Bundesliga:Vom Jesus zum Judas - und zurück

Lesezeit: 2 min

Hamit Altintop und Jan Schlaudraff werden von den eigenen Fans ausgepfiffen und beschimpft - weil sie im Sommer den Verein verlassen. Nicht nur Sportler, auch Fans stehen in der Verantwortung.

Jürgen Schmieder

Als Lothar Matthäus Anfang 1984 seinen Wechsel von Borussia Mönchengladbach zum FC Bayern verkündete, machten die Fans daraus einen Skandal. Bei jeder Ballberührung beschimpften ihn die Gladbacher Anhänger als "Judas", sie pfiffen ihn aus, bei Toren blieben sie still.

Werden schnell wütend: Fußball-Fans. (Foto: Foto: dpa)

Ähnlich erging es Stefan Effenberg, als er 1990 wechselte - ebenfalls vom Bökelberg nach München. Wieder erlebte der Name des biblischen Verräters eine Renaissance im Fußballstadion. Als Effenberg jedoch 1994 zurückkehrte, wurde aus "Judas" schnell "Jesus" - der Heilsbringer.

Das Verhalten der Fans folgt einem einfachen Prinzip: So lange sich ein Spieler an den eigenen Verein bindet, wird er gefeiert. Wenn er geht oder seinen Abschied verkündet, wird er ausgepfiffen.

So ergeht es nun Jan Schlaudraff und Hamit Altintop. Beide haben verkündet, ab Sommer für den FC Bayern zu spielen. Seitdem wird jedes Heimspiel zu einem Spießrutenlauf. Altintop wurde am Freitag nach jedem Fehler ausgepfiffen. Die Fan feierten frenetisch, als Mirko Slomka Sören Larsen zu sich holte - sie ahnten, dass er Altintop auswechseln würde. In Aachen wird Schlaudraff seit Wochen beschimpft - die Fans nennen ihn "Bayern-Schwein" und zeigen ihm permanent den Mittelfinger.

Beide Spieler reagieren sensibel auf das Verhalten der Fans: Altintop zog nach der Auswechslung sein Trikot aus und legte es demonstrativ mit der Rückennummer nach oben auf die Schalker Bank - eine Geste, die man als "Ich hab' keinen Bock mehr" deuten kann. Schlaudraff verbalisierte seine Wut: "Da muss man sich wirklich fragen, ob die alle noch ganz dicht sind."

Ganz klar: Beide Spieler sind Profis, sie dürfen sich nicht zu solchen Gesten und Aussagen hinreißen lassen.

Noch genug Zeit

Man muss aber auch das Verhalten der Fans an den Pranger stellen. Altintop und Schlaudraff haben versichert, bis zum Saisonende alles für ihren Verein zu geben - was man ihnen auch glauben darf.

Es gehört zum Fantum, die Mannschaft zu unterstützen, anzufeuern - eben alles für den Verein zu geben. Und dazu gehören nun einmal auch Spieler, die verkündet haben, bald wechseln zu wollen.

Die Fans von Aachen und Schalke müssen sich fragen: Was passiert, wenn Altintop entscheidende Bälle verstolpert, weil er von den Fans verunsichert wird und Schalke deshalb die Meisterschaft verspielt? Was passiert, wenn Schlaudraff die entscheidenden Tore nicht schießt, weil er Angst vor Pfiffen hat und Aachen deshalb absteigt? Das kann kein Fan wollen.

Es ist die Pflicht der Spieler, sich bis zum Ende des Vertrags für den Verein einzusetzen. Es sollte aber auch ein ungeschriebenes Gesetz sein, diese Spieler bis zum Vertragsende zu unterstützen. Danach muss jeder selbst entscheiden, ob er einen Spieler tatsächlich "Judas" nennen will - oder "Heilsbringer", wenn er zurückkehrt.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: