Curling:Der Coup der Kellerkinder

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Taktische Bravourleistung: Skipperin Daniela Jentsch (Mitte) führte die deutschen Curlerinnen in Tallinn zur ersten EM-Medaille seit 2009. (Foto: Raul Mee/dpa)

Die Curler galten bis zuletzt als perspektivlos im deutschen Sport. Nun zählen sie zu den ersten Athleten, die den aktuellen Winter veredeln.

Von Barbara Klimke, München

Schon vor dem ersten Frost war der kleinste Wintersportverband diesmal eine Sorge los. Eine Reise nach Neuseeland konnte ersatzlos gestrichen werden, samt Unterkunft und Flügen. Im Südpazifik wird im Januar die WM-Qualifikation im Curling ausgespielt, und solch eine Expedition ans Ende der Welt reißt immer eine Lücke ins Budget. "Das hätte uns tatsächlich arge Probleme bereitet", räumt Verbandspräsident Bernhard Mayr ein. Diese Kosten, sagt er erleichtert, würden nun gespart: Denn die deutschen Curler haben es auch so geschafft - ohne Extratour rund um den Globus. Bei der Europameisterschaft in Estland eroberten die Frauen am vorigen Wochenende den dritten Platz, die Männer kamen auf Rang vier. Das bedeutet, dass sie nun automatisch zum Championat der Weltbesten geladen sind.

Dass ausgerechnet der Deutsche Curling-Verband (DCV) zu den Ersten gehört, die den noch jungen Winter mit Medaillen veredeln, ist eine der Überraschungen der Saison. Denn vor wenigen Monaten noch galten die Curler als die Kellerkinder des deutschen Sports. Für Olympia nicht qualifiziert, von Funktionären und Fördergeldverteilern als fast hoffnungslose Fälle abgestempelt, fanden sie sich in dem Ranking, das die sogenannte Potas-Kommission für Ministerien und den Dachverband DOSB erstellte, durchweg auf den letzten Tabellenplätzen wieder. Kaum Erfolgspotenzial, hieß das, in Behördensprache übersetzt.

Die Jüngsten besetzten bei der EM die wichtigsten Positionen

Und nun hat Skipperin Daniela Jentsch, 36 Jahre alt, Sportsoldatin vom CC Füssen, ihre sehr jungen Kolleginnen mit einer taktischen Meisterleistung bei der Europameisterschaft im Spiel um Platz drei zum 7:4-Sieg über Russland geführt. Diese EM-Bronzemedaille für die Frauen ist die erste seit 2009. Auch die Männer schoben die Steine so clever übers Eis, dass sie bis ins Halbfinale vorrückten, wo sie Schweden unterlagen; im kleinen Finale gegen Italien gaben sie sich erst kurz vor Schluss geschlagen. Das Potas-Ranking, das ihre Entwicklungschancen bezweifele, sei natürlich "auch ein Ansporn", sagte Verbandschef Mayr: "Wir wollen nicht nach hinten durchgereicht werden."

Pläne braucht man immer beim Curling, diesem Strategiespiel auf Eis. Bei der EM hat der DCV diesmal einem sehr jungen Kapitän, dem 22-jährigen Marc Muskatewitz vertraut; zudem dem erst 18-jährigen Abiturienten Sixten Totzek. Die älteren Kollegen Ryan Sherrard, Daniel Neuner und Sebastian Schweizer, alle über 30, hatten die Aufgabe, die Youngster zu unterstützen, weil ein solch "asymmetrisches Team", wie der Verbandschef sagt, Risiken in sich trage: Die beiden Jüngsten hätten auf Positionen gespielt, die bei internationalen Turnieren normalerweise vier oder fünf Jahre mehr Erfahrung erfordern: "Sie hätten auch einbrechen können." Statt dessen gelang ihnen laut Mayr eine Sensation.

Was das alles für die Halbwertzeit des mit viel Aufwand erstellten Potenzial-Analyse-Systems (Potas) aussagt, ist eine Frage, die eher die Analysten interessieren dürfte. Festzuhalten ist, dass in einem Verband mit vermeintlich wenig Perspektive nun just die Perspektivspieler überzeugten. Bernhard Mayr indes sieht keinen Grund, nun gleich den Sinn der gesamten Untersuchung in Zweifel zu stellen: "Wir waren in den vergangenen Jahren nicht erfolgreich, insofern fühlen wir uns nicht ungerecht behandelt." Allerdings gibt er zu bedenken: "Die Anforderungen von Potas sind enorm." Von den Verbänden würden nicht nur Erfolge, sondern auch professionelle Strukturen mit entsprechenden Stellenbesetzungen verlangt. Dies könnten die großen Verbände leisten; kleinere wie der Curling-Verband mit seinen nicht einmal 800 Mitgliedern und einem Leistungssportetat von knapp 500 000 Euro eher nicht: "Wir bräuchten also finanzielle Unterstützung, um die Forderungen erfüllen zu können - aber die bekommen wir nicht, weil wir ja die Vorgaben nicht erfüllen." In Vorleistung zu gehen, fällt dem DCV wegen der knappen Mittel auch schwer. Mayrs Fazit: "Es ist ein Zirkelschluss."

So gebe es fünf bis sechs Stellen, die der Verband aus finanziellen Gründen nicht besetzen könne. Nur zwei Angestellte, Sportdirektor Markus Tröger und der Junioren-Nationaltrainer, arbeiten hauptamtlich. Derzeit sind die Curler mit den entsprechenden Stellen in Etat-Gesprächen; ihr Potenzial, sagen sie, würden sie gern "gemeinsam mit dem DOSB ausschöpfen". Immerhin gebe es Anzeichen, dass das Budget für den kleinsten Wintersportverband 2019 wohl bleibt, wie gehabt. Das muss reichen für zwei Reisen - wenn die Männer in Kanada und die Frauen in Dänemark beim Championat der weltbesten Curler mitmischen.

© SZ vom 30.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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