Der Flügelflitzer:Zuspätkommer und Falschwechsler

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Weil Young-Pyo Lee zu spät aus der Kabine kam, spielte Dortmund gegen Bayern kurzzeitig mit zehn Mann. Andere Sportler schossen noch viel größere Böcke.

Michael König

Der fehlende Spieler

Dortmunds Lee (links), Trainer Klopp: Weil er als Letzter aus der Kabine kam, verpasste der Südkoreaner den Anfang der zweiten Halbzeit im Spiel gegen die Bayern. (Foto: Foto: imago)

Young-Pyo Lee ist ein bescheidener Mensch. Als der Südkoreaner im August von den Tottenham Hotspurs zu Borussia Dortmund wechselte, um den verletzten Dede auf der linken Seite zu ersetzen, wollte er dem Stadionmagazin kein Interview geben: Es tue ihm leid, aber er habe schließlich noch gar nicht gespielt und daher nicht das Recht, über seinen neuen Verein zu sprechen.

Viel hat sich seitdem nicht verändert. Der 31-Jährige hat inzwischen 15 Einsätze hinter sich, spricht aber immer noch nicht viel. Trainer Jürgen Klopp mag das, er hat Lee zum Stammspieler gemacht. Von Dede ist in Dortmund momentan kaum die Rede.

Am Sonntag tat Lee etwas Ungewöhnliches. Als die zweite Halbzeit der Partie Bayern München gegen Dortmund angepfiffen wurde, stand Lee nicht dort, wo er hätte sein sollen. Sein Platz auf der linken Abwehrseite blieb verwaist. Borussia begann mit zehn Mann gegen elf Bayern - erst eine halbe Minute nach Wiederanpfiff stieß Lee hinzu.

Jetzt musste der Südkoreaner sprechen, er konnte gar nicht anders. "Ich kam als Letzter aus der Kabine", erklärte er gegenüber Revier Sport. Als er das Spielfeld betreten wollte, habe sich das Tor zum Innenraum der Allianz-Arena geschlossen. Deshalb habe er "geschrien und versucht, auf mich aufmerksam zu machen", doch zunächst habe niemand reagiert.

Von offizieller Seite gab es keine Bestätigung für das mysteriöse Schließen des Tores. Sicher ist hingegen, dass Dortmund die Partie mit 1:3 verlor. Und, dass Jürgen Klopp die Verspätung des Südkoreaners nicht sonderlich amüsant fand. Bescheidenheit hin, Bescheidenheit her.

Auf der nächsten Seite: Der fehlende Reifen - wie ein Ferrari-Mechaniker Eddie Irvine ausbremste.

Formel-1-Pilot Eddie Irvine hatte 1999 den Wahnsinn vor Augen, als den Ferrari-Mechanikern beim Boxenstopp ein Rad fehlte. (Foto: Foto: imago)

Der fehlende Reifen

Die Formel 1 lebt von Hundertstelsekunden und Nanometern. Jede noch so feine Einstellung an der Aerodynamik eines Autos kann über Sieg und Niederlage entscheiden. Die Fahrer sitzen in Maschinen, deren Technik selbst die Nasa vor Neid erblassen lässt. Skeptiker sagen, die Piloten seien inzwischen selbst zu Maschinen geworden.

Umso schöner war es, 1999 zu sehen, dass der Rennsport sehr menschliche Seiten hat. Auf dem Nürburgring lief das 14. Rennen einer Saison, die für Ferrari suboptimal verlaufen war: Michael Schumacher musste nach einem Unfall sechs Rennen lang durch Mika Salo ersetzt werden, Eddie Irvine sprach in der Öffentlichkeit über seine Unzufriedenheit als zweiter Mann.

Irvine hatte sich auf dem Nürburgring auf Platz fünf vorgearbeitet, als aus der durchwachsenen Saison eine katastrophale wurde. Es hatte geregnet, aber nur kurz, und die Teamleitung, die Irvine beim nächsten Boxenstopp eigentlich Regenreifen verpassen wollte, entschied sich kurzfristig um.

Irvine kam in die Box und die Mechaniker begannen zu schrauben - in Sekundenschnelle, wie tausend Mal geübt. Nur beim rechten Hinterrad dauerte es etwas länger: Der zuständige Mechaniker hatte die Anordnung der Teamleitung nicht rechtzeitig mitbekommen, er montierte einen Regenreifen. Als er seinen Irrtum bemerkte, hatte er keinen Trockenreifen zur Hand.

Ein zufällig in der Box anwesender Journalist spürte den fehlenden Pneu auf - bis er montiert war, verging stattliche Zeit: 28,2 Sekunden dauerte der Boxenstopp. Eine Zeitspanne, in der Formel-1-Teams einen ganzen Motor auseinander nehmen können. Zumindest fast.

Die italienische Presse goss kübelweise Spott über Ferrari aus, Teamchef Jean Todt entging nur knapp der Entlassung und Irvine verließ das Team zum Saisonende. Der frühere Rennfahrer Hans-Joachim Stuck sprach von einer "Gurkentruppe". Im Jahr darauf war all das vergessen: Michael Schumacher gewann für Ferrari den ersten Fahrer-Weltmeisterschaftstitel seit 1979.

Auf der nächsten Seite: Das fehlende Trikot - wie sich ein Hertha-Spieler um seine Einwechslung brachte.

Das fehlende Trikot

Bartosz Karwan hatte schon einen Spitznamen, als er vor der Saison 2002/03 zu Hertha BSC Berlin wechselte. "Super-Pole", nannten ihn die Boulevardmedien, weil Karwan polnischer Nationalspieler war und keinen geringeren als den zum FC Bayern abgewanderten Sebastian Deisler ersetzen sollte.

Karwans Karriere begann recht unspektakulär: Gegen Gladbach, Bielefeld und 1860 München wurde er eingewechselt. Und auch gegen Leverkusen wollte ihn Trainer Huub Stevens bringen, er hatte den Polen zum Warmlaufen geschickt und deutete an, Karwan solle sich bereit machen.

Der damals 26-Jährige schnürte die Schuhe, richtete die Schienbeinschoner und kontrollierte den Sitz seiner Hose. Die Augen hatte er schon auf das Spielfeld gerichtet, Karwan war jetzt vollkommen konzentriert. Er öffnete den Reißverschluss seiner Trainingsjacke. Gleich würde es los gehen. Karwan schüttelte die Jacke vom Körper, drehte sich um und warf sie auf die Auswechselbank. Darunter kam ein Shirt zum Vorschein - es war das falsche.

Karwan hatte vergessen, ein Trikot über sein Trainings-T-Shirt zu ziehen. Das richtige Leibchen lag noch in der Kabine. Der Pole sprintete in die Katakomben, aber zu spät: Disziplin-Fanatiker Stevens hatte längst Wind von der Sache bekommen und entschied sich gegen eine Einwechslung. Karwan bekam eine Geldstrafe aufgebrummt und vom Boulevard einen neuen Spitznamen: "Trikot-Trottel".

Über seine Tollpatschigkeit habe er selbst lachen müssen, sagte Karwan in einem Interview. Fünf Tage nach dem Vorfall erzielte er im Uefa-Cup das 1:0-Siegtor gegen Nikosia. Stevens hatte den Polen in der 67. Minute eingewechselt.

Auf der nächsten Seite: Der fehlende Helm - wie ein Football-Spieler seinem Team das Endspiel ruinierte.

Der fehlende Helm

Thurman Thomas ist ein abergläubischer Mensch. Und bis zum 26. Januar 1992 hatte er keinen Grund, etwas daran zu ändern. Der Runningback der Buffalo Bills war 1991 zum wertvollsten Spieler der amerikanischen Football-Profiliga NFL gewählt worden, er führte sein Team in die Superbowl, wo die Bills den New York Giants unterlagen, weil Kicker Scott Norwood acht Sekunden vor Schluss das Tor um wenige Zentimeter verpasste.

Norwood war die tragische Figur dieses NFL-Endspiels, er war untröstlich: "Ich habe heute viele Menschen im Stich gelassen", sagte er. Seine Mitspieler munterten ihn auf, darunter auch Thurman Thomas, der Abergläubische, der sich in diesem Moment schwor, wiederzukommen und den Titel zu gewinnen.

Ein Jahr später sollte Thomas derjenige sein, der getröstet werden musste. Im Januar 1992 spielten die Bills erneut um die Superbowl, in Minnesota ging es gegen die Washington Redskins. Diesmal sollte es klappen, deshalb ging Thomas kein Risiko ein und hielt sich penibel an das Ritual, das ihm schon so viel Glück gebracht hatte: Vor Beginn der Partie legte der Runningback seinen Helm auf die 40-Yard-Linie.

Eine Warnung an die gegnerische Mannschaft? Vielleicht. Eine Aufmunterung für die eigene Defense? Womöglich. Ein tragischer Fehler? Ganz sicher.

Als die Offensive der Bills gefragt war, konnte Thomas seinen Helm nicht finden. "Aus irgend einem Grund hatte ihn jemand von der Linie entfernt", klagte er.

Offenbar war der Kopfschutz im Weg, als der Sänger und Komponist Harry Connick junior das Spielfeld betrat, um vor dem Anpfiff die Nationalhymne zu singen. Im Lager der Bills verdächtigte man die Redskins, den Helm versteckt zu haben.

Die Bilder des verzweifelten Runningbacks gingen um die Welt. Während Thomas noch suchte, ging Washington mit 24:0 in Führung. Am Ende hieß es 37:24. Der Sündenbock war schnell gefunden.

Thomas spielte mit den Bills noch zwei Mal um die Superbowl, er verlor beide Spiele. Er gilt bis heute als einer der erfolgreichsten Runningbacks aller Zeiten und wurde in die Hall-of-Fame der NFL aufgenommen. Der Öffentlichkeit sind jedoch nicht die rund 12.000 Yards Raumgewinn oder die 88 Touchdowns in Erinnerung geblieben, die Thomas erzielte. Sondern in erster Linie der vergessene Helm.

Auf der nächsten Seite: Der fehlende Überblick - wie ein Trainer seinen Spieler zum Schauspielen ermutigte.

Der fehlende Überblick

Otto Rehhagel wird in Kaiserslautern verehrt wie anderswo der Papst, seit er den 1. FCK 1997/98 zur Deutschen Meisterschaft führte - es war das erste und bislang einzige Mal, dass ein Aufsteiger den Titel gewann. Anders als der Papst ist Rehhagel jedoch nicht unfehlbar. Am 26. September 1998 leistete sich der heutige Nationaltrainer Griechenlands einen Patzer, über den Fußballdeutschland bis heute lacht.

Im Spiel gegen den VfL Bochum steht es in der 39. Minute 1:0 für Lautern, als sich der Verteidiger Michael Schjöneberg schwer verletzt: Schien- und Wadenbeinbruch, der Däne muss ausgewechselt werden. Rehhagel reagiert schnell, er steht von der Bank auf, die Ärmel seines Trainingsanzugs sind hoch gekrempelt, er gibt zackige Anweisungen: Der Nigerianer Ojigwe soll für Schjöneberg aufs Feld.

Lauterns Vizepräsident Axel Ulmer ist der erste, der den Fehler bemerkt. In Gedanken zählt er nach: Ramzy und Samir aus Ägypten, Ratinho aus Brasilien - schon vor der Einwechslung Ojigwes standen drei Nicht-EU-Ausländer auf dem Platz. Mehr sind nicht erlaubt. Ulmen stürzt zu Rehhagel, flüstert ihm die Nachricht ins Ohr: Vier Nicht-EU-Ausländer, das Spiel ist verloren. Bochum bekommt die Punkte; egal, wie es ausgeht.

Rehhagel ist verzweifelt, "Otto, Otto, Otto", sagt er zu sich selbst, hält sich den Kopf, steht auf, blickt hektisch auf das Spielfeld. Hat das jemand bemerkt? Der Trainer fasst einen Entschluss, er geht zur Seitenlinie, ruft Hany Ramzy heran. Wieder gibt es zackige Anweisungen, ein Wortschwall, es muss jetzt schnell gehen. Ramzy nickt.

Der Spieler trottet zurück aufs Feld. Eine Minute später fällt er um, wie vom Blitz getroffen. Der besorgte Trainer stürzt heran, Ramzy humpelt zur Seitenlinie, lässt sich behandeln. Rehhagel winkt ab: Auswechseln! Harry Koch soll nun kommen: Lockige Haare, Schnauzbart, deutscher geht es nicht.

Ramzy humpelt auf die Bank, zieht sich das Trikot über den Kopf, sein Brustkorb bewegt sich, der Ägypter lacht sich schlapp. Es ist ansteckend, die ganze Auswechselbank grinst jetzt, nur Rehhagel bleibt ernst. Er hofft, er bangt: Hat das jemand gesehen?

Olaf Marschall trifft zum 2:0 für Lautern, doch die Nachricht vom Wechselfehler ist nicht mehr aufzuhalten. "Schaltet mal einen Gang runter, wir wissen Bescheid", sagen die Bochumer. Der VfL gewinnt die Partie letztlich mit 3:2, Rehhagel nimmt den Fehler auf seine Kappe. Acht Jahre später wird die Nicht-EU-Ausländerbeschränkung aufgehoben.

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