Deutschland gegen Italien:Aus dem siebten Himmel jäh vertrieben

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Die deutsche Elf verliert ein strategisch geführtes Halbfinale gegen Italien in den letzten Minuten der Verlängerung noch 0:2.

Ralf Wiegand

Sie ist vorbei, die wunderbare Reise zu den Sternen, beendet von einem trockenen, irdischen Schuss von Fabio Grosso in der 119. Minute zum zwischenzeitlichen 1:0 für Italien im Halbfinale der Weltmeisterschaft. Dass noch das 2:0 folgte, wer spürte das noch? Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft hat den Einzug in ihr achtes WM-Finale verpasst, zum ersten Mal ein Spiel in Dortmund verloren - und die deutschen Fans sind von ihrem Stammplatz im siebten Himmel jäh vertrieben worden. Italien, besser über die gesamten 120 Minuten, entschied den Kampf auf Biegen und Brechen erst ganz am Schluss, gegen zermalmte Deutsche. Die wurden trotzdem gefeiert wie ein Weltmeister. Auch von Angela Merkel und Bundespräsident Horst Köhler, die kurz nach Abpfiff in der deutschen Kabine Trost spendeten.

Der Weg hin zu diesem bitteren Ende, am 52. Jahrestag des Wunders von Bern, war weit und schwer, und die deutsche Mannschaft hatte dabei alles Glück aufgebraucht, das in diesem und im nächsten Leben für sie vorgesehen war. In den ersten beiden Minuten der Verlängerung, in die das torlose Spiel gegangen war, traf erst Gilardino den Pfosten, nachdem Metzelder - mit Abstand bester Deutscher - einen endlos langen Zweikampf verloren hatte. Kurz darauf: Zambrotta, Latte. Den Deutschen hätte zu diesem Zeitpunkt auch der amerikanischste aller Fitnesstrainer kein Leben mehr einhauchen können, sie waren fertig. Selbst als die Chance da war, in der 105. Minute Odokors Flanke Podolskis Kopf fand, da war in diesem Kopf nur noch Leere. Podolski köpfte weit daneben.

Ein Ringen mit Stil

Es war, wie nicht anders zu erwarten gewesen ist, ein zähes Ringen von Anfang an um das eine Tor, von dem viele erwarteten, dass es dieses Spiel entscheiden würde. Aber es war immerhin ein Ringen mit Stil, ein gepflegter Kampf um die eine, die beste Gelegenheit. Die Fairness in der Partie war so nicht unbedingt zu erwarten gewesen, denn es stecken eine Menge Emotionen im deutsch-italienischen Verhältnis dieser Tage, da je ein Prominenter beider Nationalitäten aus dem Spiel genommen wurde, der Bär Bruno und der dreitage-bärtige Torsten Frings. Aber in der monströsen, vereinenden Spannung verflog bald jede Antipathie unter den 65000 Zuschauern.

Zur Pause wies der Statistikcomputer blitzschnell in hieb- und stichfesten Daten nach, was sich zuvor auf dem Platz entwickelt hatte. 58 Prozent Ballbesitz hatten die Italiener da gehabt, das ließ ihr Spiel reifer aussehen als das der dafür zielstrebigeren Deutschen. So geschah auf dem Rasen recht viel, ohne dass wirklich etwas passiert wäre. Die beste Chance bot sich Bernd Schneider in der 34. Minute, nachdem der Ball von ganz links und Lukas Podolski über halblinks und Miroslav Klose dank dessen genialer Übersicht rechts bei Schneider landete - der, obwohl sehr frei, den Ball sehr ansehnlich übers Gebälk beförderte. Typisch Schneider eben.

Es war eine ziemlich strategische Angelegenheit im mörderisch heißen Westfalenstadion, keine der beiden Mannschaften wich von ihrem Plan ab. Die Italiener versuchten, vor allem über Pirlo, immer wieder das zu tun, worauf man schon das ganze Turnier über in Spielen der deutschen Mannschaft gewartet hatte: Sie versuchten, genau in die Sollbruchstelle der Abwehr zu spielen, zwischen Mertesacker und Metzelder hindurch oder hoch über sie hinweg, was den Deutschen beides weh tut. Hoch aber gelang den Italienern nichts, weil vor allem der Dortmunder Christoph Metzelder in seinem Heimstadion eine sensationell starke Partie ablieferte, die an seine besten Zeiten der WM 2002 erinnerte. Ein flaches Anspiel auf Perrotta immerhin zwang Lehmann, sich dem Römer mutig entgegen zu werfen (16. Minute). Ansonsten blieb der Plan der Italiener zwar offensichtlich, aber folgenlos, auch in der bis dahin aufregendsten Szene, 85.Minute: Totti spitzelte den Ball zwischen Mertesacker und Friedrich hindurch auf Perrotta, Lehmann klärte mit Risiko zum Foul, aber fair.

Und die Deutschen? Frästen sich langsam in dieses Spiel, wie man es bei diesem Turnier von ihnen schon gesehen hat. Klose deutete in der ersten Halbzeit seine anhaltende Spielfreude an, als er einmal nur einen Tick zu weit auf Podolski weiterleitete - es wäre fast ein Weltklasseanspiel geworden wie im Spiel gegen die Schweden. Andererseits zerschellte er genauso oft an Fabio Cannavaro, der, wenn er dereinst nicht mehr Profi sein wird, auch eine gute Zukunft als Laternenpfahl haben sollte: Man kann sich den Kopf an ihm einrennen.

Es blieb das ganze Spiel über diese ungemein ausgeglichene Auseinandersetzung, die daher rührt, dass sich beide Mannschaften bis ins Detail durchanalysiert hatten. Otto Rehhagel hat für solche Spiele zweier Spitzenteams auf Augenhöhe gern den Begriff "Guerillakrieg" verwendet, und wenn man solche Rhetorik auch nicht mag, ist doch was dran. So lässt sich die Notwendigkeit beschreiben, dem Gegner keinen Zentimeter Raum zu viel zu geben - sonst stößt er vor, schon droht Gefahr. In der 50. Minute geschah das gleich auf beiden Seiten, ein wunderbares Solo von Klose gegen zwei Italiener endete erst an Torwart Buffon. Sekunden später stoppte erst Lehmann Grosso.

So wand sich das Spiel seinen letzten strategischen Optionen entgegen, den Auswechslungen. Schweinsteiger ersetzte Borowski (73.), Gilardino kam für Luca Toni (75.) - die Trainer suchten nach den Schlüsseln für den Riegel, den der jeweils andere vors Tor geschoben hatte. Doch schwand auf beiden Seiten die Hoffnung, das Problem in der regulären Spielzeit zu lösen, das sich folglich in die Verlängerung ausdehnte. Die zu überstehen, waren die entkräfteten Deutschen nicht mehr fähig.

© SZ vom 5.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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