabteilung für 1690 Euro versteigert, was den Charme der Veranstaltung noch steigert.

Übrigens: Die Reporter des Grauens hätten sich ihre Mühe sparen können: Oliver Kahn, Willy Sagnol, Owen Hargreaves und Claudio Pizarro spielten schon damals mit. Vermutlich schüttelt's sie noch heute. Nicht nur wegen der Duschen.

© SZ vom 12.4.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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