Champions League:"Bis hierher und nicht weiter"

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Mark van Bommel über den alten Rivalen Real Madrid, seinen Lieblingsverein FC Bayern und einen schönen Zweikampf zur rechten Zeit.

Philipp Selldorf

SZ: Herr van Bommel, als Sie vor einem halben Jahr nach München kamen, haben Sie gesagt, der FC Bayern sei Ihr Lieblingsverein ...

Er kam im Sommer aus Barcelona nach München: Mark van Bommel (Foto: Foto: ddp)

van Bommel: In Deutschland!

SZ: Ist er das immer noch: ihr Lieblingsverein in Deutschland?

van Bommel: Ja natürlich. Ich bin immer noch stolz, dass ich für diesen Verein Fußball spielen kann. Ich war immer für die Bayern, wenn wir früher um viertel vor sechs die Sportschau geguckt haben. Meine Mutter war für Gladbach, mein Vater für Köln, ich für die Bayern.

SZ: An dieser Zuneigung hat sich auch nichts geändert, seitdem Sie den FC Bayern aus der Nähe erleben - und plötzlich der Erfolg ausbleibt?

van Bommel: Gar nichts. Ich habe mich vom ersten Tag an wohlgefühlt, weil alle mich gut aufgenommen haben. Nicht nur die anderen Spieler, sondern alle, die für Bayern arbeiten. Das hatte ich nicht erwartet. Beim FC Barcelona sieht man nie einen von der Geschäftsstelle, hier kennen sich alle mit Namen. Barcelona ist ein Weltverein. Jeden Tag kommen Touristen aus der ganzen Welt: aus Japan, Australien, überall. In München ist es ein bisschen wie in Eindhoven, wo ich früher gespielt habe: Eine große Familie - nur dass sie in München viel größer ist, weil Bayern ein viel größerer Klub ist. Und ich finde es gut, dass hier alte Spieler wie Uli Hoeneß, Karl-Heinz Rummenigge, Wolfgang Dremmler die Hauptrolle spielen, dass der FC Bayern sein Gesicht und seine Kultur bewahrt.

SZ: In dieser Familie haben Sie von Beginn an eine starke Rolle erhalten. Kaum dass Sie da waren, meinte Felix Magath: 'Mark van Bommel ist genau der Typ, den wir brauchen.' War das für den Anfang nicht ein bisschen viel verlangt?

van Bommel: Ich bin 29, es ist doch klar, dass sie von mir mehr erwarten als von einem Jungen, der 22 ist. Das ist auch nicht schlimm, das wusste ich vorher. Ich versuche der Mannschaft zu helfen, so gut ich kann, aber ich muss mich dafür nicht verändern. Ich fühle mich wohl dabei. Nur die Ergebnisse sind nicht so, dass wir sagen können: Wir haben eine Super-Saison.

SZ: Für Bayern-Verhältnisse sind die Ergebnisse ein Drama. Wie groß ist jetzt die Unruhe?

van Bommel: Unruhe ist vielleicht das falsche Wort. Ich will es mal so sagen: Man ist das nicht gewohnt. Mitten in der Saison hat der FC Bayern sieben Mal verloren - so oft wie normalerweise in zwei ganzen Jahren. Und das spürt man überall und bei jedem hier: Das sind wir gar nicht gewöhnt.

SZ: Karl-Heinz Rummenigge hat über Sie gesagt, Zitat: ,,Eine gestandene Persönlichkeit. Er ist in der Lage, die Fahne in die Hand zu nehmen, und dann: Bitte alle hinter mir her.'' Die Frage ist aber: Kommen die auch alle?

van Bommel: Das weiß ich auch nicht. Mit einer Fahne, das habe ich noch nicht gemacht... Aber es ist schon gut, wenn Leute im Verein so über mich reden und Vertrauen haben. Ich verhalte mich aber so wie immer. Es geht ja nicht dadurch, dass der Trainer dem Spieler sagt: Du musst der Anführer sein.

SZ: Man spricht in München gerne vom Führungsspieler. Sind Sie das?

van Bommel: Es ist immer schwierig, das über sich selbst zu sagen. Ich habe das Gefühl, dass die Spieler mich akzeptieren. Aber wir haben auch keine schwierige Mannschaft.

SZ: Ist das ein Teil des Problems? Sie haben mal gesagt: ,Wir haben vielleicht zu viele gute Jungs im Team.'

van Bommel: Wenn es fußballerisch nicht läuft, dann muss man eben auf eine andere Art und Weise zeigen, dass es so nicht weitergeht. Wenn jetzt Mannschaften in die Allianz-Arena kommen, dann werden sie frech und versuchen ein Tor zu machen. Das geht doch nicht. Früher waren sie froh, solange es 0:0 stand. Manchmal muss man dann eben Zeichen setzen und einen richtig guten Zweikampf machen - natürlich ohne den anderen Spieler zu verletzen. Um zu zeigen: Bis hierher und nicht weiter, hier gibt's heute gar nichts!

SZ: Was macht Ottmar Hitzfeld anders als Felix Magath?

van Bommel: Das darf man nicht vergleichen, jeder Trainer hat seine eigenen Ideen. Aber Herr Hitzfeld passt besonders auf die taktischen Details auf, er sieht alle Kleinigkeiten. Das ist auch wichtig für uns, das brauchen wir, besonders weil es jetzt nicht läuft. Jeder muss wissen, was er tun muss, und das bringt Herr Hitzfeld der Mannschaft sehr gut bei. Er hat eine natürliche Autorität, wenn er vor der Mannschaft steht, dann ist jeder still.

SZ: War das bei Felix Magath anders?

van Bommel: Wie gesagt: Das kann man nicht vergleichen, Magath hatte andere Fähigkeiten. Ich sage nicht, dass alle rumgeschrieen haben, wenn Magath hereinkam.

SZ: Was wurde Ihrer Ansicht nach versäumt beim FC Bayern, dass sich die Krise so ausbreiten konnte?

van Bommel: Das wäre doch nicht fair, darüber zu sprechen. Wir waren als Mannschaft nicht gut, jeder. Ich muss auch selber in den Spiegel schauen. Aber für die jungen Spieler ist das vielleicht ganz gut, das mal zu erleben. Sie kennen ja nur den Erfolg.

SZ: Unter den jungen Spielern wird Bastian Schweinsteiger immer besonders stark kritisiert. Was fehlt ihm im Moment zu seiner Leistung?

van Bommel: Vielleicht die Konstanz. Es ist ja auch schwierig für so einen jungen Fußballer, der schon zwei Jahre Stammspieler ist, der die WM gespielt und schon 40 Länderspiele hat. Dann bist du ganz hoch und fällst halt auch tief. Der wird da stark wieder rauskommen, aber das dauert eben. Man muss ihm Zeit geben, er ist ein Super-Spieler.

SZ: Jetzt spielt der FC Bayern in Madrid bei Real, das in einer ähnlich vertrackten Lage ist. Auch für Real scheint die Champions League der letzte Ausweg zu sein.

van Bommel: Für diese Spiele gibt es keinen Favoriten, die Ergebnisse in der Liga sagen da nicht viel. Wenn wir durch diese beiden Spiele durchkommen, dann haben wir das erreicht, was wir brauchen. Und nicht nur wir, glaube ich, sondern die gesamte Liga. Wegen der Uefa-Rangliste. Bayern gegen Real ist auf jeden Fall ein besonderes Spiel, auch historisch gesehen. Es gibt einige Spiele, an die ich mich noch erinnere - und dann müssen es wirklich Super-Spiele gewesen sein, denn ich war ja nicht dabei.

SZ: Welche Spiele sind das?

van Bommel: Das Halbfinale mit der gelben Karte von Effenberg (2001; Bayern gewann das Hinspiel in Madrid 1:0; Effenberg fehlte im Rückspiel, die Red.), das 4:2 in Madrid mit Giovane Elber und Lothar Matthäus. Oder in München der Ball von Oliver Kahn. Nach dem Freistoß von Roberto Carlos.

SZ: Oh, daran erinnert sich Kahn wahrscheinlich nicht so gern.

van Bommel: Aber die Bayern haben super gespielt damals.

SZ: Sie haben Real Madrid aus der Nähe kennen gelernt, als Sie in Barcelona gespielt haben. Aus dieser Perspektive muss Real das Böse an sich sein.

Er will auch in schwierigen Situationen Verantwortung übernehmen: Mark van Bommel (Foto: Foto: dpa)

van Bommel: Das stimmt. Ich sehe Real aus der Sicht von Barcelona, und das ist eben negativ. In diesem Duell, Barca gegen Real, gibt es wirklich Hass.

SZ: Das wird den Spielern beigebracht?

van Bommel: Du merkst es einfach. Da gibt es die Zeugwarte und die anderen Arbeiter, die schon ihr ganzes Leben bei Barca sind und schon ganz, ganz viele Spiele mitgemacht haben. Die sind immer im Streit mit Real. Ich weiß noch, wie wir letztes Jahr gegen Bremen in der Champions League gespielt haben. Am Abend vorher hat Real gegen Lyon 0:3 verloren. Unsere Leute waren so froh! In der Liga interessieren sie sich nur für die Ergebnisse von Real. Was Valencia oder die anderen machen, das ist ihnen egal.

SZ: Denken die Verantwortlichen im Präsidium genauso?

van Bommel: Natürlich - aber das dürfen sie nicht sagen. Sie machen die Politik. Da schüttelt man sich gegenseitig die Hände. Aber als Spieler weißt du schon zwei, drei Wochen vorher, dass das Spiel gegen Real Madrid bevorsteht. Du spürst es einfach.

SZ: Ist Barca gegen Real das größte Spiel der Welt?

van Bommel: Auf jeden Fall das größte, das ich kenne. Aber ich weiß nicht, wie es in Argentinien ist. Oder in Mailand. In Barcelona ist das Spiel nicht nur Sport, sondern auch Politik. Katalonien war immer unterdrückt unter Franco, und das lebt immer noch bei den Leuten. Als Spieler, vor allem als Ausländer, hat man zwar nicht diese Gefühle, aber es packt einen, wenn die 100000 im Nou Camp schreien und toben, sobald die anderen den Ball haben. Dann geht man richtig mit.

SZ: Ist Spanien das gelobte Land für einen Fußballer?

van Bommel: Ich glaube, die Primera Division ist die beste Liga der Welt. Besser als die englische. In England gibt es mehr Passion, mehr Feuer. Aber in Spanien wird besser Fußball gespielt, nicht nur in den Spitzenteams. Das wollen die Zuschauer. Wenn Mallorca 0:0 gegen Barcelona oder Madrid spielt, dann sind die Zuschauer nicht zufrieden.

SZ: Dann fiel es Ihnen schwer, Barcelona zu verlassen und zum FC Bayern in die Bundesliga zu wechseln?

van Bommel: Natürlich. Barcelona ist ein Super-Verein. Leider war es nur ein Jahr, aber das war sehr schön. Wir haben in der Saison alles gewonnen, das erste Mal die Champions League seit 1992, da waren mehr als zwei Millionen Menschen auf den Straßen. Das war eine tolle Erfahrung, einfach super, und meine Familie war auch glücklich. Aber der Fußball hat sich in dieser Saison geändert. Trainer Frank Rijkaard hat mir gesagt: 'Ich habe 24, 25 Spieler. Ich muss viel wechseln. Es kann sein, dass du dreimal hintereinander spielst und dann viermal nicht.' Aber ich bin kein Spieler, der sich auf die Tribüne setzen kann. Zum Glück kam dann Bayern München, da musste ich nicht lange überlegen, was ich tue.

SZ: Wo steht die deutsche Liga im Vergleich mit der spanischen?

van Bommel: Vielleicht ist die Bundesliga nicht so gut wie die spanische Liga. In Spanien bekommen die Klubs viel mehr Geld, das sind zwei Welten. Ich glaube, in Deutschland wird anders trainiert, das Konditionelle steht mehr im Vordergrund. In Barcelona haben wir fast alle Übungen mit dem Ball gemacht - aber ich habe nicht erlebt, dass Barcelona in den letzten Minuten Spiele verloren hätte oder nicht fit war. Doch das soll keine Kritik an Deutschland sein: Jede Liga hat ihre eigene Qualität. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass man in Holland und in Spanien sagt: 'Die Bundesliga ist eine große Liga.' Und das ist, glaube ich, ein ganz guter Maßstab: Wenn Leute mit Distanz das sagen, dann stimmt das auch meistens.

SZ: Aus der Ferne und mit Ihrer eigenen Erfahrung: Was ist das Typische an Real Madrid derzeit?

van Bommel: Sie kaufen jedes Jahr für viele Millionen gute Spieler ein, aber sie bekommen keine gute Elf zusammen. Seit vier oder fünf Jahren schon. Dabei haben sie ja auch einige Spieler, die schon lange da sind, die Spanier: Guti, Salgado, Helguera, Casillas, Raul.

SZ: Der FC Bayern ist in Madrid fast so unbeliebt wie der FC Barcelona. Was hat Ihre Mannschaft zu erwarten?

van Bommel: Als wir mit Barcelona letztes Jahr 3:0 in Madrid gewonnen haben, war ich leider verletzt. Aber die anderen Spieler haben es mir erzählt: Die Ohren tun dir weh, wenn du das Spielfeld betrittst, weil die Zuschauer so laut pfeifen. Auf dem Weg vom Hotel zum Stadion stehen die Leute an der Straße und beschimpfen und bewerfen den Bus. Zum Glück fährt die Polizei nebenher. In Deutschland gibt es das ja nicht, das wundert mich: Wenn wir zum Stadion fahren, dann stehen wir manchmal im Stau. Wie kann das sein? Wenn wir Pech haben, kommen wir zu spät zum Spiel.

© SZ vom 20.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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