Copa America:Jetzt spielt er auch noch Gitarre

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Argentiniens melancholischer Dirigent Juan Roman Riquelme erlebt bei der Copa America wohl die schönsten Wochen seiner Karriere. Er hat sogar gute Laune.

Peter Burghardt

Nach 72 Minuten musste Argentiniens Kapitän vom Platz, seine Mannschaft führte 1:0 im Berliner Olympiastadion. Trainer Jose Pekerman hatte an diesem 30. Juni 2006 die merkwürdige Idee, den knappen Vorsprung im WM-Viertelfinale gegen Deutschland über die Zeit zu retten, indem er Juan Roman Riquelme auf die Bank kommandierte und Lionel Messi sitzen ließ. Die Geschichte ist bekannt, die wohl technisch beste Elf dieser Weltmeisterschaft verlor nach Elfmeterschießen und flog nach Hause. Riquelme trottete vom Rasen, und man glaubte in seinem Gesicht eine gesteigerte Form jener Missmut zu erkennen, die seinen Blick auszeichnet. "Ich frage nicht, weshalb ich aufgestellt werde, also frage ich auch nicht, weshalb ich ausgewechselt werde", sagt er heute. Andererseits: "Wir hätten noch das eine oder andere Tor schießen können." Er kann derzeit recht entspannt darüber sprechen.

Er schießt Tore, er führt Regie, er ist glücklich: Juan Riquelme. (Foto: Foto: Reuters)

Einen europäischen Sommer und südamerikanischen Winter später erlebt der Spielmacher vom Rio de la Plata die vielleicht schönsten Wochen seiner Karriere, wer hätte das gedacht. Ende Juni gewann Riquelme mit seinem Klub Boca Juniors Buenos Aires die Copa Libertadores, die lateinamerikanische Version der Champions League. In den beiden Finals gegen Gremio Porto Alegre schoss der Regisseur drei der fünf Tore der Sieger und war der mit Abstand beste Mann auf dem Feld. Anfang Juli hat Riquelme die argentinische Auswahl nun ins Halbfinale der Copa America in Venezuela geleitet, beim 4:0 gegen Peru gelangen ihm seine Treffer drei und vier bei diesem Turnier. Vor dem Duell mit Mexiko sind die Zuschauer und Berichterstatter hingerissen. Geht es so weiter, dann erobert ihr wieder entdecktes Idol binnen einem Monat zwei kontinentale Trophäen, womit bis vor einem halben Jahr kaum zu rechnen gewesen war.

Riquelme flüchtete von Villareal, um in Argentinien seine Form wiederzufinden

Noch zur Jahreswende galt der launische Künstler als Fall für die Couch. Beim FC Villarreal in Spanien hatte er sich nach fünf meist erfolgreichen Jahren dermaßen mit dem chilenischen Trainer Manuel Pellegrini zerstritten, dass der ihn nicht mehr aufstellte. Aus der Nationalmannschaft trat die Mimose dann mit dem kuriosen Argument zurück, seine Mutter ertrage die ständige Kritik an ihrem Sohn nicht mehr. Wieder schien sich die Hoffnung erledigt zu haben, im Mittelfeld einen Nachfolger für Diego Maradona zu finden. Leihweise flüchtete Riquelme im Februar nach Buenos Aires, und zuhause fühlte er sich auf einmal wieder sehr wohl. Mit Boca Juniors verpasste der Heimkehrer zwar die Landesmeisterschaft, die hier zweimal pro Saison ausgespielt wird, setzte sich aber überregional durch. Schließlich gab er kurz vor Beginn der Copa America dem Werben von Pekermans Nachfolger Alfio Basile nach, beschloss sein Comeback und läuft jetzt zur Form seines Lebens auf.

Weltmeisterlich sei Riquelme, schwärmt das Sportblatt Ole. Die Zeitung Clarin entdeckt "einen neuen Roman", La Nacion freut sich über "einen viel kompletteren Spieler". Plötzlich führt der wankelmütige Riquelme erstens selbstlos das Kommando, mit ständigem Blick für die Kollegen. Er wurde sogar dabei ertappt, wie er im Teamhotel durch die Zimmer wandert und bei Verteidiger Nicolas Burdisso zur Gitarre griff.

Solche Temperamentsausbrüche sind bei ihm so häufig wie Schneefall in der Hauptstadt, bislang war hauptsächlich seine Freundschaft zu Mitspieler Pablo Aimar und dem Zimmergenossen Hugo Ibarra bekannt. Und zweitens tritt und köpfelt er ständig selbst den Ball ins Tor. So sturmfreudig sind nicht einmal die Brasilianer Ronaldinho und Kaka, die bei dieser Copa allerdings fehlen. Sein verspielter Stil wurde in Europa zielstrebiger.

Seine Renaissance gehört zu den meist diskutierten Phänomenen der nationalen Gegenwart, dabei hat Argentinien momentan viel zu besprechen. Bei den Präsidentschaftswahlen im Herbst tritt Cristina Kirchner an, die Frau des Amtsinhabers Nestor Kirchner. Und am Montag, dem Feiertag zur Unabhängigkeit, begann es in Buenos Aires tatsächlich zu schneien, zum ersten Mal seit 98 Jahren. Als Erklärung für den sonderbaren Fall Riquelme wiederum bieten sich zum einen argentinische Eigenheiten an. Die Republik neigt zur periodischen Abfolge von Abstürzen und Höhenflügen, am eindrucksvollsten führt dies der genialisch-tragische Maradona vor. Riquelme ist vergleichsweise ausgeglichen, bei ihm kommen zum anderen eine ausgeprägte Melancholie und Heimatverbundenheit hinzu. "Ich bin glücklich", sagt er, "wir haben eine Mannschaft mit guten Spielern, die sich gegenseitig helfen." Und in der Nationalelf spiele er "nicht für Geld, sondern aus Vergnügen und Stolz, mein Land zu repräsentieren."

Bis zum Titel soll die Heimatliebe führen, danach wird es wieder kompliziert. Noch gehört Riquelme dem FC Villarreal, der will ihn zurück oder verkaufen. Boca Juniors jedoch würde seinen Helden gerne für erste behalten und mit ihm auch den Weltpokal erbeuten, hat aber keine Ahnung, wer das bezahlen soll. Ein entspannter Riquelme jedenfalls ist so attraktiv wie nie. Wer weiß, wie lange die gute Laune hält.

© SZ vom 11.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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