Deutschland gegen China:Bei Bedarf wird kaserniert

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China hat die Weltmeisterschaft 2006 verpasst, die "China Football Super League" hat ein Korruptionsproblem und das Niveau der Spieler steigt viel zu langsam.

Jörg Marwedel

Das Hotel am Rande Hamburgs ist eine feine Adresse. Es hat einen Golfplatz, Konferenzsäle und Beauty-Salons. So gesehen ist die Nationalmannschaft der Volksrepublik China angekommen in der Gesellschaft der Fußball-Millionäre. Ansonsten aber geht es mit dem Wandel nicht so forsch voran wie mit der kapitalistischen Lebensweise.

Ein Bekannter aus der Bundesliga: Jiayi Shao von 1860 München steht im chinesischen Aufgebot. (Foto: Foto: AP)

Das Team, das am heutigen Mittwoch in Hamburg Gegner der DFB-Auswahl ist, belegt nur Rang 60 auf der Fifa-Weltrangliste, noch hinter Usbekistan oder Trinidad & Tobago. Es hat kürzlich die Qualifikation für die WM 2006 in Deutschland verpasst, den Platz sicherte sich Kuwait. Und Arie Haan, 56, bis zum März dieses Jahres Trainer des Teams, hat auch keine gute Nachricht für Ungeduldige. "Noch eine Generation", schätzt der Holländer, werde es dauern, bis die Chinesen auch im Fußball global eine Rolle spielen.

Abwehrbollwerk statt Offensivzauber

Haan hatte versucht, der Auswahl des bevölkerungsreichsten Landes der Welt, einen neuen, offensiven Stil zu verpassen. Nur so, lautete sein Glaubenssatz, könnten die Spieler neben den bereits vorhandenen Tugenden wie Technik, Schnelligkeit, Sprungkraft und Ausdauer auch fußballerische Qualität entwickeln.

Doch Haan hat lernen müssen: Diese Denkweise entspricht nicht der chinesischen Mentalität. Inzwischen hat Zhu Ghuangu, 55, zuletzt Trainer des Meisters Shenzhen Jianliabo, die Regie übernommen. Ghuangu ist der erste chinesische Nationalcoach seit zwölf Jahren. Vor ihm hatten unter anderem der Deutsche Klaus Schlappner und der serbische Weltenbummler Bora Milutinovic das Sagen. Nun hat der Trainer das Team wieder seiner vermeintlichen Bestimmung zugeführt, die vor allem in einem Abwehrbollwerk ihren Ausdruck findet.

Enttäuschende WM 2002

"Unter Arie Haan konnten wir in jedem Spiel zwei Tore schießen, haben aber auch viele Gegentore bekommen. Jetzt schießen wir weniger Tore, aber auch der Gegner", sagt Jiayi Shao. Der Mittelfeldspieler des TSV 1860 München ist einer von nur vier in Europa unter Vertrag stehenden Spielern im Aufgebot. Abwehrspieler Jihai Sun ist bei Manchester City untergekommen, der Mittelfeldspieler Tie Li beim FC Everton, und der Angreifer Fangzhuo Dong füllt den Kader von Manchester United auf. Nimmt man also den Grad der Europäisierung als Messlatte des Fortschritts, geht es nur langsam voran.

Und auch die bislang einzige WM-Teilnahme 2002 in Japan und Korea war nicht nur für die ehrgeizigen Funktionäre enttäuschend verlaufen: Nach Niederlagen gegen Costa Rica (0:2), Brasilien (0:4) und die Türkei (0:3) schied man punkt- und torlos aus.

Liga ohne Auf- und Abstieg

Das nächste Ziel ist jetzt ein gutes Abschneiden bei Olympia 2008 in Peking. Dem nationalen Interesse muss sich auch die noch recht junge Profi-Liga "Super-League" unterordnen. Auf- und Abstieg wurden vorerst ausgesetzt, bei Bedarf sollen die Nationalspieler auch einmal für zwei Monate kaserniert werden. Der wichtigste Entwicklungsbeitrag wäre allerdings die erfolgreiche Bekämpfung des größten Übels.

Nichts hat Chinas Fußball weiter zurückgeworfen als die Korruption. Noch in der vergangenen Saison mochte sich der Verbands-Vizepräsident Yang Yimin öffentlich nur für die Integrität von zwei von 348 Liga-Schiedsrichtern verbürgen.

Der deutsche Profi Jörg Albertz, der knapp zwei Jahre für Shenhua Schanghai spielte, verließ frustriert das Land und sagt: "Ich habe keine Beweise, aber ich bin mir sicher, dass ich von den Mitspielern betrogen wurde." Laut Albertz wurde in der Kabine offen darüber gesprochen, dass einige Spieler gegen die eigene Mannschaft gewettet haben.

Mehrere Klubs forderten in einem Offenen Brief an den Verband durchgreifende Reformen, darunter die Offenlegung der Verbandsfinanzen sowie verbindliche Erklärungen der Verantwortlichen, keine Schiedsrichter, Trainer oder Spieler mehr zu bestechen.

Keine ausländischen Stars mehr

Die Misserfolge und Skandale haben nicht nur das Interesse ausländischer Altstars an einem Altenteil in China spürbar abkühlen lassen. Profis der Kategorie Gascoigne, Ratinho oder Kirjakow, die einmal dort spielten, gibt es nicht mehr. Die Zuschauerzahlen sanken ebenfalls dramatisch.

1000 Besucher kamen im August zum Spiel des asiatischen Champions-League-Viertelfinalisten Shenzhen gegen Shandong. Überdies hatte die Saison nur mit Verzögerung beginnen können, nachdem sich Siemens als Liga-Sponsor zurückgezogen hatte.

Umso mehr begeistern sich die Chinesen für ausländischen Fußball. Neben Südamerika steht Europa hoch im Kurs. Aus der Bundesliga werden jeweils samstags und sonntags ein Spiel live und zwei weitere als Aufzeichnung gezeigt. Und deutsche Hilfe ist auch gefragt: In Bad Kissingen werden chinesische Nachwuchsteams an einer deutsch-chinesischen Fußballschule gefördert. Einer der Lehrer ist Eckhard Krautzun. Der weitgereiste Trainer soll in Kürze zu Chinas Chefberater für die Nachwuchsarbeit ernannt werden.

© SZ vom 12.10.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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