Darts-WM:Aus für den "German Giant"

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Gabriel Clemens verliert im Halbfinale gegen Vorjahresfinalist Michael Smith. Der Deutsche kann das Turnier dennoch als Erfolg verbuchen. Er rückt in die Kategorie der besten 20 Spieler der Welt auf.

Von Sven Haist, London

Die Superlative schienen für Gabriel Clemens langsam auszugehen. Zuletzt war nach seinen famosen Siegen bei der Darts-WM 2023, insbesondere nach dem Viertelfinalerfolg gegen den Weltranglistenersten Gerwyn Price, in Wortspielen mit seinem Spitznamen "Gaga" von "Giga-Gaga" oder einer "Gaga-Gala" die Rede. Die Formulierungen ließen kaum Spielraum für einen weiteren Triumph des Saarländers - der im Duell mit Vorjahresfinalist Michael Smith am Montagabend dann auch ausblieb. Clemens verlor klar mit 2:6 nach Sätzen.

Doch trotz des verpassten Finaleinzugs werden seine Giga-Gaga-Gala-Auftritte bei dieser WM in Erinnerung bleiben, für die Clemens mit einem Preisgeld von 100 000 Pfund belohnt wird. So viel hat er auf der Darts-Tour auf einen Schlag noch nie verdient. Er rückt in die Kategorie der besten 20 Spieler der Welt auf. Dem Vernehmen nach besteht eine Chance, dass Clemens von der Professional Darts Corporation eine der vier begehrten Wildcards für die Premier League Darts 2023 erhält - ein prestigeträchtiges Einladungsturnier, bei dem insgesamt eine Million Pfund ausgespielt wird.

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Nein, wahrscheinlich wird es nach der WM keinen großen Darts-Boom in Deutschland geben. Aber der Halbfinal-Einzug von Gabriel Clemens ist ein historischer Erfolg, der vor Kurzem noch undenkbar erschien - und viel mit Clemens persönlich zu tun hat.

Kommentar von Carsten Scheele

Nach der WM-Niederlage gratulierte er dem Engländer Smith fair mit einer Umarmung. Der hatte seinen ersten Match-Dart auf die Doppel-20 genutzt - und damit, wenn man so will, ein Déjà-vu beim Deutschen ausgelöst.

Wie es sich anfühlt, einen Topfavoriten zu schlagen und danach auszuscheiden, erfuhr Clemens vor zwei Jahren. Damals siegte er in der dritten Runde gegen Peter Wright, die damalige Nummer zwei der Welt. Im Entscheidungssatz bewahrte Clemens die Nerven - ehe er sie in der nächsten Runde verlor. Im Duell mit Krzysztof Ratajski vergab er im Sudden-Death-Leg sieben Match-Darts.

Die schmerzhafte Niederlage, bei der Clemens sein Spielniveau, also die durchschnittliche Punktzahl pro Anwurf mit drei Darts, im Vergleich zur Runde zuvor nicht halten konnte, war die seinerzeit wohl größte Enttäuschung seiner Karriere. Die plötzliche Erwartungshaltung, die eigene und die der zahlreichen deutschen Fans im Ally Pally, hatte ihm offensichtlich die notwendige Leichtigkeit genommen. Ähnlich wirkte es am Montagabend im Halbfinale gegen den an Nummer vier gesetzten Smith. Denn die drei Dartpfeile lassen sich noch immer am besten auf die Scheibe werfen, wenn sie einem locker von der Hand gehen.

Zu Beginn des Matches hielt Clemens dagegen. Mit furiosen Würfen forderte er Smith heraus, der im ersten Satz schon mehr als 110 Punkte pro Anwurf aufbieten musste, um ihn zu gewinnen. Dabei gelangen beiden Spielern zwischenzeitlich zusammen zehn perfekte Darts in Serie. Das war das Niveau, das für den Einzug ins Finale gefordert war.

Trotz des Rückstands ließ sich Clemens, wie gegen Price, nicht aus dem Konzept bringen - weder von einem zwischenzeitlich falsch ausgerufenen Spielstand des Schiedsrichters, noch von Smiths hohen Checkouts (161, 144, 106). Die Stärke des Saarländers ist es ohnehin, immerzu bei sich zu bleiben. Er glich wie selbstverständlich zum 1:1 und kurz danach zum 2:2 nach Sätzen aus. Alle vier Durchgänge gingen jeweils ins sogenannte Entscheidungs-Leg - endeten also mit 3:2 Legs.

Der Engländer legte nach

Es zeichnete sich ab, dass der Druck auf Favorit Smith immer größer werden würde, je länger Clemens die Partie offenhalten kann. Doch der Engländer legte nach und erhöhte den Druck. Satz fünf holte er sich in einem Rutsch: mit drei klar gewonnenen Abschnitten. Und schaffte danach mit einem spektakulären Wurf ins Bull's Eye das Break zum 4:2. Smith wollte Clemens unbedingt abhängen, auch aus Respekt vor dem Einfluss des Publikums.

"Der Ally Pally ist deutsch, definitiv", hatte Clemens zuletzt erklärt. Wie in den Vortagen war die Spielhalle auf einer Anhöhe Londons in deutscher Hand, zumindest akustisch. Die Fans bejubelten die Würfe von Clemens wieder frenetisch. Wohl auch wegen seines zurückhaltenden, fast etwas verlegen wirkenden Auftretens. Fast nichts mögen die Menschen im Ally Pally mehr, als dabei zuzusehen, wenn sich die Träume eines Spielers wie Clemens erfüllen, der damit wohl selbst nicht gerechnet hat.

Und Clemens ließ sich von der Kulisse nochmals inspirieren. Im siebten Satz holte er zwei verlorene Abschnitte auf, konnte aber im so wichtigen Entscheidungs-Leg seine Chance nicht nutzen, den Wert 150 auszuchecken. Stattdessen warf Smith seinen Pfeil in die Doppel-8 - und landete damit einen Treffer, von dem sich selbst Giga-Gaga Clemens nicht mehr erholen konnte.

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