Darmstadt 98:Gelbfieber in der Schlussphase

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Darmstadts Konstantin Rausch (2.v.l.) holt sich von Referee Jochen Drees eine gelbe Karte ab, weshalb er gegen den FC Bayern nicht dabei sein darf. (Foto: Matthias Hangst/Getty Images)

Zufall oder Strategie? Nach dem 1:2 gegen Leverkusen sind gleich fünf Darmstädter Stammkräfte fürs Spiel gegen den FC Bayern gesperrt.

Von Johannes Aumüller, Darmstadt

Rudi Völler, 55, ist sicher kein schlechter Kronzeuge für die Tricksereien und Schlitzohrigkeiten des Fußballgeschäfts, aber so etwas wie am Samstag war ihm auch noch nicht untergekommen. In der Pause streunte der Sportchef von Bayer Leverkusen durch den Kabinentrakt des Darmstädter Stadions, wo es etwas anders aussieht als in anderen Katakomben. Alles ist eng, die Wände sind dünn. Und plötzlich ertappte Völler vor der Leverkusener Kabine einen Herrn, der sein Ohr so nahe an die Tür presste, dass der Tatbestand der Spitzelei erfüllt zu sein schien. Völler fauchte: "Das macht man nicht!" Die Gastgeber gaben zu Protokoll, es habe sich um einen ehrenamtlichen Helfer gehandelt. Und auch Völler verbreitete schon kurz nach der Tat den Eindruck, er glaube weniger an einen vom Gegner verordneten Lauschangriff als an einen neugierigen Einzeltäter. Es gab in Darmstadt daher auch keine große Spitzel-Diskussion - allerdings schon eine Diskussion über die Frage, was man so macht und was nicht. Entzündet hatte sich diese Frage an jener merkwürdigen Gelbsucht, welche die Darmstädter in den letzten zehn Minuten der Partie befiel. Mit der Folge, dass am nächsten Samstag gleich fünf Stammspieler gesperrt sind: Kapitän Aytac Sulu, Jérôme Gondorf, Konstantin Rausch sowie Marcel Heller nach der fünften gelben Karte, Peter Niemeyer nach der zehnten. Wo gespielt wird? Beim FC Bayern, und es sieht so aus, als solle da eine halbe Elf für relevantere Aufgaben geschont werden.

Seit dem Aufstieg führen die Darmstädter einen permanenten Überlebenskampf in dieser Liga, und sie tun das zwar sehr energisch, aber oft auch so rührig und gewitzt, dass ihnen das einige Sympathiepunkte eingebracht hat. Fußballerisch mögen sie limitierter sein als die Konkurrenz, aber dafür rennen und kämpfen sie und haben in Dirk Schuster einen Trainer, der sein taktisches Korsett geschickt schnürt. Am Samstag hat das lange gut funktioniert, ein schwer zu bespielender und für manche Leverkusener Profis Bundesliga-untauglicher Platz mit Dreckspfützen vor den Toren tat sein Übriges - und so hätte leicht ein besseres Resultat rausspringen können als die 1:2-Niederlage. Doch nach der Führung durch Sandro Wagner (28.) drehten die Gäste das Spiel: Erst unterlief Kapitän Sulu ein Eigentor (62.), dann schloss Leverkusens Julian Brandt einen Konter mit dem Siegtor ab (77.).

Darmstadt ist 13., allerdings sind es nur noch vier Punkte runter zum Relegations-Platz 16. Und nun das: vier aus Sicht des Schiedsrichters angemessene) gelbe Karten in den letzten zehn Minuten. Kapitän Sulu foulte Kießling an der Mittellinie, Heller teilte gegen Wendell aus. Niemeyer ging hart in einen Zweikampf, Rausch traf einen Gegenspieler am Fuß. Nur Gondorf hatte sich sein Gelb schon vor der Pause abgeholt. Wer auf das Motiv schließen will, muss den Spielplan lesen. Gegen die Bayern ist das Quintett gesperrt, aber die Woche drauf, im wegweisenden Auswärtsspiel in Bremen, dem Tabellen-16., sind alle wieder dabei. Und im Liga-Schlussspurt können sich die Lilien mit ihrer harten Gangart wieder ein bisschen Gelb abholen, ehe es zu den nächsten Sperren kommt.

"Mach et, Otze", lautete einst die Anweisung an Ordenewitz

Schnell fiel daher am Samstag der Name Frank Ordenewitz. Vor 25 Jahren hatte der 1. FC Köln eine Lücke im Regelwerk entdeckt, als Ordenewitz im DFB-Pokal-Halbfinale Gelb sah - damit wäre er fürs Finale gesperrt gewesen. Doch bei einer roten Karte, hatten die Kölner recherchiert, hätte er die Sperre in der Liga absitzen und im Pokal-Endspiel wieder mitwirken können. Also sprach Trainer Erich Rutemöller jene berühmten Worte "Mach et, Otze" - und Ordenewitz sah bald Rot. Das Pech der Kölner: Der gutmütige Rutemöller gestand öffentlich. Wider die Statuten sanktionierte der DFB den Angreifer auch fürs Finale.

In Darmstadt gestand niemand einen "Macht et"-Befehl ein. Mario Vrancic tat völlig erstaunt, als er hörte, dass in München fünf Kollegen fehlen werden; Sulu verwies auf die "hektische Schlussphase". Und Schuster antwortete auf Fragen zum Thema noch verschmitzter als sonst, legte sich aber fest auf die Floskel, dass "wir da trotzdem eine gute Mannschaft aufs Feld kriegen werden, die zumindest versucht, den Bayern Paroli zu bieten". In der Schlussphase war zu sehen gewesen, wie Schuster den aufgebrachten Leverkusener Trainer Roger Schmidt in den Arm nahm und ihm etwas ins Ohr flüsterte. An dieser Stelle wäre ein Lauschangriff wirklich nützlich gewesen.

© SZ vom 15.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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