Des Kaisers Weltreise:Köhler könnte neidisch werden

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Egal, wo er hinkommt: Auch in Südamerika erfährt Franz Beckenbauer auf seiner Willkommenstour große Verehrung.

Philipp Selldorf

Auch statistisch bringt der vorvorletzte Willkommenstrip des WM-Organisationskomitees wieder einige beachtliche Daten hervor. Auf der aktuellen Reise durch Mittel- und Südamerika sind nach Angaben von Delegationsmitgliedern wieder mehrere Dutzend Orden, Urkunden und Wimpel eingesammelt worden sowie circa 50.000 Fotos mit dem Motiv Franz Beckenbauer & Fans entstanden.

Hallo, ich bin der Franz (Foto: Foto: Reuters)

Ferner haben die deutschen Besucher mit ihren Gastgebern mindestens viermal eine Beteiligung am WM-Endspiel vereinbart: Nun freut man sich in Paraguay, Ecuador, Argentinien und Brasilien auf das Finale am 9. Juli gegen Deutschland - in den meisten zuvor besuchten Ländern allerdings ebenso, denn die Schmeichelei mit der Finalteilnahme ist quasi ein Pflichtteil. Wobei Beckenbauer am Freitag in Brasilien sogar schon den Ausgang der Partie geweissagt hat: 4:4 nach 90 Minuten.

Solch höherer Blödsinn ist zwingender Bestandteil dieser Staatsvisiten, deren Aufnahme ins diplomatische Standardprogramm die Bundesregierung dringend erwogen werden sollte. Wann genießen deutsche Staatsleute auf ihren Reisen so viel Aufmerksamkeit und gute Presse, wie sie nun Beckenbauer und seinen Mitstreitern widerfährt? Dieser Tage in Argentinien etwa: Das Renommierblatt La Nacion berichtete auf zwei Doppelseiten, druckte den kompletten Reiseplan und pries die "revolutionäre Idee".

"Beckenbauer wird gleich verehrt

Was den aktuellen Reiseplan betrifft, sind zwei Seiten schnell bedruckt: Nach den Terminen in Quito (Ecuador), Asúncion (Paraguay), Buenos Aires und Rio de Janeiro (wo man sich am Samstag sogar einen freien Tag gönnte), stehen ab Montag Reisen nach Port of Spain (Trinidad & Tobago), San José (Costa Rica), Mexiko-City und New York bevor. Letztere auf besonderen Wunsch von Franz Beckenbauer, weil er am Broadway in Manhattan alte Lebenserinnerungen auffrischen und Mitspieler aus seinen Zeiten bei Cosmos New York treffen möchte. "Es ist ein Wahnsinnsstress, aber auch ein Riesenspaß", sagt der OK-Direktor Wolfgang Niersbach, der jede der bisher 25 Reisen mitgemacht hat. Er besuchte mit Beckenbauer in London Tony Blair in der Downing Street Nummer 10, den niederländischen Kronprinzen Willem Alexander in Nordwijk und Togos Staatspräsidenten Fauré Gnassingbe in Lomé (wo Beckenbauer beim Pflanzen eines Bäumchens die Hose platzte).

Niersbach war es, der die Idee zur Welttournee hatte. Damit endet aber seine Herrlichkeit, wie er zugibt: "Wo immer man hinkommt, da wird Franz Beckenbauer nicht nur sofort erkannt, sondern auch gleich verehrt. Mit dem Funktionär Niersbach würde das nicht klappen." Der Funktionär Beckenbauer aber reist weltweit im Rang einer hochwohlgeborenen Persönlichkeit, entweder als Kaiser, als Präsident oder wie jetzt in Brasilien als Capitão - Horst Köhler könnte neidisch werden.

Plausch mit den Staatschefs

Jedesmal haben ihn die Staatschefs der besuchten Länder zum Plausch gebeten, obwohl er doch nur dazu erschienen ist, ein banales Willkommen zur WM auszusprechen und beim Empfangstermin ein paar Filmchen vorzuführen. "Wir verkünden ja wirklich nichts Revolutionäres, aber die Wirkung ist einfach genial", sagt Niersbach. In Quito traf Beckenbauer den Staatspräsidenten Alfredo Palacio, in Asúncion Präsident Nicanor Duarte Frutos, in Buenos Aires Präsident Nestor Kirchner, der ihn sofort mit einer bitteren 2:3-Niederlage konfrontierte: Beim Gastspiel des FC Bayern in Buenos Aires 1966.

Eine Gabe ist dabei Beckenbauers Charme und sein Talent zur unnützen, aber lustigen Replik. Als er auf dem Vulkan Pichincha in 4200 Metern Höhe vom Bürgermeister von Quito, Paco Moncayo, zum Ehrenbürger der Stadt ernannt wurde, erkundigte er sich misstrauisch: "Muss ich da jetzt Steuern zahlen?" (Notfalls kann er sich ja in seiner Funktion als "Kommandant von Togo" dagegen verwahren).

Bei den Besuchen in Asien, Afrika, Amerika, in Süd-, Nord-, Ost- und Westeuropa hat Niersbach festgestellt, dass außer Beckenbauer auch Deutschland sehr populär ist. "Und die Leute haben ein unglaubliches Vertrauen in unsere Organisation", sagt er. Auch deswegen sei vor einigen Wochen Beckenbauers Reaktion auf den Stadion-Streit mit der Stiftung Warentest "etwas aus dem Rahmen gefallen". In Rio hat sich dafür aber kein Mensch mehr interessiert. Dort herrschte bloß große Aufregung, als Franz Beckenbauer und Mario Zagallo zusammentrafen. Die weltweit einzigen Menschen, die sowohl als Spieler wie als Trainer eine WM gewonnen haben! Sofort wurden Hunderte Fotos gemacht.

© SZ vom 20.2.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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