Der Flügelflitzer:Wegen Erfolgs gefeuert

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In den USA hat ein Trainer seinen Job verloren, weil er zu hoch gewonnen hat und keine Reue zeigte. Man muss seinem Gegner aber auch mal was gönnen - wie es deutsche Fußballer gerne tun.

Jürgen Schmieder

Es gibt ein paar Gesetze im Sport, die gelten schon so lange, dass nicht einmal Udo Lattek noch als Erfinder in Frage kommt. Sie stammen also aus einer Zeit, in der es im Sport noch nicht um Millionen Euro oder gar die Weltherrschaft ging, sondern um die einfache Frage, wer denn bei einer körperlichen Ertüchtigung der Schnellere oder Stärkere ist. Eine dieser Regeln ist: Wer am Boden liegt, den tritt man nicht.

Oliver Kahn nach dem WM-Finale 2002. (Foto: Foto: AP)

Sie besagt, dass man einen hoffnungslos unterlegenen Gegner nicht demontiert, demoralisiert und demütigt, sondern sportlich fair ohne Mätzchen und Showeinlagen zu Ende spielt. Bei allzu hohem Vorsprung wechselt der Trainer die besten Spieler aus, er verschafft Bankdrückern ein wenig Spielpraxis und -freude. Auf harten Einsatz wird ebenso verzichtet wie auf den Versuch, den Sieg übertrieben hoch zu gestalten. In manchen Sportarten gibt es sogar die sogenannte "Mercy Rule" - das Spiel wird bei zu hohem Rückstand entweder abgekürzt oder beendet, um der unterlegenen Mannschaft eine Blamage zu ersparen.

Micah Grimes hat von dieser Regel anscheindend noch nichts gehört, aber es war ja auch Historisches zu erreichen. Seine Basketball-Mannschaft steuerte Korb für Korb auf eine dreistellige Punktzahl zu, während das gegnerische Team noch keinen einzigen Ball versenken konnte. Grimes jubelte auf der Bank, er stachelte seine Spieler an, weitere Punkte zu erzielen, am Ende stand es 100:0. Das Problem war nur, dass Grimes keine Profisportler trainierte, sondern 16-jährige Mädchen einer christlichen Privatschule in Dallas. Die Gegnerinnen besuchten eine Schule für Kinder mit Lernschwierigkeiten und Dyslexie.

Grimes, der Trainerfuchs, missachtete auch noch eine zweite alte Regel des Sports: Mit dem Schlusspfiff ist es vorbei. Als sich nämlich der Schuldirektor öffentlich für den zu hohen Sieg entschuldigte, legte Grimes auf seiner privaten Homepage nach: "Wir haben das Spiel so gespielt, wie man es spielt. Meine Werte erlauben es nicht, mich für einen hohen Sieg zu entschuldigen, weil meine Mädchen mit Ehre und Anstand gespielt haben." Er könne sich auch nicht dafür entschuldigen, dass er seine Spielerinnen angestachelt habe, weiter konzentriert zu spielen und die 100 Punkte voll zu machen. Mittlerweile hat ihn die Schule entlassen.

Grimes ist nicht der erste Trainer, der so vorgeht. Im Jahr 1987 demontierte der College-Trainer Jimmy Johnson die Gegner der Universität Miami, weil er seine Starspieler unabhängig vom Spielstand bis zum Ende auf dem Feld ließ. Die Ergebnisse waren unter anderem 51:7 gegen Arkansas, 46:16 gegen Maryland, 48:10 gegen Cincinnatti, 54:3 gegen Miami/Ohio und 24:0 gegen Notre Dame.

Faszinierend ist, dass die amerikanischen Öffentlichkeit Grimes Recht gab: Bei einer landesweiten Umfrage des TV-Senders CBS gaben zwei Drittel der Befragten an, Grimes habe richtig gehandelt. 70 Prozent waren der Meinung, dass man einen Trainer niemals wegen zu großen Erfolgs belangen sollte. Schon bei Johnson gab es eine Umfrage eines TV-Senders, in der sich mehr als zwei Drittel für den ehrgeizigen Trainer aussprachen.

Es geht also um die Frage, was höher zu bewerten ist: sportlicher Ehrgeiz oder Respekt vor dem Gegner. In Deutschland wird die Frage eindeutig beantwortet. Die Deutschen sind in den vergangenen Jahren Meister darin geworden, Gegnern die schmerzliche Niederlage zu ersparen - lieber steckt man sie selbst ein. Man denke nur an das EM-Endspiel 2008, als die deutsche Nationalelf selbst auf einen Torschuss verzichtete. Oder das WM-Finale 2002, als Oliver Kahn dem Brasilianer Ronaldo den Ball mustergültig servierte. Und natürlich das Champions-League-Finale 1999, als der FC Bayern den englischen Underdog aus Manchester in den letzten Minuten gewinnen ließ. Die Münchner wussten damals schon, dass sie zwei Jahre später von Valencia dafür belohnt werden würden. Das nennt man Sport-Karma.

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