Dart:Leitfigur auf Abschiedstour

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"Ich habe einfach den Hintern versohlt bekommen": Ex-Weltmeister Gary Anderson (rechts) muss sich Michael van Gerwen geschlagen geben. (Foto: Steven Paston/dpa)

Die Halbfinal-Niederlage von Ex-Weltmeister Gary Anderson gegen Michael van Gerwen steht stellvertretend für den Generationswandel. Immer mehr Männer, die den Sport populär gemacht haben, setzen sich zur Ruhe.

Von Sven Haist, London

Auf dem Weg von der Bühne warf Gary Anderson seine Tasche mit den Pfeilen weg - damit war die Weltmeisterschaft im Darts für ihn endgültig gelaufen. Auf die Wurfgeschosse der Profis haben es die Fans in den vorderen Reihen des Alexandra Palace abgesehen, um sie als Souvenir mit nach Hause nehmen zu können. Allerdings warf Gary Anderson den schwarzen Beutel nicht der wartenden Meute zu, er pfefferte ihn in einen schwarzen Vorhang auf der Gegenseite, was wohl heißen sollte, dass er nun wahrlich genug hatte vom Spiel mit den Pfeilen. Nach seinem Abgang meldete er sich erst in der Nacht über Twitter von der diesjährigen Auflage ab: "Tut mir leid, ich habe einfach den Hintern versohlt bekommen von @MvG180. Alles Gute an beide fürs Endspiel."

Dem zweimaligen schottischen Weltmeister Gary Anderson hatte es nach seinem Aus im Halbfinale erst mal die Sprache verschlagen, nachdem er zuvor eine Lehrstunde über sich ergehen lassen musste. Mit 6:1 setzte sich der Weltranglisten-Erste Michael van Gerwen gegen Anderson durch. Seit fünf Jahren dominiert der Niederländer die Scheibenwelt, in dieser Saison gelangen ihm 19 Turniersiege.

Nach seinen beiden WM-Triumphen 2014 und 2017 nutzte van Gerwen am späten Neujahrsabend im Endspiel gegen den an zehn gesetzten Engländer Michael Smith die Gelegenheit, auf den vierten Platz der ewigen Bestenliste vorzurücken - er siegte 7:3. Bloß der im Vorjahr abgetretene Rekordchampion Phil Taylor (16 Titel), der im April verstorbene englische Altmeister Eric Bristow und van Gerwens niederländischer Landsmann Raymond van Barneveld (beide fünf Titel) befinden sich nun noch vor ihm. "Der Druck, den ich auf Gary ausgeübt habe, bedeutete, dass er nicht in seiner besten Form sein konnte. Ich habe ihm mit meinen Auswürfen keine Zeit zu atmen gegeben", hatte van Gerwen über das Halbfinale gesagt. Die krasse Niederlage für den kurz vor Heiligabend 48 Jahre alt gewordenen Anderson setzt den Wandel fort, der sich momentan im Darts vollzieht.

Als einziger der zehn Routiniers aus dem Klassement der besten 20 Werfer, die mindestens 40 Jahre alt sind, schaffte es Anderson beim prestigeträchtigsten Wettstreit des Jahres, überhaupt mehr als ein Spiel zu gewinnen. Gleich acht Kollegen scheiterten in ihrem jeweils ersten Duell, darunter die hoch gehandelten Peter Wright (48/England), Ian White (48/England), Mensur Suljovic (46/Österreich) und Raymond van Barneveld (51/Niederlande). Bereits vor dem Turnier hatte der Fan-Liebling van Barneveld, der vor zwölf Jahren gegen Taylor im Sudden Death das spektakulärste Finale der Historie gewann, seinen Rücktritt für 2020 angekündigt. Bei seiner vorletzten WM-Teilnahme reichte es nun nicht mal mehr fürs Weiterkommen gegen den litauischen Qualifikanten Darius Labanauskas. "Ich kann gar nicht sagen, wie sehr mir das weh tut", sagte van Barneveld.

Nach Taylor geht mit van Barneveld jetzt also eine weitere Leitfigur auf Abschiedstour - und bald dürfte auch Gary Anderson folgen. Der Flying Scotsman lässt kaum eine Gelegenheit aus, um über anhaltende Rückenprobleme zu klagen: "Ich denke, ich werde vor 50 fertig sein. Diese WM und vielleicht noch die nächste, aber dann war es das. Ich will lieber angeln gehen - und weniger Stress."

Langsam, aber sicher setzt sich eine Generation an Männern zur Ruhe, die das Dartsspielen so interpretierten, wie es die Leute sehen wollen: einfach lässig drei Pfeile aus 2,37 Meter Entfernung ins minimale Feld der Triple-20 zur Höchstpunktzahl 180 schmeißen, als wäre nichts dabei.

Die Turnierserie der Professional Darts Corporation (PDC) erstreckt sich mittlerweile über fast alle Kontinente, von Australien bis Amerika, selbst in Afrika wird Darts gespielt. Die Binsenweisheit, wonach sich im Volkspalast auf einer Anhöhe im Norden der englischen Hauptstadt ein paar Männer fortgeschrittenen Alters aus den Kellerkneipen ins Rampenlicht werfen, verliert allmählich an Glaubwürdigkeit. Die Ausdauer, um den gegenwärtigen Spielplan über Jahre hinweg durchhalten zu können, lässt sich wohl einzig noch als Leistungssportler aufbringen, der sich in der Hochzeit seiner Karriere befindet. Der finale Ritt des Großmeisters Taylor, der bei der WM 2018 mit 57 Jahren als ältester Spieler der Geschichte das Endspiel erreichte, lag in erster Linie an seiner Ausnahmebegabung, Pfeile präziser werfen zu können als alle anderen vor und nach ihm.

Das Duell zwischen van Gerwen, 29, und Smith, 28, um die Nachfolge des vergangenen Titelträgers Rob Cross hat nun also die Emanzipierung einer Gruppe an jungen Profis eingeleitet, die gerade dabei sind, Darts in die Zukunft zu werfen - und zwar ohne die Spieler, die einst dafür gesorgt haben, dass sich ein Millionenpublikum zur besten Sendezeit vor dem Fernseher versammelt. Als letzter Fahrensmann hat Gary Anderson in diesem Turnier die Bühne geräumt.

© SZ vom 02.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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