Deutsche Elf:Momente fürs Poesiealbum

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Ein guter Anwalt für Friedrich, ein Passgeber für Schweinsteiger - Bernd Schneider überzeugt in der Rolle des Mannschaftsspielers.

Philipp Selldorf

Seit dem Spiel gegen Costa Rica (4:2) ist es gute Gewohnheit in deutschen Debattenzirkeln, auf den Rechtsverteidiger Arne Friedrich zu schimpfen.

Luftkampf am Boden: Bernd Schneider beim Eröffnungsspiel. (Foto: Foto: dpa)

Aber ein paar Freunde und Förderer sind dem Berliner noch geblieben, und zu den größten Fürsprechern zählt sein Mitspieler und Flügelnachbar Bernd Schneider, 32. Dies belegen Gesprächsausschnitte, die der SZ vorliegen.

Frage: Können Sie sich vorstellen, wieder rechts hinten zu spielen?

Schneider (knapp): Ich glaube nicht.

X: Aber es gibt da diese Diskussion seit dem Spiel gegen Costa Rica . . .

Schneider (unwirsch): Ich weiß nicht, was das für eine Diskussion ist.

Y: Nun, der Arne Friedrich ist im Moment, sagen wir mal, nicht in Topform.

Schneider (bissig): Kann ja mal passieren.

Z: Das passiert zuletzt aber häufiger.

Schneider (resolut): Aber gegen Kolumbien hat er ein gutes Spiel gemacht.

"Ein bisschen zu spät"

Es folgen dann noch Ausführungen darüber, dass Friedrich "Pech" gehabt habe mit seinem Auftritt am vorigen Freitag, und dass er "vielleicht" und lediglich "ein bisschen" zu spät aufgerückt sei vor dem Gegentreffer zum 1:1.

Insgesamt drängt sich der Verdacht auf, dass Schneider das Thema auf subtile Weise zu unterdrücken versucht, und dass er zweideutige Beiträge zu der Diskussion vermeiden will, was vermutlich nicht nur daran liegt, dass er seinem Mitspieler ein guter Anwalt sein möchte.

Hinzu kommt, dass er auch kein Interesse daran hat, seinen Posten im rechten Mittelfeld gegen den des rechten Verteidigers einzutauschen.

Er ist in der Lage, dort zu spielen, obwohl seit Generationen bekannt ist, dass Schneiders natürliche Heimat das Mittelfeld und nur das Mittelfeld ist - genau jenes Gebiet, das zwischen Verteidigung und Angriff liegt, das Terrain für Gestaltung und freie Improvisation.

Am Freitag lieferte er dafür wieder einen Beweis, als er mit einer List auf der rechten Seite bis zur Eckfahne entwischte und das 2:1 vorbereitete: Sein langer diagonaler Rückpass von der Grundlinie auf Bastian Schweinsteiger war ein Meisterwerk und Ausdruck einer Fußballer-Intuition, die man nicht lernen und die man nicht erklären kann.

Mehr als Egoismus

Schneider nimmt die Würdigungen für die große Tat gern entgegen, lyrisch ausmalen mag er den Moment jedoch nicht. Irgendwie habe er Schweinsteiger im Blickwinkel gehabt, nuschelt er, "auf jeden Fall einen Weißen", und dann lobt er ziemlich ausführlich und auf einmal auch ziemlich emphatisch, wie gut Schweinsteiger den Ball verarbeitet habe.

Diese Art von Selbstlosigkeit wird gemeinhin für Bescheidenheit gehalten, hat ihre Ursachen aber eigentlich in seinem Selbstverständnis als Mannschaftsspieler. Deshalb wäre es ein Irrtum, Schneiders Anwaltschaft für Friedrich allein auf das egoistische Motiv zurückzuführen, dass er nicht in die Abwehr geschoben werden möchte (wie zuletzt beim 2:2 gegen Japan). Ihm ist es schon ernst mit der Verteidigung seines Mitspielers.

Wenn es die Situation erfordert, dann ist es für Schneider selbstverständlich, Opfer zu bringen. Das belegt eine andere Szene vom Tag der WM-Eröffnung.

Da führte Schneider die Mannschaft in Vertretung Michael Ballacks als Kapitän aufs Feld, erst zum zweiten Mal in 65 Länderspielen war er der Mann, der vorneweg lief, und zwei Milliarden Menschen guckten ihm dabei zu (allein in Deutschland, mindestens).

Thüringens Brasilianer

Es war ein Moment fürs Poesiealbum, "das hat mich unheimlich stolz gemacht", sagt Schneider, aber anstatt nun über seine Empfindungen beim Gang ins Stadion und beim Wimpeltausch zu referieren, setzt er fort: "Obwohl es mir lieber gewesen wäre, wenn der Balle aufgelaufen wäre."

Der "Balle" ist Michael Ballack und Schneider nicht nur wegen seiner großen Qualitäten und aus alter Freundschaft ein willkommener Mitspieler. Er ist auch froh darüber, dass niemand auf die Idee kommt, ihm eine Rolle als sogenannter Führungsspieler anzuhängen, solange Ballack dabei ist - wenngleich er sich dieser deutschen Sehnsucht durch beharrliches Ignorieren ohnehin schon entzogen hat.

Über diese Erwartung ist Schneider trotz seines vergleichsweise fortgeschrittenen Alters und seiner Erfahrung hinweg. Man hat akzeptiert, dass Schneider ein in Thüringen geborener Brasilianer ist, und überlässt ihn seiner Bestimmung.

Dieses Privileg ist ihm unabhängig von den Wandlungen zwischen der Ära Völler und der Ära Klinsmann geblieben. Wie der Teamchef Völler betrachtet ihn auch der Bundestrainer Klinsmann als unentbehrlich.

Damals, bei Carl Zeiss

Nur Schweinsteiger hat wie Schneider seit der EM 2004 alle Länderspiele mitgemacht; dafür hat er sich den Notwendigkeiten unterworfen, und wie kaum ein anderer profitiert er von Klinsmanns Fitnessdiktat: Noch vor zwei Jahren musste man den Eindruck haben, Schneider scheitere mit seinen Tricks öfter am Alter und an der mangelnden Kraft als am Gegner.

Nun wirkt er wieder austrainiert und leichtfüßig. All die Jahre hat ihn diese Leichtigkeit über die typischen Fußballerprobleme hinweggetragen: Seit 1994 hat Schneider keine ernste Verletzung gehabt, nur zweimal blieb er unter 30 Punktspielen pro Saison - und da waren es immer noch 28 bzw. 29 Einsätze.

Entsprechend hat Schneider seine Zukunft eingerichtet. Sie wird wie die Vergangenheit von Fußball, Fußball und Fußball handeln: Nach der WM möchte er solange in der Nationalelf weiterspielen wie es die Leistung erlaubt; bei Bayer Leverkusen gilt sein Vertrag bis 2009.

Danach, so hat er das vorgesehen, wird er noch ein oder zwei Jahre bei seinem alten Heimatverein, dem gerade in die zweite Liga aufgestiegenen FC Carl Zeiss Jena weiterspielen. Aber wer vermag schon zu planen im Fußball?

"Womöglich", gibt er zu bedenken, "ruft morgen der FC Barcelona an und will mich für vier Jahre. Dann kann ich erst 2010 nach Jena kommen." Womöglich. Vielleicht kommt er auch erst nach der WM 2014.

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