Deutschlands Sportler des Jahres:Dezente Botschaft im Smoking

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Die Leichtathletik-Weltmeister Mihambo und Kaul werben bei der Ehrung um mehr Aufmerksamkeit für ihre Disziplinen.

Von Johannes Aumüller, Baden-Baden

Ein bisschen schade war es schon, dass Thomas Gottschalk an diesem Abend nicht zu den Wahlberechtigten zählte. Es hätte die Ergebnisliste womöglich um manch überraschenden Namen ergänzt. Der Showmaster und die Wahl zum Sportler des Jahres haben durchaus eine gemeinsame Vergangenheit, anno 1984 führte Gottschalk als Moderator durch den Abend. Inzwischen ist er aus privaten Gründen häufiger in Baden-Baden, und am Sonntagabend mischte er sich unter die rund 700 Gäste im Kurhaus, was wohl eine gute Gelegenheit war, sich sportfachlich mal auf den neuesten Stand bringen zu lassen. Er wundere sich, so verkündete er im Vorprogramm, dass Ulrike Meyfarth und Marika Kilius nicht mehr aktiv seien.

Die Sportler-Wahl in Baden-Baden gehört zu den festen Ritualen im deutschen Sportkalender. Jedes Jahr kurz vor Weihnachten versammelt sich der deutsche Sport im Bénazetsaal zu einer Art Klassentreffen. Er will dort die von 1500 Sportjournalisten gekürten Sportler des Jahres feiern, also diesmal den Zehnkämpfer Niklas Kaul, die Weitspringerin Malaika Mihambo sowie die Skisprung-Mannschaft der Männer - und daneben auch sich selbst. Wer einmal gewonnen hat, darf für immer wiederkommen, also natürlich auch die von Gottschalk im aktiven Sport vermisste Hochspringerin Ulrike Meyfarth (inzwischen 63 Jahre alt und von 1981 bis 1984 durchgehend Sportlerin des Jahres) sowie die Eiskunstläuferin Marika Kilius (76, Sportlerin des Jahres 1959).

Die Skispringer dürfen sich wie Popstars fühlen: Sie werden mit einem Privatjet eingeflogen

Aber neben aller Feierei im offiziellen ZDF-Fernsehen und insbesondere später im gemütlichen Teil sagt dieser Abend bisweilen auch etwas aus über den Zustand des deutschen Sports. So war es eher ungewöhnlich, als nacheinander die Weltmeister Mihambo, 25, im gold-weißen Kleid und Kaul, 21, im James-Bond-Smoking ihre Preise abholten. Denn dass beide Gewinner aus der olympischen Kernsportart kommen, hat es so oft noch nicht gegeben: Seit der Wiedervereinigung war das nur 1992 bei Heike Henkel und Dieter Baumann, 2000 bei Heike Drechsler und Nils Schumann sowie zuletzt 2013 bei Christina Obergföll und Robert Harting der Fall. Aber 2019, das zeigte sich im Kurhaus, war eben auch ein Jahr der Leichtathletik. "So ein Erfolg ist für die gesamte Leichtathletik extrem wichtig", sagte Kaul: "Wir sind so eine faszinierende Sportart. Es schadet nie, wenn wir sie so wie am Sonntagabend ins Rampenlicht rücken können."

In den vergangenen Jahren waren es gerade einige Leichtathleten wie Diskuswerfer Harting oder Kugelstoßerin Christina Schwanitz, welche die Baden-Badener Bühne nutzten, um ein paar generelle Botschaften ins Sportland zu senden. Das betraf nicht zuletzt den schier vergeblichen Kampf der olympischen Kernathleten um Aufmerksamkeit und Stellenwert, besonders gegen den übermächtigen Fußball. Bei Kaul und Mihambo klang das diesmal ein bisschen leiser.

"Es tut uns und allen anderen Sportarten nicht gut, uns mit dem größten Sport in Deutschland zu vergleichen. Aber ich glaube, dass viele Sportarten neben dem Fußball existieren und auch Aufmerksamkeit bekommen sollten", sagte Kaul. Er war mit dem Interesse rund um seinen imponierenden WM-Triumph sehr zufrieden - wobei er die begünstigenden Faktoren gleich mitlieferte: Wettkampf am Tag der deutschen Einheit, schlechtes Wetter in Deutschland, beste Fernsehzeiten aufgrund des WM-Austragungsorts Doha. Mihambo wiederum sagte: "Es ist enorm wichtig, dass die tolle sportliche Vielfalt, die Deutschland zu bieten hat, auch gezeigt wird. Es wird in der Leichtathletik eher besser, aber es ist schon auch schade, dass Meetings wie die Diamond League in Deutschland nicht gezeigt werden, nicht einmal im Livestream."

Neben den Leichtathleten waren es die für ihr WM-Gold in Seefeld ausgezeichneten Skispringer, die sich an diesem Abend besonders freuen durften. Sie waren schon wegen ihrer Anreise vom Weltcup in Klingenthal ganz verzückt. "Erst mit dem Heli, dann mit einem Privatjet. Ich habe gedacht: Ich bin doch kein Fußballer und kein Popstar", sagte Markus Eisenbichler, der zugleich Dritter der Einzelwertung war. Aber neben aller Freude war ihm auch ein bisschen Zerknirschtheit anzumerken - was neben dem holprigen Start in die neue Saison vielleicht damit zu tun hatte, dass so ein Baden-Badener Feierabend seine Tücken haben kann und er bei verschiedenen Personen Abbitte leisten muss.

Eine ist der frühere Eishockey-Spieler Christian Ehrhoff, der als Vertreter der im Vorjahr prämierten Eishockey-Mannschaft die Laudatio hielt und den Skispringern noch eine klare Anweisung für den gemütlichen Teil des Abends erteilte: Sie müssten in der Nachfolge der Eishockey-Jungs diejenigen sein, die den Laden am nächsten Morgen abschließen. Doch ihr früherer Trainer Werner Schuster weckte daran schon die ersten Zweifel, weil die Jungs ohnehin nur ein oder zwei Bier vertrügen; und es sollen dann in der Tat Vertreter anderer Sportarten gewesen sein, die den letzten Drink für sich reklamierten.

Aber Eisenbichler hatte noch ein anderes Problem. Denn als er auf der Bühne stand, legte er auf Bitten des Moderators einen ordentlichen Schuhplattler hin - aber das natürlich in seinem piekfeinen Anzug anstatt in einer Lederhose, wie es gemäß Schuhplattler-Brauchtum Standard zu sein hat. Manchem in der bayerischen Heimat braucht er so nicht mehr unter die Augen zu treten, befürchtet Eisenbichler: "Das gibt einen Anschiss."

© SZ vom 17.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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