Der Flügelflitzer:Seid endlich still!

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Singen, jubeln, aufstehen? Bitte nicht. Zumindest nicht immer. Der englische Erstliga-Klub FC Middlesbrough hat einen ziemlich merkwürdigen Verhaltenskodex für seine Fans eingeführt.

Thomas Hummel

Als der TSV 1860 München noch in der Bayernliga spielte, in den Achtzigern, da stand im unteren Drittel der Stehtribüne bei jedem Spiel ein Mann, nicht weit entfernt vom Rentenalter. Außerhalb des Grünwalder Stadions war er ein recht gemütlicher Mann, der ungern zu viele Worte benutzte. Und wenn, dann leise. Doch wenn die "Sechzger" damals mit dem Ball über die Mittellinie kamen, dann färbte sich seine Gesichtsfarbe rötlicher und rötlicher, was man weithin gut sehen konnte, weil er eine Glatze trug. "Hau hie", hallte es bald, "hau hie", was so viel heißen sollte, als dass endlich jemand den Ball Richtung Tor dreschen sollte.

Dimo Wache spricht mit dem Megafon zu den Mainzer Fans. So würden die Verantwortlichen des FC Middlesbrough gerne steuern, wann die Fans aufstehen und singen dürfen. (Foto: Foto: dpa)

Der Mann mit Glatze schrie in vielen Spielen so oft und so laut "Hau hie", dass noch lange nach dem Schlusspfiff die Glatze rot glänzte. Egal, ob die Sechzger erfolgreich hingehauen hatten oder nicht. Doch mit dem Schlusspfiff wurde er wieder der gemütliche, dem Rentenalter nahende Mann, der nie in seinem Leben jemanden anschreien würde.

Zu dieser Zeit war es unvorstellbar, dass ihm vor dem Grünwalder Stadion ein Ordner des Vereins einen Zettel in die Hand drückt, er solle doch bitte nicht mehr so oft "Hau hie" herumbrüllen. Die Glatze wäre vermutlich schon vor dem Anpfiff rot angelaufen. Weshalb anzunehmen ist, dass in der nordenglischen Stadt Middlesbrough am Samstag ziemlich viele Gesichter ziemlich rot gewesen sind.

Dort hat der örtliche Football Club nämlich genau das getan. Die Sicherheitsbeauftragte des Premier-League-Klubs, eine Dame namens Sue Watson, hat vor dem Heimspiel gegen Wigan Athletic Zettel an die ins Riverside-Stadion eilenden Fans verteilt, auf denen die Anhänger aufgefordert werden: "Bitte hört auf! Macht so viel Lärm wie ihr könnt, wenn wir treffen - aber dieser Dauerlärm macht einige Fans verrückt!"

Außerdem wurden die ungezogenen Schreihälse aufgefordert, doch bitte nicht ständig aufzustehen (im "Riverside" gibt es wie überall in England nur noch Sitzplätze). Sollte das Spiel wirklich einmal aufregend werden, darf der Fan sich ruhig einmal erheben - doch danach soll er sich bitte schnell wieder auf den Allerwertesten bequemen. "Die Sicherheitsbestimmungen erlauben kein permanentes Stehen auf den Sitzplatz-Tribünen."

Das kam nicht gut an. Ausgerechnet in England, im Geburtsland des Fangesangs, sollen die Zuschauer nun still sitzen? Ein Fanklub-Mitglied fragte: "Wollen sie uns jetzt mit Signalkarten anzeigen, wann wir singen dürfen und wann nicht?" Nun, das hätte sich der gute Mann auch selbst zusammenreimen können: Nur, wenn ein Tor fällt! Im Falle von Middlesbrough also praktisch nie, die Mannschaft liegt auf dem vorletzten Platz und hat in den letzten acht Spielstunden kein Tor geschossen. Mittlerweile haben sich die Offiziellen auch entschuldigt.

Ein Tipp für Frau Watson

Greift diese Idee auf Deutschland über, müssten die Vereine sich vor allem mit den sogenannten Ultras herumplagen. Diese Fangruppen haben das "Dauersupporten" eingeführt: Ein Anführer (oder der mit dem lautesten Organ) stellt sich dabei unten vor die Stehtribüne (manchmal auch auf ein Podest) und brüllt in ein Mikrofon seine Lieder. Dabei scheint es völlig egal zu sein, wie es steht, ob das Spiel gut oder schlecht ist, ob ein Tor fällt oder nicht. Diese Fans singen immer.

Die Endlosschleifen sind zur Hintergrundmusik in deutschen Stadien geworden, außer es ist gerade Montagabend und das Spiel wird im Deutschen Sport-Fernsehen übertragen. Dann vereinen sich die Fans im stummen Protest gegen die fanfeindlichen Anstoßzeiten wie am Montag in St. Pauli in den ersten 20 Minuten.

Was einen netten Tipp für Sue Watson hergibt: Verlegen Sie die Heimspiele des FC Middlesbrough zum Beispiel auf Dienstag, zwölf Uhr mittags. Es könnte ziemlich still werden.

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