Carl Joseph, Sport-Star mit einem Bein:"Ich bin doch nicht behindert"

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Carl Joseph kam mit einem Bein zur Welt und wurde zum Basketball- und Football-Star. Er spricht über Erfolg, das Wiederaufstehen und die wahren Behinderungen im Leben.

Christian Kortmann

Carl Joseph, 47, machte in den 1970er Jahren im US-amerikanischen Highschool-Sport Karriere, obwohl er von Geburt an nur ein Bein hat: Basketball, Football, 1,78 Meter im Hochsprung. Jetzt zeigt ein Internetvideo lange verschollene Filmaufnahmen des einbeinigen Football-Stars in Aktion.

Ein Mann, den nichts umwirft: Carl Joseph beim Training. (Foto: Foto: oH)

sueddeutsche.de: Herr Joseph, erinnern Sie sich an Ihren ersten Slam Dunk?

Carl Joseph: Es geschah im Sportunterricht in der neunten Klasse. Zum ersten Mal stopfte ich den Basketball von oben in den Korb. Ich erinnere mich, dass ich mich dabei sehr gut fühlte. Meine Mitschüler kannten meine Sprungkraft, so dass sie sich über den Dunking eines Einbeinigen nicht wunderten.

sueddeutsche.de: Kam es Ihnen jemals in den Sinn, dass Sie Dinge geschafft haben, die wohl niemandem zuvor gelungen sind?

Joseph: Darüber habe ich nie nachgedacht. Ich habe getan, was ich seit meiner Kindheit tat. Nur ein Bein zu haben, war ganz normal.

sueddeutsche.de: Sie wurden in armen Verhältnissen auf einer Tabakfarm im Norden Floridas geboren, neun Geschwister, alleinerziehende Mutter. Wie haben Sie Ihre Jugend erlebt?

Joseph: Auch als ganz normal, weil ich den Unterschied zwischen arm und reich überhaupt nicht kannte. In Madison, unserem Dorf, war niemand wirklich reich, ob weiß oder schwarz.

sueddeutsche.de: Wie begann Ihre sportliche Karriere?

Joseph: Meine ganze Familie ist sehr sportlich. Wir Kinder spielten jeden Tag draußen auf den ungeteerten Straßen. Anfangs wurde ich oft umgeworfen, aber meine Mutter zwang mich, wieder aufzustehen und mit dem Jammern aufzuhören. Bald war ich derjenige, der die anderen zu Boden warf.

sueddeutsche.de: Es gab doch bestimmt auch Rückschläge. Wurden Sie wegen Ihrer Behinderung und Hautfarbe diskriminiert?

Joseph: Rückschläge gab es einige. Manche Trainer hatten Angst, mich aufzustellen, weil ich verletzt werden könnte, aber durch meine Leistung stimmte ich sie um. Was Diskrimierung angeht: Madison war schon in den 1960ern ein sehr gut integrierter Ort. Schwarze und Weiße respektierten einander.

sueddeutsche.de: In den Filmaufnahmen, die man nun bei YouTube sehen kann, verblüfft Ihr Gleichgewichtssinn während des Football-Spiels.

Joseph: Mit der Balance hatte ich nie Probleme. Als ich noch ein Baby war, musste meine Mutter die Haustür verbarrikadieren, damit ich nicht auf die Straße lief. Mit zwei Jahren bekam ich eine Prothese, merkte aber, dass ich mich ohne besser bewegen konnte. Auch später verzichtete ich meist auf mein Holzbein, das zweieinhalb Kilo wog. Wenn ich draußen spielte, lehnte es meist an einem Baum.

sueddeutsche.de: Man nannte Sie "Sugarfoot".

Joseph: In der zehnten Klasse spielte ich in der Schulauswahl der Madison High. Die Jungs dachten, dass mein Bein mir Ruhm und Wohlstand bringen würde. "Sugarfoot" ist eine Ableitung von "Sugardaddy" und klingt besser als "Sugarleg".

sueddeutsche.de: Nach Leichtathletik und Basketball begannen Sie ausgerechnet mit American Football, einer Sportart, die eine robuste Physis erfordert.

Joseph: Ich war in allen drei Sportarten zugleich aktiv. Aber ich liebte den Körperkontakt beim Footballspielen.

sueddeutsche.de: Waren Ihre Gegner immer fair? Wurden Sie genauso hart angegriffen wie zweibeinige Spieler?

Joseph: Klar, blöde Sprüche gab es, von Mitspielern wie von Gegnern. Auf dem Platz wurde ich in doppelte oder dreifache Manndeckung genommen und sie zielten sogar bewusst auf mein Bein. Für mich war das immer Motivation, noch härter zu werden. Natürlich ändern sich die Football-Regeln nicht, wenn du nur ein Bein hast. Ich spielte immer so, als hätte ich zwei. Ich bin doch nicht behindert. Deshalb habe ich auch nie Behindertensport gemacht.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Carl Joseph vom Leistungssport der Gegenwart hält.

sueddeutsche.de: Was haben Ihre Ärzte gesagt?

Ein Mann macht sich lang: Carl Joseph beim Slam Dunk. (Foto: Foto: oH)

Joseph: Sie wollten, dass ich die Prothese so oft wie möglich trug, auch beim Sport. Aber das schwere Holzbein machte mich langsamer. Mit ihm fühlte ich wirklich behindert. Ich wollte nur spielen, medizinische Bedenken interessierten mich nicht. Das Schlimmste, was mir deshalb passiert ist, war die Einstellung der finanziellen Behindertenhilfe. Die Behörde sagte, wer Sport treibe, könne unmöglich behindert sein.

sueddeutsche.de: Wie geht es Ihnen und speziell Ihrem Knie heute; hat es die außergewöhnliche Belastung verkraftet?

Joseph: 1992 bin ich während meiner Arbeit als Sportlehrer ausgerutscht und habe mich am Knie verletzt. Das ist verrückt, weil ich mir beim Football nie eine ernsthafte Verletzung zugezogen habe. Im Knie habe ich Arthritis und leide zudem unter der Immunsystem-Erkrankung Sarkoidose. Die Prothese trage ich immer noch nicht. Ich gehe auf Krücken und meinem Bein.

sueddeutsche.de: Jetzt präsentieren Sie die alten Football-Aufnahmen bei YouTube, aus Eitelkeit?

Joseph: Ich hoffe, ein großes Publikum zu erreichen, auch die Jüngeren, die meine Fernsehauftritte in den frühen 1980ern nicht gesehen haben. Ich will, dass meine Kinder und Freunde mich in Aktion sehen, denn Sehen bedeutet Glauben. Und wer glaubt schon ohne Videobeweis, dass ich diese Sachen auf einem Bein gemacht habe?

sueddeutsche.de: Was denkt ein Mann mit Ihrer Kraft über die Praxis des Dopings, die heute im Leistungssport üblich ist?

Joseph: Es ist unfair denen gegenüber, die keine Drogen nehmen, und ruiniert die, die es tun. Leider wird heute, wenn Höchstleistung gefragt ist, die Moral vergessen. Die Olympischen Spiele habe ich nur am Rande verfolgt. Michael Phelps war der beste zweibeinige Athlet, den ich gesehen habe.

sueddeutsche.de: Welchen Sportler der Gegenwart bewundern Sie?

Joseph: Es gibt diesen achtjährigen Jungen, Adam Bender, der in vier Sportarten aktiv ist. Er hat nur ein Bein und benutzt Krücken.

sueddeutsche.de: Jetzt wurden Sie für Floridas Hall of Fame des Highschool-Sports nominiert.

Joseph: Es wäre eine Ehre, offiziell zur Elite zu gehören. Aber es wäre vor allem das Signal an alle behinderten Kinder, dass alles möglich ist, wenn du Glauben, Mut und Hoffnung hast.

sueddeutsche.de: Ist Ihr Leben also die wahre "Yes We Can"-Geschichte?

Joseph: Ja, Yes I Can!

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