DDR-Fußball:Doping war für alle da

Lesezeit: 3 Min.

Staatlich organisierten Pharma-Missbrauch gab es auch im DDR-Fußball. Der DFB soll jetzt möglichen Opfern helfen und sagt zumindest eine Prüfung der Vorgänge zu.

Von Johannes Aumüller

Es ist eine Liste mit bedrückenden Beispielen. Da ist der frühere Fußballer des FC Carl Zeiss Jena, geboren 1959, der seit Jahren an schweren Depressionen und an Lymphdrüsenkrebs leidet. Es geht um Ex-Kicker von Stahl Riesa oder vom FC Vorwärts Frankfurt, deren Leber oder andere Organe schwer geschädigt sind. Und es sind auch manche Akteure darunter, die erst in den 1970er-Jahren zur Welt kamen, danach in den Junioren-Mannschaften von Lok Leipzig, Hansa Rostock oder Rot-Weiß Erfurt spielten und heute von schweren Erkrankungen berichten.

Ein Dutzend Beispiele umfasst diese anonymisierte Liste, und alle Betroffenen haben zwei Gemeinsamkeiten: Sie waren zu DDR-Zeiten Fußballer, und sie berichten, wie sie in ihren aktiven Fußballerjahren Tabletten oder Drinks nehmen mussten, oft den Klassiker Oral-Turinabol, ohne die Substanz und schon gar nicht deren verhängnisvolle gesundheitsschädliche Risiken zu kennen. Es sind also allesamt Ex-Fußballer, die sich als Opfer des DDR-Staatsdopingsystems fühlen.

Am Mittwoch berichtete Ines Geipel, die Chefin des Doping-Opfer-Hilfe- Vereins (DOH), über die zunehmende Zahl geschädigter Ex-Fußballer mit Doping-Vergangenheit. Daher nimmt sie neben dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und der Bundespolitik nun auch den Deutschen Fußball-Bund (DFB) und dessen Präsidenten Reinhard Grindel in die Pflicht, wenn es um den Umgang mit Dopingopfern geht. Der DFB solle sich an einem einzurichtenden "Notfonds für Sportopfer" beteiligen. Der DFB erklärte auf Anfrage, man habe den Hinweis des DOH "zur Kenntnis genommen. Sollte es tatsächlich dokumentierte Fälle aus dem Fußball geben, ist der DFB grundsätzlich bereit, den gesamten Sachverhalt zu prüfen." Der DFB wolle "in näherer Zukunft" das Gespräch mit Geipel suchen.

Seit fast zwanzig Jahren ist der DOH nun schon Anlaufstelle für frühere Sportler, die unter den Spätfolgen von Doping leiden. Er versucht, aufzuklären über die dunklen Seiten des Pharmamissbrauchs - vor allem, aber längst nicht nur im Kontext des DDR-Staatsdopingsystems. Der Verein ist ein ständiger Kritiker des organisierten Sports und der Scheinheiligkeit im Umgang mit Doping, dessen Opfern sowie früheren Verantwortlichen.

Das ist oft ein schwieriges Unterfangen. Die finanzielle wie ideelle Unterstützung aus Sport und Politik für den Verein ist minimal. Anerkannte Doping-Opfer können inzwischen zwar 10 500 Euro Entschädigung bekommen. Aber derzeit gibt es einen zähen Kampf darum, das Gesetz für Dopingopfer um zwei Jahre bis 2020 zu verlängern und auch auf die Opfer der zweiten Generation zu übertragen, also auf die Kinder von Zwangsgedopten. Im Einzelfall ist es zudem schwer, eine Anerkennung als Doping-Opfer zu bekommen, weil oft das für die Opfer verstörende Argument fällt, es gebe keinen kausalen Zusammenhang zwischen damaligem Doping und heutiger Erkrankung. So warten viele vergeblich auf finanzielle Entschädigung oder einen guten Arzt.

Reinhard Grindel. (Foto: Michael Sohn/AP)

Dabei wächst die Dimension. 1700 Opfer haben sich inzwischen gemeldet. Es sind vor allem Ostdeutsche mit Karrieren in den 1970er- und 1980er-Jahren, aber auch immer mehr Sportler, die noch nach der Wiedervereinigung aktiv waren sowie Menschen der zweiten Generation. "Wir haben einerseits das Gefühl, dass die Arbeit wirksamer wird", sagt Geipel: "Aber je mehr wir arbeiten, desto größer wird die Dunkelheit, in die wir schauen."

So kennt der DOH inzwischen auch viele Beispiele dafür, dass es in der DDR oft zu einem doppelten Missbrauch von Jugendlichen kam: neben Doping auch sexualisierte Gewalt und Demütigungen. "Kaputtgemachte Körper, kaputtgemachte Seelen", sagt Ines Geipel. Der DOSB als Dachverband solle einen Hilfsfonds für Opfer sexualisierter Gewalt neu auflegen.

Und zu den Themen, die den DOH verstärkt beschäftigen, gehört auch der Fußball, in dem ebenfalls seit Jahrzehnten nachweislich gedopt wird. Der DDR-Staatsdopingplan war ohnehin für alle Sportarten gedacht, auch für den Fußball, worüber Historiker auch schon berichteten. Aber es ist traditionell so, dass der Fußball sein Dopingproblem besonders hartnäckig leugnet. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass sich erst jetzt betroffene Fußballer melden. 20 sind es bisher insgesamt, drei von ihnen sollten am Mittwoch in Berlin mit Geipel auf dem Podium sitzen, aber sie haben kurzfristig zurückgezogen. Es sind im Vergleich zu anderen Sportarten noch nicht so viele, womöglich deshalb, weil es nach der Erkenntnis von Forschern eine gewisse Zeit dauert, bis die Opfer selbst einen Zusammenhang herstellen zwischen Dopingkonsum und Erkrankung. Und es ist Mut nötig, um die Scham zu überwinden und zu reden.

Die Schilderungen der Betroffenen über die Zeit damals sind jedenfalls frappierend. Mal sind die Tabletten als angebliches Mittel zur Regeneration verabreicht worden. Andere teilen mit, dass die ganze Mannschaft "auf Droge" gewesen sei. Von flächendeckendem Konsum bis in die Kreisliga ist die Rede. Und besonders bestürzend klingt es, wenn damalige Junioren-Fußballer berichten. "Es ist erschreckend, in welchem Maße im DDR-Fußball gedopt wurde", sagt Geipel. Doping im Fußball sei "Alltag" gewesen. Es war ein Alltag, der dann unter dem Dach des DFB im deutschen Spitzenfußball aufging.

© SZ vom 26.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: