Der Flügelflitzer:Maradona als Brasilianer

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Die europäische WM-Qualifikation ist im Vergleich zur südamerikanischen ein Kindergeburtstag. Von flüchtenden Schiris, einem Kaffee-Eklat und Maradona beim Fremdgehen.

Jonas Beckenkamp

Wenn sich ein zutiefst religiöser Fußballgutmensch wie der Brasilianer Kaká zu einer martialischen Aussage wie "die Südamerika-Qualifikation für die WM ist wie Krieg" hinreißen lässt, muss schon einiges auf dem Spiel stehen. Es wird geschunden und geschummelt, gespuckt und getreten, was dazu führt, dass nicht selten mehr rote Karten gezeigt werden, als Tore fallen. In Uruguay zählt der Platzverweis deshalb geradezu als Auszeichnung, vor allem dann, wenn man damit einem argentinischen Gegenspieler die Heimfahrt über den Río de la Plata ins Krankenhaus beschert.

Immer schön von hinten in die Beine: In der WM-Qualifikation Südamerikas ist die Blutgrätsche stets ein probates Mittel gegen Könner wie Kaká (gelb). (Foto: Foto: AP)

Dieses Schicksal hätte vielleicht auch so manchem Schiedsrichter gedroht, wenn er sich nicht fluchtartig aus dem Stadionstaub gemacht hätte - das belegen zumindest die zahlreichen Internetvideos, in denen zu sehen ist, wie erschrockene Spielleiter vor der aufgebrachten Fanmeute davonflitzen. Fußball in Südamerika, so viel steht fest, ist nichts für zimperliche Zauderer oder wankelmütige Weicheier, sondern ein Spiel um Stolz, Anerkennung und Ehre - und manchmal auch ums blanke Überleben, wie der tragische Fall des kolumbianischen Nationalverteidigers Andrés Escobar zeigte. Der wurde nach einem Eigentor bei der WM 1994 in den USA schlichtweg in einer Bar erschossen.

Man kann sich nicht riechen

Konfrontationen mit Kuriositäten-Potential gibt es auf dem Kontinent genug: Angefangen beim Dauerduell Brasilien gegen Argentinien, das immer wieder durch bedeutungsschwere Kampfdialektik wie die des Herrn Kaká angeheizt wird, über den ewigen Pazifik-Klassiker Peru gegen Chile, bis hin zu den regelmäßigen Indiofestspielen zwischen Ecuador und Bolivien, die wegen ihrer hochgelegenen Austragungsstätten Quito (2850 Meter) und La Paz (3600 Meter) getrost als "Gipfeltreffen" gelten können - mehr dicke als dünne Luft herrscht bei diesen explosiven Rivalitäten allemal. Doch warum nur?

Neben den stets brodelnden Machogemütern könnte es am Spielmodus der Qualifikation liegen. Anders als in Europa spielen alle südamerikanischen Nationalmannschaften nämlich ständig gegeneinander. Alle Länder des Kontinents bilden eine Gruppe und bestreiten gegeneinander je Hin -und Rückspiel. Egal, ob Copa América (das Pendant zur EM), die alle zwei Jahre stattfindet, oder WM-Qualifikation - mindestens einmal im Jahr spielt hier jeder gegen jeden, gelost wird nur um den Anstoß.

Doch nicht immer geht es gleich um Kopf und Kragen. Diego Maradona, den in Argentinien wohl mehr Leute für den leibhaftigen Gott halten als den Allmächtigen höchstselbst, sorgte unlängst mit einem kuriosen Werbespot für Furore. Zu sehen ist darin die brasilianische Seleção beim Singen ihrer Hymne. Die Kamera schwenkt länderspielecht von Gesicht zu Gesicht, von Ronaldo zu Kaká, bis "El Diego" ins Bild kommt - im Trikot des Feindes, textsicher auf Portugiesisch. Dann wacht Maradona schweißgebadet im Pyjama der Albicelestes seines Argentiniens auf. "Ay Caramba, was für ein Albtraum!" Er habe wohl zu viel getrunken von diesem Teufelszeug, einem Energy Drink mit Guarana, stammelt der verwirrte Nationalheld. Maradona als Brasilianer? Was für ein Unding! Wenn Argentinien auf Brasilien trifft, ist dem wahren Aficionado höchstens noch die eigene Mutter heilig, der Rest ist mit Agonie und größtmöglicher Abneigung nationale Pflichterfüllung.

Alles kalter Kaffee?

So weit, so gut, doch nun zeichnet sich eine neue "Länderliebe" im Norden des Kontinents ab. Das fußballerisch unbedeutende, aber politisch durchaus potente Venezuela sieht sich nach der 0:4-Niederlage im WM-Qualifikationsspiel am vergangegen Wochenende gegen Brasilien schweren Vorwürfen ausgesetzt. Bei der Ankunft wurden die Stars von Trainer Carlos Dunga 90 quälende Minuten im Flugzeug festgehalten, die Unterkunft sei katastrophal gewesen, heißt es, und dann auch noch dieser jämmerliche Fraß, den es zu essen gab. "In diesem Land funktioniert nichts", klagte Dunga.

Wenigstens gab es Kaffee zum munter werden, doch auch der hatte es in sich: Gleich mehrere Spieler, unter anderem auch Kapitän Lúcio vom FC Bayern, mussten sich in der Halbzeit des Spiels übergeben. "Das war ein Versuch, Brasilien zu schädigen, aber wir haben uns durchgerungen", so der Vorwurf des tapferen, aber kreidebleichen Lúcio. "Ich will lieber nicht denken, dass da etwas geplant wurde", echauffierte sich Mittelfeldmann Gilberto Silva. Vielleicht sollten die Brasilianer sich das nächste Mal ihre Getränke selber mitbringen - Maradonas klebriger Energy Drink würde sich als Stärkung anbieten.

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