Der Flügelflitzer:Stinkefinger und Beleidigungen

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In der Schweiz zeigt ein aufgebrachter Schiedsrichter Fans den Stinkefinger - und weckt auf vielfältige Weise Erinnerungen an Stefan Effenberg.

D. Prantl und J. Schmieder

Spätestens seit dem pädagogisch fragwürdigem Fangspiel "Wer hat Angst vorm schwarzen Mann" weiß jedes Kind, dass die Schiedsrichter der Schrecken aller Regelbrecher sind. Die Unparteiischen sind gewissermaßen die Polizisten der Fußballfelder, wie Schutzmänner haben auch Schiedsrichter die Aufgabe, die Welt ein wenig übersichtlicher zu gestalten, zumindest die auf dem Platz. Dafür setzen sie dann rigoros Trillerpfeife und rote und gelbe Strafzettel ein. Ob sie das immer gut machen, soll nicht zur Debatte stehen - denn zumindest für 90 Minuten gibt es keine Debatte, wer der Chef ist auf dem Platz. Das ist der Schiedsrichter.

Bei einem Schweizer Pokalspiel zwischen dem Drittligisten FC Baden und den Young Boys Bern halfen dem Mann in Schwarz (in diesem Fall war es eher ein tristes Grau) allerdings weder Gelb noch Rot noch Pfeife noch Uniform. Denn die Rufe "Busacca, Busacca vaffanculo!" ("Busacca, du Arschloch!") kamen nicht vom Platz, sondern von der Tribüne - und dagegen kann der Schiedsrichter nichts machen, weil er eben nur der Chef auf dem Platz und nicht im ganzen Stadion ist.

Es gibt zwar die durchaus sinnvolle Regel, die auf den Eintrittskarten abgedruckt ist und auf Dorf-Fußballplätzen als Blechschild am Eingang hängt: "Wer den Schiedsrichter beleidigt oder angeht, wird vom Sportgelände verwiesen." Aber wenn da Hunderte Zuschauer im Stadion rufen, dann wird es selbst für den besten Schweizer Ordnungsdienst schwierig.

Busacca wusste sich nicht zu helfen und zückte instinktiv den Stinkefinger. Abgesehen davon, dass es von einer hohen Geistesgegenwart zeugt, wenn man auf "Vaffanculo"-Rufe mit einer Geste reagiert, die bei den alten Römer ein Phallussymbol verkörperte, geht der Gedanke sofort zu Stefan Effenberg. Nein, nicht wegen "vaffanculo", sondern wegen des Mittelfingers. Den zeigte Effenberg den Fans bei der Weltmeisterschaft 1994, als diese seine Auswechslung forderten.

Der wahre Schrecken von Regelhütern und Regelbrechern hockt also auf der Tribüne. Denn gegen die Missgunst der Zuschauer gibt es weder Revanchefoul (wie Eric Cantona es einst versuchte) noch Pfeife noch farbige Kartons, sondern nur eines: Gelassenheit. "Ich kann mich nicht bewusst an die Szene erinnern. Es muss ein Reflex gewesen sein. Ich habe mich zu einer unsportlichen Geste hinreißen lassen", wird Schiedsrichter Massimo Busacca zitiert. Die Schiedsrichterkommission des Schweizerischen Fussballverbandes (SFV) sperrte ihn nun für drei Partien.

Effenberg dagegen hatte damals das Glück, von der Weltmeisterschaft frühzeitig nach Hause fahren zu dürfen und das schmachvolle Ausscheiden gegen Bulgarien nicht miterleben zu müssen. Wobei man bei Effenberg nun doch an "vaffanculo" denken muss, an das "Arschloch". Mit diesem Ausdruck soll sich Effenberg gegen die Schiedsrichter der Straße, also Verkehrspolizisten, beholfen haben. Effenberg behauptete zwar, er hätte "schönen Abend noch" gesagt, doch das glaubte ihm das Amtsgericht Braunschweig nicht.

Die Strafe waren dann auch keine drei Spiele Sperre, und er wurde auch nicht nach Hause geschickt. Er musste 100.000 Euro bezahlen.

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