Champions League:Der Seismograph

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Klose hier, Diego da: Wie Torsten Frings darauf achtet, dass die Bremer Welt auch im Barcelona-Rausch im Lot bleibt.

Ralf Wiegand

Falls Torsten Frings nur einen nicht ganz ernst gemeinten Spruch machen wollte, wie er zwischen Fußballern und Journalisten schon mal fällt, um zu zeigen, wer hier das Sagen hat - wenn es so gedacht war, ist es gründlich daneben gegangen. Torsten Frings, 30, ist nämlich nicht nur kein guter Schauspieler, er ist überhaupt kein Schauspieler. Von dort, wo die Inszenierung bisweilen größer ist als der Sport, von der Bühne des FC Bayern, ist Frings deshalb entnervt geflohen.

Über diese Zeit schreibt er auf seiner Homepage: "Den Rummel, den es in München gab, kann man natürlich nicht mit anderen Vereinen vergleichen. Bei Bayern war alles viel heftiger. Bayern ist die Nummer eins in Deutschland, auch was das Medieninteresse und damit den ganzen Rummel um den Klub angeht. (...) Zum Glück ist das in Bremen anders."

Und dann, nach dem 3:1 von Werder Bremen gegen Berlin und vor dem Champions-League-Gruppenfinale in Barcelona (Dienstag, 20.45 Uhr, Premiere), fragt jemand diesen Torsten Frings, er möge doch bitte etwas zu den "Weltklasse-Toren" von Miroslav Klose sagen. Frings, ein Meister des sliding tacklings, erwidert: "Weltklasse? Was war denn daran Weltklasse? Die Flanke von Wome war Weltklasse. Ihr müsst da mal schön auf dem Teppich bleiben. Das ist nicht alles Weltklasse, was der Miro macht."

Sagt es, dreht sich um und trottet zum Auslaufen hinaus in die Nacht. Eine Frotzelei? Hat da mal einer alle so richtig auf die Rolle genommen? Wohl weniger. Denn noch im Gehen schüttelt Frings sachte den Kopf, von hinten sieht man seine gewaltige Mähne hin und her wogen. Das sah aus wie: Mann, Mann, Mann . . .

Es gilt das Gleichheitsprinzip

Torsten Frings ist eine Art Präzisions-Messinstrument bei Werder Bremen, das kleinste Schwankungen im Klima registriert und dann mit heftigen Ausschlägen reagiert. Für einen wie ihn, der als einzige Show höchstens jene auf dem Platz akzeptiert, ist das Familienunternehmen Werder auch deswegen Heimat geworden, weil dort bisher das Gleichheitsprinzip gilt.

Keiner ist besser als der andere, jeder ist ersetzbar, niemand lebt auf Kosten der Kollegen. Weil aber auch Bremen nicht das Paradies ist, wurden Neid und Missgunst wenigstens selten öffentlich. Das Modell, wonach die Mannschaft ein Mikrokosmos zu sein hat, in dem alles geschehen darf, aber nichts nach draußen dringt, hatte schon zu Zeiten eines Trainers Otto Rehhagel Gültigkeit. Es ist eines der wenigen Dinge, die Rehhagels Nachfolger in fünfter Generation, Thomas Schaaf, nicht geändert hat.

Ansonsten ist ja fast alles anders geworden in der Pauliner Marsch. Das Weserstadion steht zwar noch immer dort, wo die Weser einen großen Bogen macht, aber Werder ist nicht länger der Große unter den Kleinen. Er ist jetzt ein Kleiner unter den ganz Großen. Seit dieser Saison wissen sie auch beim FC Chelsea, wo Bremen ist, und in Barcelona beschäftigt sich nun sogar der spiritus rector Johan Cruyff mit dem Nordlichtlein.

Zweifel bei den Katalanen

"Gegen deutsche Mannschaften", sagt er, "darfst du nie mit Zweifeln ins Spiel gehen, sonst hast du keine Chance." Über Zweifel zu sprechen, heißt meistens, Zweifel zu haben.

Barcelona sorgt sich wohl wirklich um den Einzug ins Achtelfinale. Der Titelverteidiger. Die beste Elf des Universums. Gegen Werder Bremen. Derart im internationalen Blickpunkt stand kein deutscher Klub, seit Bayern München und Bayer Leverkusen Anfang des Jahrtausends ihre Champions-League-Endspiele bestritten. Das ausufernde Interesse am Verein und seinen Hauptdarstellern hatte Werder selbst zuvor schon in der Liga geschürt.

In den tollen Oktobertagen erhoben sie das Sechserpack - 6:1 in Bochum, 6:0 gegen Mainz - zum Standard, schlugen nebenbei die Bayern und reizten deren Manager Uli Hoeneß bis aufs Blut: Die Lobhudeleien für Werder gingen ihm "richtig auf den Sack". Welch Kompliment für Werder.

Schon Anfang der Saison war der Liga zudem ein neuer Messias erschienen, wieder in grün-weiß, Diego, Brasilianer, früher Porto. Schon da zeigte der Seismograph Frings mittelschwere Erschütterungen in der fein justierten Werder-Welt an. Mitten in die Huldigungen für Diego, 21, blaffte Frings: "Wir wollen den schnellen und direkten Fußball, mit dem wir über Jahre Erfolg hatten. Wir können keinen gebrauchen, der so lange den Ball hält." Schön auf dem Teppich zu bleiben, das wird immer schwerer.

Und nun ist es Miroslav Klose. Juventus, Milan, wer ihn nicht alles kaufen will, und dann macht er auch noch geheimnisvolle Gesten. Kloses Auftritte nach den Spielen gleichen inzwischen denen der ganz großen Stars. Mediendirektor Tino Polster begleitet ihn persönlich durch die Mixed Zone, achtet auf Exklusivrechte, bildet Interviewpools - Miro hier, Miro da.

Einer wie Frings aber steht wie immer verschwitzt am Absperrband, Grashalme kleben im Gesicht, während um ihn herum der verhasste Medienrummel nach seinem Lieblingsklub greift. Auf dem Teppich bleiben - bloß wie?

Falschmeldungen aus Spanien

Die Gefahr beim Aufstieg liegt bekanntlich in der Fallhöhe. Es ist ja nicht Miroslav Klose selbst das Problem. Der ist ja immer noch ein eher schüchterner Mann, der Angeln geht und sich ein Aquarium gekauft hat, und wenn er nicht weiter weiß, fragt er Torwart Tim Wiese um Rat, der auch eines hat.

Aber wenn sich alles nur noch um Klose dreht oder um Diego, wenn einer allein größer gemacht wird als der Klub, wird die Sache ernst. Sportdirektor Klaus Allofs strafte deshalb wegen der Falschmeldung eines angeblichen Klose-Wechsels im Winter barsch die gesamte spanische Presse ab.

Die Bremer wollen heute Abend nicht nur deshalb auf Augenhöhe mit Barcelona spielen, weil sie zufällig Klose haben, zufällig Diego hier anheuerte oder sie Torsten Frings nur beschäftigen können, weil der anderswo nicht zurecht kommt - und alle zufällig in Bestform sind. "Wenn wir weiter kämen", sagt Klaus Allofs, "dann wäre das kein Zufall. Dann ist das verdient."

Es wäre das Ergebnis einer Idee, die Spieler wie Klose, Diego und Frings erst hervorbringt und sie miteinander gut leben lässt, mit allen Macken und Talenten. In Barcelona wird sich zeigen, wie weit das führen kann. "Es ist Druck da", sagt Allofs, "aber kein negativer Druck, keine Versagensangst."

Kaum auszudenken, wie Torsten Frings reagieren müsste, falls Werder tatsächlich weiterkäme. Wenn noch mehr Menschen wissen wollten, wie jener spanische Reporter von Tim Borowski, wie ein kleiner Verein so viele Erfolg haben kann. "Naja", sagte Tim Borowski, "so klein sind wir gar nicht."

© SZ vom 5.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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