Deutsches Säbelteam:Abhauen mit Gebrüll

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Am Ende aber kommen alle zusammen, stärker als zuvor und feiern das Leben: rechts die Ungarn, die sich über Platz drei freuen, links die Deutschen, die Abschied voneinander nehmen. (Foto: Xu Zijian/Xinhua/Imago)

Jubel, Verletzungen, Tränen - Max Hartung und der Großteil des viertplatzierten deutschen Säbelteams beenden in Tokio ihre Karriere. Nach einem Fechttag, der es noch einmal in sich hatte.

Von Volker Kreisl

Wer eine Fechthalle betritt, dem fallen nicht selten zwei Umstände auf. Die Tribünen sind fast leer, nicht nur in Coronazeiten, sondern auch sonst meistens. Denn das Fechten ist ein Sport, der viel im Verborgenen abläuft, für Laien kaum zu durchschauen, mit komplizierten Regeln wie dem Angriffsrecht versehen ist, und dann auch noch rasend schnell abläuft. Obwohl die Ränge also fast leer sind, ist es beim Wettkampf höllisch laut.

Schließt man die Augen, dann wähnt man sich zurückversetzt in die Vergangenheit, vielleicht ins Mittelalter, auf ein Schlachtfeld. Aus allen Ecken, auf allen Bahnen wird gebrüllt - im Zorn, im Eifer, klagend, hoffend, sich und die Mitstreiter aufpeitschend. Ergänzt wird das Ganze vom Klirren der Klingen, dem Trampeln auf den Bühnen und dem Geschrei der Betreuer und der Teamkollegen, die gerade keinen Einsatz haben. Mit leeren Pandemie-Rängen kommen die Fechter also gut zurecht, die Stimmung ist prächtig, besonders bei den Lautesten von ihnen, denen mit der archaischsten Waffe, dem Säbel.

Am Mittwoch sind im Osten Tokios die Säbelwettkämpfe zu Ende gegangen, und zugleich auch eine Epoche beim Deutschen Fechter-Bund. Von der Mannschaft hören Max Hartung, Richard Hübers und Benedikt Wagner auf, Matyas Szabo macht weiter, vermutlich als neuer Leader. Das Ganze ergab dann einen bewegenden Moment, auch Tränen sind geflossen, oder wie Säbler Hartung sagte: "Es ist schon sehr emotional gerade." Das lag an der frischen Niederlage, an der Tatsache, dass das Team nun auseinandergeht, und zwar ohne die ersehnte olympische Medaille, die die Karriere vielleicht noch zieren hätte können. Und es lag auch an dem, was nun eben für immer vorbei ist. Gerade hatten sie ja einen olympischen Finaltag hinter sich, an dem schließlich Südkorea vor Italien gewonnen hatte, der noch einmal das ganze Drama des Fechtens enthielt.

Im künftigen Alltag, egal wo es die Drei hinzieht, wird das, was Hartung am Säbeln so liebte, wohl nicht mehr vorkommen. Er hat sich seit längerem in verschiedenen Posten für die deutschen Athleten politisch engagiert und steigt bald als Geschäftsführer des Landessportbundes Nordrhein-Westfalen ins echte Leben ein; dort wird er Freude und Wut eher nicht per Schrei abreagieren können. Und es wird auch schwer sein, einen so vollkommenen gemeinsamen Sieg zu erleben, wie er nun im Viertelfinale gegen Russland gelang.

Gegen die Russen gelang noch mal ein perfekter Teamerfolg: Als wüssten die Klingen selber, wo sie landen müssen

Das Gebrüll hatte da eine überragende ermutigende Wirkung. Die Treffer des einen inspirierten die Aktionen des anderen. Einer übergab dem anderen den anwachsenden Vorsprung in diesem Format, in dem jeder gegen jeden antritt, also insgesamt neun Teilgefechte stattfinden. Das dauert ziemlich lange, aber die Russen hatten zu keinem Zeitpunkt eine Chance - es war, als wüssten die Klingen von Hartung, Wagner und Szabo selber, wo sie landen sollen. Als sie dann mit 17 Punkten Vorsprung gewannen, hüpfte Vilmos Szabo aus seiner Trainerzone hinaus, als wäre er wieder ein Kind. Jetzt, das war das Gefühl, jetzt war alles möglich.

Doch wie hatte Max Hartung es einmal beschrieben, das Besondere am Säbelfechten? Es sei eine immer wiederkehrende Wandlung, ähnlich alten Mythen, in denen im Laufe des Gefechts alle Kämpfer einen Tod sterben, bis auf den Sieger. Am Ende aber kommen alle zusammen, stärker als zuvor und feiern das Leben. Klingt schwülstig, oder? Nein - an Tagen wie dem Abschiedsmittwoch der Deutschen bei den Spielen in Tokio kann man es verstehen.

Wenn zwei jubeln - gewinnt in diesem Fall der Südkoreaner: Matyas Szabo, links, der gerne riskante Sturzangriffe startet, im Halbfinale gegen Kim Junghwan. (Foto: Zhang Hongxiang/Xinhua/Imago)

Die Medaille war nun zum Greifen nah, im Halbfinale stand man, und obwohl es gegen den überragenden Weltranglistenersten ging, das Team von Südkorea, lag Szabos Trio zunächst vorne, fiel dann zurück und arbeitete sich doch wieder heran. Dann betrug der Rückstand wieder rund zehn Punkte, aber es kam nun der beachtliche Auftritt des Matyas Szabo, der gerne Sturzangriffe startet, und überhaupt dabei Spaß zu haben scheint, die Planche nach Art der Musketiere rauf und runter zu stürmen. Bis auf drei Punkte war er wieder herangekommen an San-guk Oh, dann stürzte er rückwärtsfallend in den Spagat, zog sich vermutlich einen Faserriss zu, womit Ersatzfechter Hübers quasi kalt in den bereits sehr zugespitzten Kampf eintrat - letztlich ohne Chance.

Eine Möglichkeit blieb also noch: das Bronzematch am Abend. Es wurde, kurz gesagt, ebenfalls ein langes Bühnenstück. Matyas Szabo war raus und schaute nur noch zu, Hübers und Wagner mühten sich gegen die Ungarn, fielen aber immer weiter zurück, und alle Hoffnungen der Deutschen lagen nun bei Max Hartung. 40:27 stand es für Ungarn, bis 45 ging es, wer diese Punktzahl als Erster erreichte, der hatte die Medaille. Ein unmöglicher Job eigentlich, denn Ungarns Schlussfechter Aron Szilagyi konnte befreit agieren, nicht nur wegen der 13 Punkte Vorsprung, sondern auch, weil er schon dreimaliger Olympiasieger ist.

Und doch: Hartung kann später einmal, wenn er sich irgendwann so fühlt, als sei er von den Geschlagenen wieder auferstanden - dann also kann er erzählen, dass er dieses letzte Gefecht fast noch gewonnen hätte. Auf 40:43 hatte er sich herangekämpft. Es sei gleich vorbei, dachte er, "da brauch ich mir keine Kraft mehr aufzuheben." Er brachte Szilagyi dazu, dass er die Maske abnahm und entgeistert ins Dunkel der fast leeren Halle starrte. Geklappt hat es aber nicht, Szilagyi war zu gerissen. Er touchierte Hartung auf überraschend einfache Weise und nahm den Deutschen die Hoffnung auf die Bronzemedaille.

Doch auch diese Erkenntnis gehört zur ewigen Wandlung: Was vorbei ist, ist vorbei. Im Fall der drei deutschen Säbler seit Mittwoch eine ganze Karriere.

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